Die Beklagte gehört einem deutschlandweit tätigen Konzern an. Sie gliedert sich in unterschiedliche wirtschaftliche Bereiche, wobei die Klägerin einem der Betriebe zugeordnet ist. Anfang 2022 schloss die Beklagte mit dem bei ihr gebildeten Konzernbetriebsrat eine Konzernbetriebsvereinbarung über eine "Freiwillige Sonderzahlung 2021" ab.
Räumlich sollte diese für alle Betriebe der Beklagten mit Ausnahme des Betriebes gelten, in dem die Klägerin arbeitete. Im Übrigen bestimmte die Betriebsvereinbarung, dass mit der Entgeltabrechnung für Januar 2022 insgesamt 600 € brutto "an alle Mitarbeiter" gezahlt werden sollten.
Die Klägerin erhielt nichts
Curt Dunse und Thomas Jung, Juristen aus dem DGB Rechtsschutzbüro Berlin, vertraten gleich mehrere Kläger*innen in gleichgelagerten Verfahren vor dem Arbeitsgericht. Das Unternehmen hatte die Sonderzahlung allen Beschäftigten des betroffenen Betriebes vorenthalten. Es hielt es aufgrund des dort erzielten Betriebsergebnisses für sachlich gerechtfertigt, die Sonderzahlung dort nicht auszuzahlen.
Nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stehen der Klägerin sowie deren Kolleg*innen die Sonderzahlung in Höhe von 600 € zu; so entschied es das Arbeitsgericht.
Der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt auch im Konzern
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer*innen oder Gruppen von Arbeitnehmer*innen, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regel gleich zu behandeln. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer*innen innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung. Liegt ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor, ist der Arbeitgeber verpflichtet, die von ihm selbst aufgestellten Regeln auf alle Arbeitnehmer*innen anzuwenden und diese entsprechend zu begünstigen. Benachteiligte Betroffene haben Anspruch auf die vorenthaltene Leistung.
Die Beklagte dürfe der Klägerin die Sonderzahlung 2021 nicht vorenthalten, so das Arbeitsgericht. Die Herausnahme des Betriebes, in welchem die Klägerin arbeite, aus dem Geltungsbereich der Konzernbetriebsvereinbarung verstoße gegen das Gesetz und sei deshalb nichtig.
Die Betriebsparteien haben § 75 Abs. 1 BetrVG zu beachten
Nach § 75 Abs. 1 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden. Insbesondere gilt, dass jede Benachteiligung von Personen aus Gründen ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters, ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt.
Der dort geregelte und auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zurückzuführende betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zielt darauf ab, die Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen.
Sehe eine Betriebsvereinbarung für verschiedene Arbeitnehmergruppen unterschiedliche Leistungen vor, verlangte der Gleichheitssatz, dass diese Differenzierung sachlich gerechtfertigt sei, heißt es im Urteil. Es komme dabei vor allem auf den verfolgten Zweck der Regelung an.
Bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung sei der Gleichheitssatz bereits dann verletzt, wenn eine Gruppe von Beschäftigten im Vergleich zu anderen Beschäftigten anders behandelt werde, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass diese ungleiche Behandlung gerechtfertigt sein könnte.
Die Beklagte beruft sich auf das unterschiedliche Betriebsergebnis
Die Beklagte machte im Verfahren geltend, der von der Konzernbetriebsvereinbarung ausgenommene Bereich habe als einziger den vorgegebenen Planwert nicht erreicht. Die Klägerin bestritt im Verfahren ausdrücklich, dass die jeweiligen Betriebsergebnisse überhaupt Grundlage der Konzernbetriebsvereinbarung gewesen sind und darüber hinaus auch, dass diese nicht erreicht wurden.
Ob es ausreichen würde, den Betrieb vom Geltungsbereich der Konzernbetriebsvereinbarung wegen eines verfehlten Planwertes als sachliches Unterscheidungsmerkmal auszunehmen, entschied das Gericht nicht. Eine Auslegung der Betriebsvereinbarung ergebe nämlich schon keinerlei Hinweis darauf, dass der verfehlte Planwert bei der Festlegung des Geltungsbereiches der Betriebsvereinbarung überhaupt herangezogen worden sei.
Die Auslegung bringt Klarheit
Bei der Auslegung einer Betriebsvereinbarung komme es zunächst auf deren Wortlaut und den durch ihn vermittelten Wortsinn an. Dabei seien der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen. Abzustellen sei ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen.
Im Zweifel gebühre derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führe.
Der von der Beklagten behauptete Unterscheidungszweck sei aus der Betriebsvereinbarung heraus selbst nicht erkennbar. Dass ein bestimmtes Betriebsergebnis erreicht werden sollte, werde nicht erwähnt. Stattdessen stelle die Betriebsvereinbarung neben der Anerkennung erbrachter Arbeitsleistungen auch auf die Förderung der Betriebstreue ab.
Damit war für das Gericht klar:
Die Ungleichbehandlung der Mitarbeiter*innen im betroffenen Betrieb war sachlich nicht gerechtfertigt. Auch der Klägerin und deren Kolleg*innen im betroffenen Betrieb steht damit die Sonderzahlung für 2021 zu. Die Beklagte muss nun nachzahlen.
Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Berlin.