Die Klägerin war seit 2007 als medizinisch-technische Radiologieassistentin im Klinikum der Beklagten beschäftigt.

Ver.di verhandelt neue Tarifverträge

Zunächst wurde die „Vergütungsordnung des Bundes-Angestelltentarifvertrages in der Fassung des Tarifvertrages zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifliche Vorschriften (BAT-O)“ von der Beklagten auf das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin angewendet. 

Die Klägerin wurde nach Entgeltgruppe (EG) VIb Fallgruppe 26 an Anlage 1a zum BAT-O vergütet.

Am 1. März 2011 trat die Klägerin der Gewerkschaft Ver.di bei. Die Gewerkschaft Ver.di schloss im Juli 2011

  • einen Tarifvertrag zur Regelung der allgemeinen Beschäftigungsbedingungen für die Beschäftigten der Beklagten (TV), 
  • einen Entgelttarifvertrag für die Beschäftigten im Klinikum der Beklagten (Entgelt-TV) sowie 
  • einen Überleitungstarifvertrag für die Beschäftigten im Klinikum der Beklagten (Ü-TV). 


Alle Tarifverträge galten rückwirkend ab dem 1. Januar 2011. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesarbeitsgericht erhielt die Klägerin eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 6, Stufe 3 gemäß dem Entgelt-TV.

Klägerin macht höhere Eingruppierung geltend.

Im Dezember 2011 forderte die Klägerin die Beklagte auf, sie in Entgeltgruppe 8 des Entgelt-TV einzugruppieren und dementsprechend zu vergüten.

Sie argumentierte: Die von ihr ausgeübte Tätigkeit als „Medizinisch-technische Radiologieassistentin erfülle das Tätigkeitsmerkmal der Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 24 der Anlage 1a zum einst angewendeten BAT-O. Dies entspreche nun der Entgeltgruppe 8 des neuen Entgelt-TV.

Die Klägerin machte dabei deutlich, dass sie im Bereich der Computertomographie (CT) tätig sei. Im Rahmen dieser Tätigkeit wirke sie bei Schichtaufnahmen in 3-D mit und arbeite mit Spezialgeräten.

Die Klägerin machte in Zusammenhang mit der verlangten Eingruppierung in Entgeltgruppe E8 einen Betrag in Höhe von rund 4.100 Euro brutto geltend.

Beklagte: „Spezialgeräte“ von früher sind heute üblich

Die Beklagte lehnte dies ab. Mit der Entgelt-Gruppe 6 werde die Klägerin richtig vergütet. Die Beklagte behauptete gar, die Klägerin sei gar nicht an „Spezialgeräten“ zur Schichtaufnahme in 3-D tätig.
So sei die Bedienung von CT-Geräten zwar nach wie vor eine anspruchsvolle Arbeit. Dies täte die Klägerin allerdings nicht an „speziellen“ Geräten im Sinne der tariflichen Regelungen.

Es müsse hierbei beachtet werden, dass die neuen Tarifnormen sich an dem einst gültigen BAT orientieren. Zur Zeit des Abschlusses des BAT im Jahre 1971 (!) seien die heute überwiegend genutzten Geräte noch Neuheiten gewesen.

Die ordnungsgemäße Bedienung habe damals eine besondere Leistung dargestellt. Daher sei damals eine Höhergruppierung im Vergleich mit der Bedienung einfacher Geräte gerechtfertigt gewesen. Heute gelte dies nicht mehr, da die von der Klägerin bedienten Geräte nunmehr absoluter Standard seien.

DGB Rechtsschutz vertritt Klägerin im Verfahren

Die Klägerin erhob daraufhin Klage. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab. Vor dem BAG hatte die Klägerin dann Erfolg.

Dabei wurde sie als Gewerkschaftsmitglied in allen Instanzen vom DGB Rechtsschutz vertreten. In der dritten Instanz übernahm dann das Centrum für Revision des DGB Rechtsschutzes die Vertretung der Klägerin. 


Das Bundesarbeitsgericht zog bei seiner Entscheidung die Normen des Tarifvertrages heran. Anders als die Beklagte, das Arbeits- sowie das Landesarbeitsgericht sieht das BAG in einem Computertomograph ein Spezialgerät zur Anfertigung von Schichtaufnahmen in 3-D.

Bundesarbeitsgericht legt Tarifvertrag anhand des Wortlauts aus

Zunächst stellt das BAG fest, dass der Begriff „Spezialgeräte“ nicht nur ein Merkmal für die Entgeltgruppe 8 ist. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sei ein „Spezialgerät“ ein Gerät, welches sich aufgrund besonderer Merkmale von einem Standardgerät unterscheidet. So könne die Besonderheit des Gerätes darin bestehen, dass es Schichtaufnahmen in 3-D ermöglicht.

Ein Standartgerät wäre im Vergleich dazu ein Gerät für eine Bildaufnahme in 2-D, etwa ein Röntgengerät. Allerdings könne der Wortlaut nach Ansicht des Bundesarbeitsgericht auch so interpretiert werden, dass das tarifvertragliche Merkmal für die Entgelt-Gruppe 8 nur dann vorliegt, wenn Aufnahmen nicht mit einem „Standart-3-D“Gerät, sondern mit einem speziellen „3-D-Gerät“ erfolgen.

