Es gibt Regeln, die nicht leicht zu verstehen sind. Eine dieser Regeln findet sich im Manteltarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie für das Tarifgebiet Unterweser (MTV). Der MTV unterscheidet bei Nachtarbeit zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit. Unregelmäßige Nachtarbeit liegt gemäß des MTV vor, wenn sie an weniger als fünf aufeinanderfolgenden Arbeitstagen geleistet wird. So weit, so gut.

Geringere Zuschläge für dauerhafte Nachtarbeit

Was viele Beschäftigte im Mercedeswerk in Bremen, die ausschließlich Nachtarbeit leisten, jedoch nicht einsehen wollen, ist die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge: Wer regelmäßig Nachtarbeit leistet, bekommt lediglich 15 Prozent, Beschäftigte, die unregelmäßig Nachtdienst leisten dagegen 50 Prozent.

Die Unterscheidung findet sich seit vielen Jahren in den unterschiedlichen Fassungen des MTV. Sie stammt aus einer Zeit, als Ärzte und Gesundheitspolitiker meinten, unregelmäßige Arbeitszeiten beeinträchtigen die Gesundheit mehr als regelmäßige Nachtarbeit. Diese Auffassung ist inzwischen überholt. Zwar belastet der ständige Wechsel der Arbeitsschichten den Organismus auch nach heutiger Auffassung besonders stark. Dasselbe gilt jedoch in besonderem Maße für regelmäßige Nachtarbeit.

Die Regelung des MTV führt zudem zu dem kuriosen Ergebnis, dass Teilzeitbeschäftigte, die nur an vier aufeinanderfolgenden Tagen in der Woche Nachtdienst leisten, wegen der unterschiedlichen Zuschläge ein höheres Arbeitsentgelt bekommen als Vollzeitbeschäftigte mit regelmäßiger Nachtarbeit.

Regelmäßige Nachtarbeiter setzen sich erfolgreich zur Wehr

Ein Betroffener führte mit Unterstützung der IG Metall ein Pilotverfahren vor dem Bremer Arbeitsgericht, um für seine regelmäßig in der Nacht geleistete Arbeit ebenfalls einen Zuschlag von 50 Prozent zu bekommt. Die Schlechterstellung bedeutete für ihn ein um etwa 700 Euro niedrigeres Arbeitsentgelt. Die IG Metall beauftragte die DGB Rechtsschutz GmbH damit, dass Verfahren zu führen. Das Landesarbeitsgericht Bremen (LAG) folgte jetzt der Argumentation der Kolleg*innen aus unserem Büro in Bremen.

Nach derzeitigem Kenntnisstand in der Arbeitsmedizin könne man nicht davon ausgehen, dass die Belastungen einer Nachtarbeit von fünf oder mehr aufeinanderfolgenden Tagen gesundheitlich geringer seien als Nachtarbeit an weniger als fünf aufeinanderfolgenden Tagen. Die Belastung steige vielmehr durch die Anzahl der Nächte pro Monat, in denen Nachtarbeit geleistet werde.

Die Regelung des MTV verstößt nach Auffassung des LAG gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Die Rechtsprechung müsse daher solchen Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheitswidrigen Differenzierungen führen. Zwischen regelmäßiger und unregelmäßige Nachtarbeit bestehe kein Unterschied, der eine derart unterschiedliche Nachtarbeitsvergütung rechtfertigte.

Kristina Boger: Die Entscheidung des LAG Bremen ist ein voller Erfolg

Rechtsschutzsekretärin Kristina Boger aus dem Büro Bremen der DGB Rechtsschutz GmbH zeigte sich sehr erfreut, dass das LAG ihrer Argumentation gefolgt war. „Die bislang herrschende deutliche Schlechterstellung ist nicht mehr mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit und der Auswirkungen der Nachtarbeit auf die Gesundheit vereinbar.“, so die Juristin.

Für die Unterscheidung zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit, habe jegliche Rechtfertigung gefehlt. Dass habe die DGB Rechtsschutz GmbH Dem LAG erfolgreich darlegen können. Boger: „Die Entscheidung des LAG Bremen ist ein voller Erfolg und wegweisend für alle Schichtarbeitnehmer in der Metall- und Elektroindustrie!“

Der Kläger ließ sich mit gewerkschaftlicher Unterstützung nicht auf einen Kompromiss ein

Weniger erfreut zeigte sich indessen der Arbeitgeberverband Nordmetall und Vertreter des Unternehmens. Bereits während des Verfahrens wurde klar, dass die Daimler AG eine Entscheidung in der Sache möglichst vermeiden wollte.

