Nach 20 Jahren der Beschäftigung fehlten auf der Abrechnung plötzlich mehrere Tausend Euro. © Adobe Stock: nicoletaionescu
Nach 20 Jahren der Beschäftigung fehlten auf der Abrechnung plötzlich mehrere Tausend Euro. © Adobe Stock: nicoletaionescu

Einen schriftlichen Arbeitsvertrag gab es nicht. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin war auch schon beendet. Es hatte von 1980 bis 2022 bestanden. Ihre Arbeitsleistung erhielt sie zuletzt regelmäßig mit einem Bruttostundenlohn von 12,50 € vergütet. Darüber hinaus zahlte der Arbeitgeber eine sogenannte „Freiwillige Sonderzulage" in Höhe von 3,35 € brutto pro Stunde.

 

In dem Zeitraum von Januar 2020 bis einschließlich Februar 2021 überwies der Arbeitgeber für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, Feiertagsstunden und Urlaub diese freiwillige Sonderzulage nicht mehr. Für diesen Zeitraum belief sich die Summe der Lohndifferenzen der Betroffenen rechnerisch auf 3.081,19 € brutto.

 

Diesen Betrag klagte die frühere Beschäftigte beim Arbeitsgericht ein

 

Unterstützt wurde sie dabei von den Jurist:innen des DGB Rechtsschutzes in Lingen. Der Arbeitgeber hatte zu Unrecht gekürzt, stellte das Gericht fest und so kam die Klägerin doch noch zu ihrem Geld.

 

Gestritten wurde daneben auch um ein Weihnachtsgeld in Höhe von insgesamt 1.900 €. Gezahlt hatte der Arbeitgeber 2021 nur 300 €. Das Weihnachtsgeld sei als zweckgebundene Sonderzahlung einzuordnen, argumentierten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin. So werde die Betriebszugehörigkeit bzw. Betriebstreue honoriert. Gerade die Bezeichnung der Leistung als Weihnachtsgeld und nicht als 13. Monatsgehalt spreche für diese rechtliche Einordnung. Das Arbeitsgericht kam hier jedoch zu einer für die Klägerin negativen Entscheidung.

 

Eine betriebliche Übung war unstreitig

 

Hinsichtlich der gekürzten Sonderzulage stellt das Arbeitsgericht fest, dass diese auf Grund einer betrieblichen Übung gezahlt worden sei. Die Klägerin könne diese freiwillige Sonderzulage damit für jede Stunde beanspruchen, für die die Beklagte die regelmäßige Vergütung schulde.

 

Für die Zeiten bewilligten Urlaubs ergebe sich der Anspruch bereits aus § 11 Abs. 1 BUrlG. Dort heißt es:

 

Das Urlaubsentgelt bemisst sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, das der Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat, mit Ausnahme des zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes. (…)

 

Diese Vorschrift ist nach § 13 Abs. 1 BUrlG nicht abdingbar. Danach kann von dieser Vorschrift nur in Tarifverträgen abgewichen werden, im Übrigen ist dies regelmäßig zuungunsten des:der Arbeitnehmer:in nicht möglich.

 

Die Praxis der Beklagten, für Zeiten bewilligten Urlaubs die Sonderzulage nicht weiter zu zahlen, verstoße damit bereits gegen zwingendes Recht, so das Arbeitsgericht.

 

Auch für Feiertage ist die gesetzliche Regelung eindeutig

 

Für Zeiten der Entgeltfortzahlung an Feiertagen ergebe sich der Anspruch der Klägerin bereits aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG), so das Gericht.

 

§ 2 Abs. 1 EFZG bestimmt, dass der Arbeitgeber für Arbeitszeit, die infolge eines gesetzlichen Feiertages ausfällt, das Arbeitsentgelt zu zahlen hat, das ohne den Arbeitsausfall zu zahlen gewesen wäre. Auch diese Regelung ist nach unabdingbar. Das bestimmt § 12 EFZG.

 

Der Arbeitgeber habe sich damit zu Unrecht auf die ihm zustehende Kürzungsmöglichkeit des Entgeltfortzahlungsgesetzes berufen. § 4a EFZG sehe zwar eine Kürzungsmöglichkeit vor, jedoch überhaupt nur für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit, nicht aber für die Entgeltfortzahlung an Feiertagen. Die Praxis der Beklagten, für Entgeltfortzahlungszeiten infolge eines Feiertages die Sonderzulage nicht weiter zu zahlen, verstoße damit ebenfalls bereits gegen zwingendes Recht.

 

Für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bedarf es einer Vereinbarung

 

Die Klägerin habe jedoch auch für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf Zahlung der Sonderzahlung in Höhe von 3,35 € brutto pro Stunde. § 4 a EFZG lasse zwar durchaus eine Kürzung zu. Dafür bedürfe es aber nach dem Gesetzeswortlaut einer Vereinbarung und die Kürzung dürfe für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, nicht überschreiten.

