Mit der Heckenschere ans Weihnachtsgeld. Copyright by LianeM/Fotolia
Mit der Heckenschere ans Weihnachtsgeld. Copyright by LianeM/Fotolia

Mit dieser Frage hat sich das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen in seinem Urteil vom 17. Januar 2019 beschäftigt.

Anspruch auf Weihnachtsgeld

Eine Logistikfachkraft verdiente im Jahresdurchschnitt 89,64 € brutto pro Arbeitstag. Bestandteil ihres Arbeitsvertrages war die Regelung:

 „Der Arbeitgeber entscheidet für Mitarbeiter, mit denen vertraglich weder eine limitierte noch eine pauschale Abgeltung von Mehrarbeit/Überstunden vereinbart worden ist, über die Gewährung eines Weihnachtsgeldes und dessen Höhe jedes Jahr neu . . .“

Im Jahr 2017 teilte die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer*innen im Intranet der Firma mit:

 „Liebe Mitarbeiterinnen, liebe Mitarbeiter, wir haben beschlossen, eine Weihnachtsgratifikation in Höhe von 75% eines Monatsgehaltes (anteilig bei unterjährigem Firmeneintritt) mit dem Gehalt für November zur Auszahlung zu bringen.
Bis auf Widerruf wird ab dem 20. Arbeitsunfähigkeitstag bei jeder jährlichen evtl. zur Auszahlung zu bringenden Weihnachtsgratifikation eine anteilige Kürzung vorgenommen.“


Kürzung des Weihnachtsgeldes wegen langer Krankheit

Die Logistikfacharbeiterin war vom 27. Juli bis zum 31. Dezember arbeitsunfähig krank. Sie erhielt Entgeltfortzahlung bis einschließlich 6. September 2017.
Der Arbeitgeber bezahlte ihr für das Jahr 2017 kein Weihnachtsgeld. Er berief sich auf das Entgeltfortzahlungsgesetz. Danach ist es zulässig, Sondervergütungen während einer Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit zu kürzen. Die Kürzung darf pro Tag der Arbeitsunfähigkeit höchstens ein Viertel des Tagesverdienstes im Jahresdurchschnitt betragen.
So kürzte er das Weihnachtsgeld für jeden Krankheitstag um
89,64 € brutto : 4 = 22,41 € brutto. Wegen der vielen Krankheitstage reduzierte sich der Weihnachtsgeld-Anspruch auf null.

Klage vor dem Arbeitsgericht erfolglos

Die Logistikfacharbeiterin wollte sich die Kürzung nicht gefallen lassen. Sie klagte beim Arbeitsgericht. Die Richter*innen bestätigten die Zulässigkeit der Kürzung und wiesen die Klage ab. Der Klägerin blieb nichts anderes übrig als Berufung beim LAG einzulegen.

Sondervergütung als Voraussetzung

Eine Kürzung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz kommt nur in Betracht, wenn es sich beim Weihnachtsgeld der Klägerin um eine Sondervergütung handelt.
Eine Sondervergütung liegt vor, wenn der Arbeitgeber sie zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt gewährt. Zum laufenden Arbeitsentgelt gehören neben der regelmäßigen monatlichen Vergütung auch Provisionen, Erfolgsbeteiligungen und Prämien, wenn der Arbeitgeber damit den Zweck verfolgt, die Arbeitsleistung zu vergüten.

Ist Weihnachtsgeld der Klägerin eine Sondervergütung?

Nach Auffassung des LAG ist bei einer Leistung des Arbeitgebers zunächst davon auszugehen, dass er damit die Vergütung von Arbeitsleistung bezweckt. Verfolgt er einen anderen Zweck wie etwa durch eine Treue- oder „Halteprämie“ bisherige oder zukünftige Betriebstreue zu honorieren, muss sich dies deutlich aus dem Arbeitsvertrag ergeben. Ein Indiz dafür, dass eine „Halteprämie“ gewollt ist, besteht in einer Regelung, nach der die Prämie (anteilig) zurückzuzahlen ist, wenn Arbeitnehmer*innen den Betrieb vor einem bestimmte Stichtag verlassen. Für eine Treuprämie setzen Arbeitgeber in aller Regel voraus, dass das Arbeitsverhältnis noch besteht.
Im Arbeitsvertrag der Klägerin findet sich keine dieser beiden Regelungen.
Darüber hinaus spricht der Bezug auf das bezahlte Bruttoeinkommen („75% eines Monatsgehaltes“) im Fall der Klägerin dafür, dass der Arbeitgeber mit der Zahlung die Vergütung von Arbeitsleistung bezweckt hat.
Damit ist das Weihnachtsgeld der Klägerin keine Sondervergütung. Die Kürzung durch den Arbeitgeber unter Berufung auf das Entgeltfortzahlungsgesetz war also unzulässig.

Kürzung für den Zeitraum ohne Entgeltfortzahlung?

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist aber das Weihnachtsgeld als Arbeitsvergütung für die Zeit zu kürzen, in denen die Klägerin keinen Anspruch mehr auf Entgeltfortzahlung hatte. Diese Kürzung ist selbst dann vorzunehmen, wenn der Arbeitsvertrag eine Möglichkeit zur Kürzung nicht vorsieht. Damit war das Weihnachtsgeld der Klägerin anteilig für den Zeitraum nach dem Ende der Entgeltfortzahlung zu kürzen.
Im Ergebnis hat das LAG der Klägerin, die 1.462,50 € eingeklagt hatte, 999,38 € zugesprochen.

Grundsätzliche Bedeutung

In seiner Urteilsbegründung weist das LAG darauf hin, dass die Rechtsfrage, über die es entschieden hat, grundsätzliche Bedeutung für beide Parteien hat. Deshalb ist die Revision zum BAG zugelassen.
Der Rechtsstreit ist dort inzwischen unter dem Aktenzeichen 10 AZR 82/19 anhängig.


Hier finden Sie das vollständige Urteil:
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 17. Januar 2019; Az: 7 Sa 490/18

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21. März 2001, Az: 10 AZR 28/00

Rechtliche Grundlagen

§ 4a Entgeltfortzahlungsgesetz

Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall ()
§ 4a Kürzung von Sondervergütungen
Eine Vereinbarung über die Kürzung von Leistungen, die der Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt (Sondervergütungen), ist auch für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zulässig. Die Kürzung darf für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, nicht überschreiten.