Zum Schutz vor einer Infektion änderte der Chef die Einsatzpläne, so dass die Arbeitsplätze beim Schichtwechsel für einen Monet leer blieben. © Adobe Stock: Westend61
Zum Schutz vor einer Infektion änderte der Chef die Einsatzpläne, so dass die Arbeitsplätze beim Schichtwechsel für einen Monet leer blieben. © Adobe Stock: Westend61

In Pandemiezeiten leistet das Reduzieren von Kontakten auch im Betrieb einen wichtigen Beitrag zum Infektionsschutz. Eine mögliche Maßnahme, um zu verhindern, dass sich eine Vielzahl von Menschen im Betrieb zeitgleich treffen, ist die Trennung von Einsatzschichten. Dies hatte der Arbeitgeber im vorliegenden Fall getan, indem er die Früh- und Mittagsschicht voneinander trennte und die Schichtzeiten anpasste. Die neuen Zeiten wurden in drei Betriebsvereinbarungen festgehalten. Das Problem: Durch die geänderten Arbeitszeiten arbeitete der Kläger im vorliegenden Fall weniger als es vertraglich vereinbart wurde – und als der Arbeitgeber ein Arbeitszeitkonto einführte, listete er die zu wenig gearbeiteten Stunden als Minusstunden auf.

 

Dagegen klagte der Beschäftigte mithilfe der Jurist*innen aus dem Büro Hamm und gewann in beiden Instanzen. Das Landesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts und entschied: Dem Kläger sind sämtliche Stunden gutzuschreiben, da keine Minusstunden angefallen sind.

 

 

Kein Stundenabzug ohne rechtliche Grundlage

 

Im Frühjahr 2020 schossen die Infektionszahlen in die Höhe und der Arbeitgeber sah sich gezwungen, Schutzmaßnahmen zu treffen. Hierzu schloss er mit dem Betriebsrat drei Betriebsvereinbarungen mit dem Inhalt, die Arbeitszeiten der Beschäftigten anzupassen, indem die Frühschicht von der Mittagsschicht getrennt wird. Die Schichten wurden zeitlich so gelegt, dass die Beschäftigten nicht unmittelbar am Werkstor aufeinandertrafen, sondern zeitlich versetzt auf dem Betriebsgelände erschienen. Summa summarum arbeiteten die Beschäftigten mit den veränderten Arbeitszeiten 35 Stunden pro Woche und damit entsprechend der im Betrieb geltenden Tarifverträge der IG Metall.

 

Für den Kläger lag die Situation jedoch anders: Durch einen Zusatz im Arbeitsvertrag vereinbarte er mit dem Arbeitgeber eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden und blieb fortan hinter diesem Umfang zurück. Insgesamt arbeitete der Kläger 43,5 Stunden zu wenig, die ihm schließlich als Minusstunden in ein später eingerichtetes Arbeitszeitkonto eingetragen wurden.

 

Hierfür gab es allerdings keine rechtliche Grundlage, wie das Landesarbeitsgericht entschied. Zwar gab es Betriebsvereinbarungen zwischen dem Arbeitgeber und Betriebsrat über die geänderten Schichtzeiten. Eine Regelung, dass eine Unterschreitung der vertraglich vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit bei einem später eingerichteten Arbeitszeitkonto zu berücksichtigen wäre, enthielt keine der Betriebsvereinbarung. Ebenso wurde auch nicht die geschlossene Zusatzvereinbarung über die wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden durch die neuen Zeiten der Betriebsvereinbarungen abgelöst.

Vielmehr verdränge nach Ansicht des Gerichts die Zusatzvereinbarung die Betriebsvereinbarungen nach dem „Günstigkeitsprinzip“. Nach diesem im deutschen Arbeitsrecht herrschenden Prinzip ist bei einer Auswahl von mehreren Normen (z.B Arbeitsvertrag, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung) stets die für den Beschäftigen vorteilhafteste anzuwenden – dies war hier die Zusatzvereinbarung mit dem Arbeitgeber.