Sie bot dem Kläger einen hohen Betrag an, wenn er die Klage zurückzieht. Dieser blieb mit Rückendeckung der Gewerkschaft standhaft. Schließlich hat er das Verfahren stellvertretend für viele tausend Beschäftigte geführt.

Allein im Werk Bremen gibt es nach Information der IG Metall etwa 4.000 Betroffene. Dazu kommen noch einige hundert Arbeitnehmer*innen bei den Zulieferern und Dienstleistern. Das Urteil wirkt zudem bundesweit. Viele Tarifverträge in der Metall- und Elektroindustrie enthalten ähnliche Regelungen. Die Daimler AG muss sich jedenfalls darauf einrichten, Nachtarbeitszuschläge im Umfang mehrerer Millionen Euro nachzuzahlen.

Hier geht es zur Entscheidung des Landesarbeitsgericht Bremen, Urteil vom 10. April 2019 – 3 Sa 12/18 im Volltext (PDF)

Hier geht es zur Pressemitteilung der DGB Rechtsschutz GmbH zum Urteil Landesarbeitsgericht Bremen vom 10. April 2019 – 3 Sa 12/18

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Rechtliche Grundlagen

§ 6 Nacht- und Schichtarbeit Arbeitszeitgesetz (ArbZG)

Arbeitszeitgesetz (ArbZG)
§ 6 Nacht- und Schichtarbeit

(1) Die Arbeitszeit der Nacht- und Schichtarbeitnehmer ist nach den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit festzulegen.

(2) Die werktägliche Arbeitszeit der Nachtarbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn abweichend von § 3 innerhalb von einem Kalendermonat oder innerhalb von vier Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Für Zeiträume, in denen Nachtarbeitnehmer im Sinne des § 2 Abs. 5 Nr. 2 nicht zur Nachtarbeit herangezogen werden, findet § 3 Satz 2 Anwendung.

(3) Nachtarbeitnehmer sind berechtigt, sich vor Beginn der Beschäftigung und danach in regelmäßigen Zeitabständen von nicht weniger als drei Jahren arbeitsmedizinisch untersuchen zu lassen. Nach Vollendung des 50. Lebensjahres steht Nachtarbeitnehmern dieses Recht in Zeitabständen von einem Jahr zu. Die Kosten der Untersuchungen hat der Arbeitgeber zu tragen, sofern er die Untersuchungen den Nachtarbeitnehmern nicht kostenlos durch einen Betriebsarzt oder einen überbetrieblichen Dienst von Betriebsärzten anbietet.

(4) Der Arbeitgeber hat den Nachtarbeitnehmer auf dessen Verlangen auf einen für ihn geeigneten Tagesarbeitsplatz umzusetzen, wenn

a) nach arbeitsmedizinischer Feststellung die weitere Verrichtung von Nachtarbeit den Arbeitnehmer in seiner Gesundheit gefährdet oder
b) im Haushalt des Arbeitnehmers ein Kind unter zwölf Jahren lebt, das nicht von einer anderen im Haushalt lebenden Person betreut werden kann, oder
c) der Arbeitnehmer einen schwerpflegebedürftigen Angehörigen zu versorgen hat, der nicht von einem anderen im Haushalt lebenden Angehörigen versorgt werden kann,

sofern dem nicht dringende betriebliche Erfordernisse entgegenstehen. Stehen der Umsetzung des Nachtarbeitnehmers auf einen für ihn geeigneten Tagesarbeitsplatz nach Auffassung des Arbeitgebers dringende betriebliche Erfordernisse entgegen, so ist der Betriebs- oder Personalrat zu hören. Der Betriebs- oder Personalrat kann dem Arbeitgeber Vorschläge für eine Umsetzung unterbreiten.

(5) Soweit keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen bestehen, hat der Arbeitgeber dem Nachtarbeitnehmer für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren.

(6) Es ist sicherzustellen, daß Nachtarbeitnehmer den gleichen Zugang zur betrieblichen Weiterbildung und zu aufstiegsfördernden Maßnahmen haben wie die übrigen Arbeitnehmer.