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Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm erging am 12. September 2018.
 

Was war passiert?

Dem beklagten Arbeitgeber ging es wirtschaftlich schlecht. Er kam auf die Idee, auf die Arbeitgeber in Krisenzeiten reflexartig immer kommen: „Ich will Lohnkosten einsparen.“
Deshalb schloss er mit der IG-Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen mehrere Sanierungstarifverträge. Darin war unter anderem geregelt, dass die Arbeitnehmer*innen auf tarifliche Lohnbestandteile verzichten. Dafür sagte der Arbeitgeber zu, keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen.
Die Lohnbestandteile sollte der Arbeitgeber ausbezahlen bei einer „zukünftigen günstigen wirtschaftlichen Entwicklung.“ Bis dahin flossen sie in ein Wertguthaben der einzelnen Arbeitnehmer*innen.
Die Beklagte bestritt nicht, dass der Kläger ein solches Wertguthaben erworben hatte. Auch die Höhe des Guthabens war nicht streitig.
 

Wie argumentiert die Beklagte?

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger. Der klagte mit Hilfe der DGB Rechtsschutz GmbH dagegen. Vor dem Arbeitsgericht schlossen die Parteien einen Vergleich, der unter anderem regelte: „Mit diesem Vergleich sind sämtliche wechselseitigen finanziellen Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung - gleich aus welchem  Rechtsgrund, ob bekannt oder unbekannt - ausgeglichen.“
Aufgrund dieser Vereinbarung seien - so die Beklagte - auch Ansprüche aus dem Wertguthaben erledigt. Schließlich beziehe sich der Vergleich auf „sämtliche“
Ansprüche.
 

Was sagt das Gesetz dazu?

Das Tarifvertragsgesetz schreibt vor:
„Ein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte ist nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig.“
 

Was sagt die Beklagte dazu?

Die Beklagte vertrat im erstinstanzlichen Verfahren die Ansicht, die Prozessbevollmächtigte des Klägers sei vom DGB gestellt gewesen. Sie habe sich ausdrücklich mit dem Vergleich einverstanden erklärt. Damit habe sie den Verzicht des Klägers auf sein Wertguthaben im Sinne des Tarifvertragsgesetzes gebilligt. Schließlich sei die IG-Metall Mitglied im DGB. Deshalb sei davon auszugehen, dass auch die Einzelgewerkschaft mit dem Vergleich einverstanden gewesen sei.

In der zweiten Instanz lernte die Beklagte hinzu. Sie verwies jetzt darauf, im Verfahren wegen der Kündigung habe nicht der DGB, sondern die DGB Rechtsschutz GmbH den Kläger vertreten. Dessen ungeachtet habe das Arbeitsgericht nicht berücksichtigt, dass die DGB Rechtsschutz GmbH als Rechtsbeistand Mitglieder der IG-Metall bei Streitigkeiten vor Gericht vertrete. Es sei demnach davon auszugehen, dass die IG-Metall die Handlungen der DGB Rechtsschutz GmbH in dem damaligen Kündigungsstreit gebilligt habe.
 

Was sagt das Landesarbeitsgericht dazu?

Zunächst stellt das Landesarbeitsgericht fest, es sei davon auszugehen, dass der Beklagte als die eine Partei der Sanierungstarifverträge den Vergleich billige. Um vergleichsweise auf tarifvertragliche Rechte verzichten zu können, sei jedoch die Billigung beider Tarifvertragsparteien erforderlich. Nicht einmal die Beklagte behaupte, dass die IG-Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen mit dem Vergleich einverstanden gewesen sei. Es sei zwar richtig, dass es zwischen der IG Metall, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der DGB Rechtsschutz GmbH rechtliche und/oder personelle Verbindungen gebe. Allein dieser Umstand rechtfertige aber nicht die Annahme, dass jeder der Beteiligten die Handlung eines anderen Beteiligten im Rechtssinne billige.

Außerdem sei auch die Annahme der Beklagten, die DGB Rechtsschutz GmbH habe eine Erklärung für die IG-Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen abgegeben,
„… völlig falsch …“ Allein der Umstand, dass die IG Metall Mitglied im DGB ist, begründe keine Vertretungsmacht, für die IG-Metall oder deren Untergliederungen zu handeln.
Die Prozessvertreterin habe lediglich erklärt, dass der Kläger den Vergleich annehme. Dadurch kommt der Vergleich zustande. Davon streng zu trennen sei aber eine Erklärung, mit der beide Tarifvertragsparteien den bestehenden Vergleich billigen.
 

Was war das Ergebnis des Prozesses?

Der Kläger kann nicht verlangen, dass der Arbeitgeber das Wertguthaben sofort ausbezahlt. Der Beklagten geht es zwar inzwischen besser. Deshalb hat sie Jahresüberschüsse erzielt. Dieses Geld muss sie aber verwenden, vorrangige Forderungen aus den Sanierungstarifverträgen zu erfüllen. Erst wenn das geschehen ist, kommt der Kläger an die Reihe. Aber zumindest hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, dass der Anspruch aus dem Wertguthaben durch den Vergleich nicht erledigt ist.
 
Hier finden Sie das vollständige Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm (Westfalen), Urteil vom 12. September 2018 - 4 Sa 417/18

Rechtliche Grundlagen

§ 4 Tarifvertragsgesetz

§ 4 Tarifvertragsgesetz
Wirkung der Rechtsnormen
(1) 1Die Rechtsnormen des Tarifvertrages, die den Inhalt, den Abschluß oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, gelten unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen. 2Diese Vorschrift gilt entsprechend für Rechtsnormen des Tarifvertrages über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen.
(2) Sind im Tarifvertrag gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien vorgesehen und geregelt (Lohnausgleichskassen, Urlaubskassen usw.), so gelten diese Regelungen auch unmittelbar und zwingend für die Satzung dieser Einrichtung und das Verhältnis der Einrichtung zu den tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.
(3) Abweichende Abmachungen sind nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten.
(4) 1Ein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte ist nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig. 2Die Verwirkung von tariflichen Rechten ist ausgeschlossen. 3Ausschlußfristen für die Geltendmachung tariflicher Rechte können nur im Tarifvertrag vereinbart werden.
(5) Nach Ablauf des Tarifvertrages gelten seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.