 

Die Beklagte habe nicht nachgewiesen, dass es zu einer Vereinbarung mit der Klägerin gekommen sei. Zwar könne sich eine solche Vereinbarung auch aus einer betrieblichen Übung ergeben. Eine solche betriebliche Übung, die den Schluss auf eine wirksame Kürzungsvereinbarung zuließe, habe die Beklagte aber nicht aufgezeigt.

 

Die betriebliche Realität steht einer Vereinbarung entgegen

 

Schon die Praxis der Beklagten, auch für die Zeiten der Entgeltfortzahlung an Feiertagen und für die Dauer bewilligten Urlaubs die freiwillige Sonderzulage nicht weiter zu zahlen, spricht nach Auffassung des Gerichts zwingend gegen eine solche Kürzungsvereinbarung. Schlussendlich erlaube auch die Bezeichnung der Zahlung als freiwillige Sonderzahlung keine Einordnung, die eine Bindung an tatsächliche Anwesenheitszeiten vorsehe, wie dies etwa bei einer Anwesenheitsprämie der Fall sein könnte.

 

Es sei des Weiteren nicht erkennbar, dass sich die Beklagte an der Höchstgrenze des § 4 a EFZG orientiert habe. Demzufolge liege auch keine wirksame Kürzungsvereinbarung vor. Die Beklagte habe die Differenz der Vergütung verzinst nachzuzahlen.

 

Weihnachtsgeld gibt es demgegenüber nicht

 

Anders lief der Prozess bezüglich des geltend gemachten Weihnachtsgeldes. Auch hier erkannte das Arbeitsgericht zwar eine betriebliche Übung bei der Beklagten. Daraus allein ergebe sich aber noch kein Zahlungsanspruch der Klägerin.

 

Ein irgendwie gearteter Bezug zur Betriebstreue war für das Gericht nicht erkennbar. Das wäre jedoch erforderlich gewesen. Es sei nicht erkennbar, dass die Zahlung des Weihnachtsgeldes entweder von dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über einen bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft hinaus oder von einer Mindestdauer des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der Auszahlung des Weihnachtsgeldes abhängig gemacht worden sei, so das Arbeitsgericht.

 

Schließlich sei auch nicht erkennbar, dass die Höhe des Weihnachtsgeldes etwa

nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit gestaffelt sei. Allein die Bezeichnung der Sonderleistung als Weihnachtsgeld führe nicht zur Zahlungspflicht. Die Bezeichnung

der Sonderleistung als Weihnachtsgeld bezeichne allein den Fälligkeitszeitpunkt, nämlich den Zeitpunkt der Zahlung im zeitlichen Zusammenhang mit dem Weihnachtsfest.

 

Das Weihnachtsgeld belohnte nicht die Betriebstreue

 

Dass hier andere Zwecke als die Vergütung geleisteter Arbeit beabsichtigt war, sei für das Gericht nicht erkennbar. Auch die Höhe des Weihnachtsgeldes und das Verhältnis zur Höhe der monatlichen Vergütung lasse keinen Rückschluss auf die Honorierung von Betriebstreue zu. Die Zahlung des Weihnachtsgeldes sei damit Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung.

Nachdem die Klägerin aufgrund fortdauernder Erkrankung im Jahr 2021 ihre Arbeitsleistung nicht mehr habe erbringen können, sei der Anspruch auf die Zahlung des Weihnachtsgeldes entfallen. Darin liege keine unzulässige Diskriminierung der Klägerin. Denn Regelungen, die Sonderzuwendungen von der vorherigen Arbeitsleistung abhängig machten, seien in weitem Umfang zulässig, soweit dafür ein objektiver Anknüpfungspunkt gegeben sei.

 

Was nun?

 

Der Arbeitgeber wollte es wohl nicht recht einsehen. Deshalb folgte er dem Vorschlag des Gerichts, einen Vergleich abzuschließen nicht. Nun sind die Ansprüche schriftlich und gerichtlich festgeschrieben. Das Urteil schafft klare Tatsachen. Der Arbeitgeber wird sie betriebsintern umsetzen müssen. Betroffen sind viele Arbeitnehmer:innen.

 

Offensichtlich ist er bislang dazu nicht bereit. Ein weiteres Verfahren ist schon eingeleitet. Die Sache zieht nun größere Kreise, unabhängig davon, ob es zur Berufung beim Landesarbeitsgericht kommt.

 

Rechtliche Grundlagen

§ 4 a EFZG, § 12 EFZG

§ 4a Kürzung von Sondervergütungen
Eine Vereinbarung über die Kürzung von Leistungen, die der Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt (Sondervergütungen), ist auch für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zulässig. Die Kürzung darf für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, nicht überschreiten.

§ 12 Unabdingbarkeit
Abgesehen von § 4 Abs. 4 kann von den Vorschriften dieses Gesetzes nicht zuungunsten des Arbeitnehmers oder der nach § 10 berechtigten Personen abgewichen werden.