Auf einmal war das 20-jährige Firmenjubiläum weniger wert. © Adobe Stock: PIXMatex
Auf einmal war das 20-jährige Firmenjubiläum weniger wert. © Adobe Stock: PIXMatex

Der Kläger war Mitglied des Betriebsrates. Er hatte an dem Monatsgespräch teilgenommen und konnte dem Gericht nachweisen, dass zumindest von 2011 bis 2018 alle Arbeitnehmer*innen des Unternehmens Jubiläumsprämien erhielten. Nach 10 Jahren war es ein halbes Monatsgehalt und nach 20 Jahren zahlte die Beklagte ein volles Monatsgehalt.

 

2019 änderte die Beklagte die Regelung einseitig

 

Eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat habe es nicht gegeben, teilte der Kläger dem Gericht mit. Er habe auch keine Mitarbeiter*innen ausmachen können, die zuvor eine niedrigere Prämie bekommen hätten. Er berief sich auf eine betriebliche Übung im Unternehmen.

 

Die Beklagte hielt dem entgegen, es habe keine betriebliche Übung gegeben. 2019 habe sie den Umgang mit den Prämien einheitlich geregelt. Der Kläger habe 2020 auch die zugesagte (niedrigere) Prämie erhalten und seine Ansprüche erst 2022 geltend gemacht. Eine Mitarbeiterin habe darüber hinaus zu deren zehnjährigen Dienstjubiläum weniger als ein halbes Monatsgehalt erhalten.

 

Der Anspruch des Klägers bestehe auf Grund einer betrieblichen Übung, entschied das Arbeitsgericht. Die Beklagte habe diese durch die regelmäßige und wiederkehrende Zahlung gegenüber den Arbeitnehmer*innen im Betrieb begründet.

 

Das Gericht erläutert die Voraussetzungen einer betrieblichen Übung genau

 

Unter einer betrieblichen Übung werde die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer*innen schließen könnten, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Aus dem Verhalten des Arbeitgebers werde deutlich, dass der Arbeitgeber eine dahingehende Willenserklärung abgebe, die die Arbeitnehmer*innen annehmen könnten. Das schaffe ein vertragliches Schuldverhältnis, aus dem bei Eintritt der vereinbarten Anspruchsvoraussetzungen ein einklagbarer Anspruch auf die üblich gewordene Vergünstigung erwachse.

 

Es komme nicht darauf an, ob der Arbeitgeber mit einem entsprechenden Willen, sich zu verpflichten, gehandelt habe. Die Wirkung einer Willenserklärung oder eines bestimmten Verhaltens trete im Rechtsverkehr schon dann ein, wenn der Erklärende aus der Sicht des Empfängers einen Willen geäußert habe, der auf eine bestimmte Rechtswirkung gerichtet sei.

 

Ob eine für den Arbeitgeber bindende betriebliche Übung entstanden sei, müsse danach beurteilt werden, inwieweit die Arbeitnehmer*innen aus dem Verhalten des Arbeitgebers auf einen Willen des Arbeitgebers schließen durften, sich zu binden.

 

Eine Veröffentlichung im Betrieb ist nicht notwendig

 

Es spiele dabei keine Rolle, ob die betreffenden Arbeitnehmer*innen selbst bisher schon in die betriebliche Übung einbezogen worden seien. Eine Mitteilung über die an andere erfolgten Zahlungen sei ebenso wenig erforderlich, wie eine Veröffentlichung im Betrieb. Ein allgemeiner Erfahrungssatz besage, dass derartige begünstigende Leistungen allgemein bekannt würden.

 

Eine Regel, ab welcher Anzahl von Leistungen der Arbeitnehmer erwarten dürfe, dass auch er die Leistung erhalte, sobald er die Voraussetzungen erfülle, gebe es nicht. Dass eine dreimalige vorbehaltlose Gewährung zur Verbindlichkeit führe, habe die Rechtsprechung für jährlich an die gesamte Belegschaft geleistete Gratifikationen gefordert. Bei anderen Sozialleistungen sei auf Art, Dauer und Intensität der Leistungen abzustellen.

 

Wie lange die Übung bestehen müsse, damit die Arbeitnehmer*innen berechtigt erwarten könnten, dass sie fortgesetzt werde, hänge davon ab, wie häufig die Leistungen erbracht worden seien. Dabei kommt es auf die Zahl der Anwendungsfälle im Verhältnis zur Belegschaftsstärke an. Ferner seien in die Bewertung auch Art und Inhalt der Leistungen einzubeziehen. Bei weniger wichtigen Leistungen würden an die Zahl der Wiederholungen höhere Anforderungen zu stellen sein, als bei bedeutsameren Leistungsinhalten.