 

Das Betriebsrisiko trägt grundsätzlich der Arbeitgeber

 

Der beklagte Arbeitgeber berief sich zusätzlich darauf, dass die geänderten Schichtzeiten wegen der Coronapandemie zwingend erforderlich waren und ihm dies nicht anzulasten sei. Aus diesem Grund bestünde für die zu wenig geleisteten Stunden auch keine Vergütungspflicht – insbesondere nicht durch eine Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto. Dazu stützte der Arbeitgeber sich auf eine Regelung im Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 08. November 2018, die wie folgt lautet:

 

㤠35.2 Beidseitig nicht zu vertretender Arbeitsausfall

 

Muss die Arbeit aus Gründen ruhen, die weder Arbeitgeber noch Beschäftigte(r) zu vertreten haben, z.B Naturkatastrophen, außerbetriebliche Energiestörungen (Gas, Wasser, Strom), so ist die begonnene Schicht zu vergüten, es sei denn, dass die Ausfallstunden unverzüglich – möglichst innerhalb von zwei Wochen- nach der Beendigung der Arbeitsunterbrechung nachgearbeitet werden können; diese an Werktagen verfahrenen Arbeitsstunden sind zuschlagsfrei.“

 

Der Arbeitgeber argumentierte, die Coronapandemie sei eine „Naturkatastrophe“ und unterfiele daher dieser Regelung im Manteltarifvertrag. Er könne nichts für den anteiligen Arbeitsausfall und müsse sich diesen auch nicht zurechnen lassen. Eine Nacharbeit sei nicht möglich gewesen, da die Pandemie über einen langen Zeitraum andauert.

 

Dieser Argumentation erteilten sowohl das Arbeitsgericht Dortmund als auch das Landesarbeitsgericht Hamm eine Absage.

 

Der Arbeitgeber trägt das Betriebsrisiko

 

Die Vorschrift des Manteltarifvertrages sei so zu verstehen, dass eine Vergütungspflicht nur in Ausnahmesituationen dann nicht besteht, wenn beide Parteien keinerlei Verantwortung für die Gründe der ausgefallenen Stunden tragen. Es bleibe allerdings bei dem arbeitsrechtlichen Grundsatz, dass der Arbeitgeber das Betriebsrisiko trägt.

 

Darunter versteht man das Risiko des Arbeitsausfalls aus Gründen, die im betrieblichen oder wirtschaftlichen Verantwortungsbereich des Arbeitgebers liegen. Arbeitnehmer*innen sollen nach diesem Grundsatz vor Lohneinbußen geschützt werden, wenn sie nichts dafür können, dass sie weniger arbeiten und im Ergebnis weniger verdienen.  

 

Eine Ausnahme davon kommt deshalb nur in Fällen in Betracht, in denen ein Arbeitgeber keine zumutbare Einwirkungsmöglichkeit auf die Umstände hat, die für den Arbeitsausfall sorgen.

 

Nach Ansicht des Gerichts lag der Grund für die zu wenig geleisteten Stunden jedoch weder unmittelbar in der Coronapandemie noch in staatlichen Anordnungen oder medizinischen Notwendigkeiten zur Bekämpfung der Pandemie. Maßgeblicher Grund für den Stundenausfall war die Veränderung der Schichten. Auch, wenn die Veränderung mit Blick auf das Pandemiegeschehen sinnvoll war, bedeute das nicht, dass die Veränderung der Schichten die einzig mögliche Reaktionsmöglichkeit des Arbeitgebers gewesen ist oder dass ein Unterschreiten der vertraglichen Mindestarbeitszeit des Klägers unausweichlich gewesen ist. So hätte beispielsweise auch ein früherer Schichtbeginn oder ein späteres Schichtende vereinbart werden können, sodass der Kläger seine vertragliche Arbeitszeit in Höhe von 40 Wochenstunden hätte erfüllen können.

 

Aus diesem Grund sind die Voraussetzungen der Regelung im Manteltarifvertrag nicht erfüllt, da das Ruhen der Arbeit nicht die notwendige Folge jeder möglichen Reaktion des Arbeitgebers gewesen ist. Vielmehr hätte es andere Optionen gegeben. Damit waren dem Kläger die 43,5 Stunden wieder gutzuschreiben.

 

Hier geht es zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm.