Um die Zahlung einer Sondervergütung herumkommen wollte ein Arbeitgeber aus Hagen. Der Betreiber eines Autohauses verweigerte einem seit 1986 bei ihm beschäftigten KFZ-Mechaniker die Zahlung des Weihnachtsgeldes für das Jahr 2010. Begründung: Das Autohaus sei seit einigen Jahren kein Mitglied der örtlichen Innung für das KFZ-Gewerbe mehr und somit nicht mehr zur Zahlung der Sondervergütung an seinen langjährigen Beschäftigten verpflichtet. „Aber so einfach, wie sich der Geschäftsführer das vorgestellt hatte, geht es nicht“, erklärt Martin Kühtz vom DGB Rechtsschutz-Büro Hagen, der den Fall mit bearbeitet hatte, „denn ein Austritt aus dem Arbeitgeberverband, mit dem ein Verbandstarifvertrag geschlossen wurde, beendet die Bindung an einen Tarifvertrag nicht.“ Vielmehr gilt der Tarifvertrag zunächst auch über einen Verbandsaustritt hinaus unmittelbar und mit zwingender Wirkung weiter. Der ausgetretene Arbeitgeber und die bei ihm beschäftigten Gewerkschaftsmitglieder bleiben solange ganz normal an den Tarifvertrag gebunden, bis der Tarifvertrag endet – sei es durch Kündigung oder durch Zeitablauf. „Diese Nachbindung ist in § 3 Absatz 3 Tarifvertragsgesetz geregelt“, erklärt der Jurist, „der Tarifvertrag findet nach wie vor Anwendung.“

Die zwingende Tarifbindung erlischt erst mit dem Ende des Tarifvertrages. Aber selbst danach finden alle ,alten‘ tariflichen Regelungen auf das Arbeitsverhältnis weiterhin so lange Anwendung, bis Arbeitgeber und Arbeitnehmer sie durch eine neue, eigenständige Vereinbarung ändern oder ersetzen – über die so genannte ,Nachwirkung‘ laut § 4 Absatz 5 Tarifvertragsgesetz (TVG). Mitunter kann dies sogar dazu führen, dass ältere Arbeitnehmer aufgrund tariflicher Regelungen ordentlich nicht mehr gekündigt werden können, obwohl ihr Arbeitgeber schon seit vielen Jahren nicht mehr tarifgebundenes Verbandsmitglied ist.

 

Arbeitnehmeranspruch bleibt bestehen

 

So half es dem Arbeitgeber auch im konkreten Fall vor Gericht wenig, dass er sich um eine bestehende Verbandsmitgliedschaft herumlavierte: Anhand der Unterlagen aus den letzten zehn Jahren könne er nicht genau ersehen, so der Beklagte, wann seine Mitgliedschaft beendet wurde, und überhaupt sei daraus konkret keine Mitgliedschaft aus der Vergangenheit ersichtlich. „Dieser Versuch war umso unverständlicher, da der Geschäftsführer noch im Gütetermin zu Protokoll gegeben hatte, das Unternehmen sei vor circa sechs Jahren aus dem Arbeitgeberverband des KFZ-Gewerbes ausgetreten“, erläutert Martin Kühtz. Und entscheidend ist der Zeitpunkt, zu dem der Tarifvertrag geschlossen wurde: „Das Autohaus war am 22. Mai 2004 Mitglied der KFZ-Innung gewesen – dem Tag des Inkrafttretens des Tarifvertrags für die Arbeitnehmer des Kraftfahrzeuggewerbes, der das Weihnachtsgeld regelt“, erklärt Jurist Kühtz. Entsprechend überzeugte der Vortrag des Arbeitgebers das Arbeitsgericht Hagen nicht. Die Richter sahen alle Voraussetzungen für die erforderliche Zahlung des Weihnachtsgeldes als gegeben an: Der Arbeitnehmer war langjähriges Mitglied der IG Metall, der Arbeitgeber war zumindest 2004 nachweislich Mitglied des Arbeitgeberverbandes des KFZ-Gewerbes; der Tarifvertrag galt folglich nach wie vor. Das Urteil fiel entsprechend positiv für den Mandanten aus: Das Autohaus musste die Sondervergütung für 2010 in Höhe von 1.150 Euro brutto nebst Zinsen an seinen KFZ-Mechaniker zahlen.

 

Nur Mitglieder haben Anspruch

 

Im Übrigen lohnte sich auch in diesem Fall eine Gewerkschaftsmitgliedschaft: Die Zahlung der Sondervergütung können nur Gewerkschaftsmitglieder einklagen – sie haben darauf einen rechtlichen Anspruch. Beschäftigte, die nicht in einer Gewerkschaft sind, gehen im Fall einer Nichtzahlung leer aus, da sie sich rechtlich nicht auf das Tarifvertragsgesetz berufen können.

Rechtliche Grundlagen

Arbeitsvertrag zählt

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat bereits mehrfach über die Frage entschieden, ob der jeweils gültige Tarifvertrag weiter Wirkung entfaltet, wenn der Arbeitgeber aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten ist. In seinem Urteil vom 22.10.2008 (Az. 4 AZR 793/07) gaben die Richter einem gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer Recht. Dieser klagte auf Gewährung einer Entgelterhöhung und einer tariflichen Einmalzahlung, die der Arbeitgeber nicht zahlen wollte, da er 2005 aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten war und die Ansprüche aus einem Tarifvertrag vom April 2006 herrührten. Der Arbeitnehmer berief sich auf eine Klausel in seinem Arbeitsvertrag, wonach die tarifvertraglichen Bestimmungen gelten sollen. Der Arbeitgeber hielt entgegen, dass es sich hierbei lediglich um eine Gleichstellungsklausel handele. Ziel sei eine Gleichstellung von in der Gewerkschaft organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmern gewesen. Nach dem Verbandsaustritt sei die Regelung daher nicht mehr anwendbar. Das Gericht sah in der Klausel jedoch keine Gleichstellungsabrede. Die Klausel sei daher auch nach Verbandsaustritt des Arbeitgebers noch anwendbar.

Das BAG hatte auch in zwei weiteren Urteilen (Az. 4 AZR 536/04 vom 14.12.2005, Az. 4 AZR 652/05 vom 18.04.2007, Urteilstext nicht im Internet verfügbar) entschieden, dass bei einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel nicht mehr ohne weiteres von einer Gleichstellungsabrede auszugehen sei.