 

Im Fall des Klägers sind die Voraussetzungen erfüllt

 

Der Kläger habe zehn Arbeitnehmer*innen benannt, die in den Jahren 2011 bis 2018 eine Jubiläumsprämie in Höhe eines Monatsgehalts erhalten hätten. Dass es eine Mitarbeiterin gegeben haben soll, die nach zehnjähriger Betriebszugehörigkeit weniger als andere erhalten habe, müsse nicht berücksichtigt werden. Die Beklagte habe weder deren Namen genannt, noch das Jahr der Auszahlung.

 

Außerdem sei es bei der Mitarbeiterin um das Jubiläumsgeld für eine 10jährige Betriebszugehörigkeit gegangen. Der Kläger begehre demgegenüber die Prämie nach 20 Jahren im Unternehmen.

 

Die Beklagte habe zumindest über acht Jahre hinweg bei Erreichen des 20jährigen Dienstjubiläums eine Prämie von einem Monatsgehalt gezahlt. Ob der Kläger selbst bereits in den Genuss einer Prämienzahlung gekommen sei, spiele für das Entstehen einer betrieblichen Übung keine Rolle.

 

Die betriebliche Übung habe den Inhalt des Arbeitsvertrags gestaltet und sei nicht vertraglich abgeändert worden.

 

Dieser Rechtsanspruch ist kein Anspruch minderer Rechtsbeständigkeit

 

Der Arbeitgeber könne den Anspruch aus betrieblicher Übung genauso wenig wie einen ausdrücklich arbeitsvertraglich vereinbarten Anspruch unter erleichterten Voraussetzungen zu Fall bringen. Die Beklagte habe kein annahmefähiges Angebot für die Verschlechterung der Prämienzahlung abgegeben. Sie habe vielmehr einfach die Zahlungen reduziert.

 

Ein Arbeitgeber müsse ausdrücklich und unmissverständlich erklären, dass die bisherige betriebliche Übung einer vorbehaltlosen Zahlung beendet und durch eine andere (oder auch keine) Leistung ersetzt werden solle, wolle er die betriebliche Übung einstellen. Dies habe die Beklagte nicht getan, auch nicht durch das Monatsgespräch mit dem Betriebsrat.

 

Der Anspruch des Klägers ist auch nicht verwirkt

 

Die Verwirkung ist ein Unterfall der wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) unzulässigen Rechtsausübung. Ein Recht ist verwirkt, wenn es illoyal verspätet geltend gemacht wird. Die Verwirkung dient dem Bedürfnis der Rechtsklarheit.

 

Sie hat nicht den Zweck, Schuldner von ihrer Leitungspflicht vorzeitig zu befreien, wenn ein Gläubiger längere Zeit untätig geblieben ist. Allein der Zeitablauf kann die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen. Es müssen zu dem Zeitablauf besondere auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen. Die bloße Untätigkeit eines Berechtigten während eines Zeitraumes, der zur Verjährung nicht ausreicht, führt niemals zum Erlöschen des Anspruchs.

 

Bis auf den Zeitablauf habe die Beklagte nichts vorgetragen, was zu einer Verwirkung des klägerischen Anspruchs führe, so das Arbeitsgericht.

 

Der Kläger hat sich nicht treuwidrig verhalten

 

Der Kläger hatte am Monatsgespräch des Betriebsrates teilgenommen, in welchem die Beklagte eine Änderung der Prämienzahlungen bekanntgab. Dazu meinte die Beklagte, der Kläger habe dadurch widerspruchslos Kenntnis von der beabsichtigten Vorgehensweise genommen. Es sei daher treuwidrig, die Prämie dennoch zu fordern.

 

Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger jedoch noch keine 20 Jahre dem Betrieb angehört und deshalb auch noch keinen Anspruch auf die Prämie gehabt. Aus diesem Grund könne sein davor liegendes Verhalten nicht berücksichtig werden.

 

Wie es in der Praxis lief

 

Für den Kläger gewonnen hat das Verfahren Juliane Nittinger vom DGB Rechtsschutzbüro Hannover.

 

Erwähnenswert ist ihrer Ansicht nach, dass die Gegenseite das gesamte Verfahren über behauptete, es wären an keine Mitarbeiter*innen Prämien wie eingeklagt gezahlt worden. Die Beklagte habe aber auch nicht genannt, was sie denn überhaupt gezahlt hatte. Ihr Mandant wurde dann selbst tätig und befragte seine Kolleg*innen, von denen er wusste, dass sie schon über 20 Jahre beschäftigt sind. Alle, an die er sich wandte (bist auf drei, die nicht geantwortet hatten), bestätigten ihm, eine solche Prämie erhalten zu haben. Erst diesen Vortrag im Gerichtsverfahren hat die Beklagte dann nicht mehr bestritten. Klar war damit aber, dass vorher ganz offensichtlich falsch vorgetragen worden war.

 

Es bleibt abzuwarten, ob der Rechtsstreit in die Berufung gehen wird. Das Arbeitsgericht der 1. Instanz hatte dem Arbeitgeber im Verhandlungstermin zum Abschluss eines Vergleiches geraten.