Dies wäre der Fall, wenn 3-D Computertomographen den Standard darstellen würden und man innerhalb dieser Gruppe ein Spezialgerät bedienen muss, um die Anforderung der Entgelt-Gruppe 8 zu erfüllen.

Maßgeblich ist Wortbedeutung bei Abschluss des Tarifvertrages

Das Bundesarbeitsgericht stellt klar, dass für die Auslegung des Begriffs „Spezialgerät“ im Tarifvertrag entscheidend ist, was sich die Vertragsparteien im Sinn hatten, als sie den Vertrag geschlossen haben. Im vorliegenden Fall waren dies die Verhältnisse im Jahre 1971.

Damals war das Standardgerät noch das normale Röntgengerät, mit dem nur zweidimensionale Aufnahmen möglich waren. Von diesem Standardgerät sei der von der Klägerin verwendete Computertomograph zu unterscheiden. Dieser sei ein „Spezialgerät“ im Sinne der
Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 24 BAT-O.

Denn im Jahre 1971 waren Aufnahmen in 3-D lediglich unter Zuhilfenahme der sog. „Verwischungs-tomographie“ möglich. Durch diese Zusatzausführung war es möglich, den Röntgendetektor und die Röntgenröhre synchron zu bewegen.

Keine einengende oder ausdehnende Auslegung von Tarifnormen

Damit gab es anno 1971 lediglich diese eine Methode zur Herstellung von Aufnahmen in 3-D als Alternative zum normalen Röntgengerät. Die „Tätigkeit an Spezialgeräten“ sei daher ohne eigenständige Bedeutung. Maßgeblich sei vielmehr die „Mitwirkung bei Schichtaufnahmen.

Das BAG macht deutlich, dass dem Begriff „Spezialgerät“ auch heute keine eigenständige Bedeutung als Anforderung für die Entgeltgruppe 8 beigemessen werden könne.

Die Gerichte dürfen tarifvertragliche Regelungen nicht wegen der fortschreitenden technischen Entwicklung anders auslegen, wenn Wortlaut und Gesamtzusammenhang keinen Anlass hierzu bieten. Alles andere stelle einen Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie dar.

Bundesarbeitsgericht korrigiert Landesarbeitsgericht

Das Bundesarbeitsgericht hob die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auf. Es sei unerheblich, dass Computertomographen heute nicht mehr einen herausgehobenen Gerätestandard darstellen. Andere mögliche Verfahren zur Herstellung von 3-D-Bildern seien für die Vergütung der Klägerin irrelevant.

Auch habe das Landesarbeitsgericht mit seinem Urteil falsch gelegen, was das Tätigkeitsmerkmal „Erstellen von 3-D-Aufnahmen“ angeht. Verlangt werde insoweit lediglich eine „Mitwirkung“ bei der Aufnahme. Die tarifvertragliche Regelung verlangt keine manuelle Herstellung der Aufnahme durch die Klägerin.

Den Tätigkeitsumfang der Klägerin bei der Herstellung der 3-D-Aufnahmen konnte das Bundesarbeitsgericht als Revisionsinstanz nicht feststellen.

Bundesarbeitsgericht verweist zurück

Der Tarifvertrag fordert einen Stundenumfang von etwa einem Viertel der Arbeitszeit. Hierzu hatte das Landesarbeitsgericht noch keine Feststellungen getroffen. Daher musste das Bundesarbeitsgericht an das Landesarbeitsgericht als Tatsacheninstanz zurückverweisen.

Hierbei hielt das Bundesarbeitsgericht allerdings fest, dass maßgeblich für die Bestimmung des Arbeitsvorgangs das Arbeitsergebnis sei. Einzelnen Tätigkeiten oder Arbeitsschritte blieben zunächst außer Betracht. Erst in einem zweiten Schritt sei der Arbeitsvorgang anhand der tarifvertraglichen Merkmale zu bewerten.

So könnten sich wiederholende Tätigkeiten durchaus zusammengefasst werden. Von Beginn an organisatorisch voneinander getrennte Arbeitsschritte können jedoch nicht zusammengefasst werden.

Hierfür ist es nicht ausreichend, wenn einzelne Arbeitsschritte zwar theoretisch auf andere Beschäftigte delegiert werden könnten, tatsächlich diese Aufgaben im Betrieb des Arbeitgebers einheitlich aber nur von einem/einer Arbeitnehmer*in ausgeübt werden.

Anhand dieser Vorgaben musste das Landesarbeitsgericht feststellen, ob die Klägerin tatsächlich mindestens ein Viertel ihrer Arbeitszeit damit verbringt, Aufnahmen in 3-D herzustellen.

Links
Urteil des Bundesarbeitsgericht vom 16.03.2015 Az 4 AZR 502/14 im Volltext

Das sagen wir dazu:

Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist beizupflichten. Gerichte müssen die Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien beachten. Sie dürfen sich nicht über diese hinweg setzen und den Wortlaut durch eigene Interpretationen ersetzen. Dies jedenfalls dann nicht, wenn Wortlaut oder Gesamtzusammenhang hierzu keinen Anlass geben. Nur so kann die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie gewahrt bleiben.Dies gilt insbesondere dann, wenn sich Tätigkeiten durch die technische Entwicklung verändern. Die Klägerin, vertreten durch den DGB Rechtsschutz, konnte eine Klärung des BAG dank ihrer Mitgliedschaft in der Gewerkschaft herbeiführen.

Rechtliche Grundlagen