Ein großes Geheimnis machte der Arbeitgeber aus dem Inhalt eines Briefes, dessen Eingang seine Mitarbeiterin bestätigt hatte. © Adobe Stock: detailblick-foto
Ein großes Geheimnis machte der Arbeitgeber aus dem Inhalt eines Briefes, dessen Eingang seine Mitarbeiterin bestätigt hatte. © Adobe Stock: detailblick-foto

Die Parteien eines Zivilprozesses haben nach § 138 Abs. 1 ZPO ihre Erklärungen über die tatsächlichen Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. Das gilt auch für eine arbeitsrechtliche Geltendmachung. Der Arbeitgeber des Verfahrens vor dem Thüringer LAG hatte es sich im Zusammenhang damit etwas einfach gemacht.

 

Der Briefumschlag ging rechtzeitig ein

 

Die Klägerin stritt mit der Beklagten um die rechtzeitige Geltendmachung ihres Anspruchs auf eine Jahressonderzahlung. Dem Gericht legte sie einen Einlieferungsbeleg über die Aufgabe einer Briefsendung bei der Post mit einer bestimmten Sendungsnummer vor. Eine Beschäftigte der Beklagten nahm Ende April eine Briefsendung mit dieser Sendungsnummer an.

 

Die Klägerin behauptete, in dem Briefumschlag habe sich ihre Geltendmachung befunden. Das von der Mitarbeiterin der Beklagten bestätigte Eingangsdatum weise den rechtzeitigen Zugang ihres Briefes nach.

 

Die Beklagte hingegen bestritt den Inhalt des Briefumschlages.

 

Schon das Arbeitsgericht Nordhausen hatte der Klage in erster Instanz stattgegeben. Es stellte fest, die Klägerin habe ihren Anspruch ordnungsgemäß geltend gemacht und war davon überzeugt, dass in dem zugegangenen Einschreiben mit der näher bezeichneten Sendungsnummer auch das Aufforderungsschreiben zur Zahlung enthalten war.

 

Das Landesarbeitsgericht bestätigte das Urteil

 

Die Klägerin habe zur Überzeugung des Landesarbeitsgerichts ihren Anspruch rechtzeitig im Sinne des geltenden Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst geltend gemacht. Das Gericht gehe davon aus, dass die Klägerin das Schreiben mit dem von ihr behaupteten Inhalt zur Post gegeben habe und dies dann der Beklagten zugegangen sei.

 

Das Gericht habe sich bei der Würdigung von Beweisen an § 286 Abs. 1 ZPO zu halten. Danach müsse es sich eine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsache in freier Beweiswürdigung aufgrund des gesamten Inhalts der mündlichen Verhandlung und einer etwaigen Beweisaufnahme bilden. Daraus folge zunächst, dass eine Beweisaufnahme nicht zwingend notwendig sei, wenn sich das Gericht eine Überzeugung aufgrund des restlichen Inhalts der mündlichen Verhandlung schon fest bilden könne.

 

Dem Gericht begegneten keine vernünftigen Zweifel

 

So sei es hier. Der Maßstab für die Bildung der Überzeugung sei ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der „vernünftigen Zweifeln Schweigen gebiete“, so das Landesarbeitsgericht.

 

Zwischen den Parteien sei unstreitig, dass die Klägerin zu einem feststehenden Datum eine Briefsendung bei der Post aufgegeben habe und dass genau diese Briefsendung einen Tag später bei der Beklagten eingegangen sei. Deren Mitarbeiterin habe die Briefsendung nachweislich entgegengenommen.

 

Das ergebe sich daraus, dass ein Einlieferungsbeleg und ein dementsprechender Auslieferungsbeleg mit deckungsgleichen Sendungsnummern vorhanden seien. Die Beklagte habe das nicht wirksam bestritten. Damit stehe fest, dass die Beklagte zu einem bestimmten Datum einen Briefumschlag von der Klägerin erhalten habe. Das Datum liege vor dem Fristablauf für die rechtzeitige Geltendmachung der Ansprüche der Klägerin.

 

Die Klägerin erläuterte den Inhalt des Umschlages

 

Die Klägerin habe im Verfahren das Schreiben vorgelegt, das sich nach ihrer Behauptung in dem Briefumschlag gefunden habe. Aus dem Schreiben ergebe sich, dass die Nachzahlung für den Zeitpunkt der nächsten Abrechnung gefordert sei. Daraus lasse sich zwingend schlussfolgern, dass dieses Schreiben auch vor dem Zeitpunkt dieser Abrechnung erstellt worden sein müsse.

 

Daraus wiederum ergebe sich, es sei sehr plausibel, dass dieses Schreiben zu dem von der Klägerin nachgewiesenen Zeitpunkt gefertigt und auf den Weg gebracht worden sei. In diesem Fall genüge es nicht, einfach zu bestreiten, dass Schreiben nicht Inhalt der entgegengenommenen Briefsendung gewesen sei.

 

Das ergibt sich aus § 138 ZPO

 

Danach muss sich jede Partei vollständig und - das betont das Landesarbeitsgericht ausdrücklich -  wahrheitsgemäß über das Vorbringen der Gegenseite erklären. Das gelte jedenfalls dann, wenn wie hier der von der Klägerin behauptete Vorgang von der Gegenseite auch wahrgenommen werden könne.

 

Unstreitig habe die Beschäftigte der Beklagten die Briefsendung entgegengenommen. Diese müsse deshalb zur Kenntnis genommen haben können, ob in dem Briefumschlag ein Inhalt gewesen sei, und, wenn ja welcher. Die Beklagte habe somit jede Erkenntnismöglichkeit gehabt, zu ermitteln, welcher Inhalt ihr zugegangen sei. Sie hätte dazu konkret vortragen müssen und sagen müssen, was denn sonst im Briefumschlag gewesen sei, wenn es sich nicht um das von der Klägerin behauptete Schreiben gehandelt habe. Dazu würde die Beklagte sich jedoch nicht äußern, obwohl sie vom Gericht darauf hingewiesen worden sei.

 

Angesichts dessen habe das Gericht keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die Behauptung der Klägerin über den Inhalt des Briefumschlages zutreffend sei und die Beklagte diesen unstreitig erhalten habe.

 

Die Geltendmachung war damit ordnungsgemäß zugegangen. Die Beklagte muss nun zahlen.

Hier geht es zum Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts.

Das sagen wir dazu:

Falk Bergmann vom DGB Rechtsschutzbüro Erfurt vertrat die Klägerin vor dem Landesarbeitsgericht. Er kann das Verhalten der Beklagten nicht nachvollziehen.

 

Sie habe sich auf das Bestreiten des Zugangs zurückgezogen, obwohl er den Einlieferungsbeleg und den Auslieferungsbeleg vorgelegt habe. Der Arbeitgeber sei vom Landesarbeitsgericht sogar nochmal ausdrücklich auf seine Darlegungslast hingewiesen und aufgefordert worden, doch mitzuteilen, welches Schriftstück seine Mitarbeiterin denn dann entgegengenommen habe. Das habe die Gegenseite einfach ignoriert und sich verurteilen lassen. Aus seiner Sicht könnte man hier darüber nachdenken, ob die Akten an die Staatsanwaltschaft weiterleitet werden sollten wegen versuchten Prozessbetrugs.

Rechtliche Grundlagen

§ 286 Abs. 1 ZPO

§ 286 Freie Beweiswürdigung
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.