Vereinbarter unwirksamer Tarifvertrag kann weiterhin wirksam sein
Vereinbarter unwirksamer Tarifvertrag kann weiterhin wirksam sein


Mit dieser Problematik hat sich das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 30. August 2017 auseinandergesetzt.
 

Der Sachverhalt

Der Kläger arbeitete zunächst bei der DRK RP gGmbH als Rettungsassistent. In seinem Arbeitsvertrag war unter anderem zu lesen:

 
                                           „§ 2 Arbeitsbedingungen   
    Das Arbeitsverhältnis regelt sich nach dem DRK-Tarifvertrag Land Brandenburg . . .“   
       
Zum 1. Januar 2009 ging das Arbeitsverhältnis auf einen anderen Arbeitgeber, die jetzige Beklagte über. Der Kläger verlangte, dass er von den inzwischen eingetretenen Erhöhungen des Tariflohns profitiert. Er klagte im Juli 2014 entsprechende Entgeltdifferenzen ein.
 

Argumente des Arbeitgebers

Die Beklagte wandte ein, dass

  • der Tarifvertrag, dessen Gültigkeit die ursprünglichen Parteien im Arbeitsvertrag    vereinbart hatten, unwirksam sei,
  • es sich allenfalls um eine statische Verweisung auf den Tarifvertrag handle und
  • der Betriebsübernehmer nicht an die ursprüngliche arbeitsvertragliche Vereinbarung gebunden sei.

 

Unwirksamkeit des Tarifvertrags

Die Beklagte brachte vor, der Tarifvertrag sei unwirksam, weil die „Gewerkschaft“, die ihn abgeschlossen habe, nicht  tariffähig sei, weil es ihr an der erforderlichen Mächtigkeit fehle.
Tatsächlich gab es zur Frage der Tariffähigkeit der „Gewerkschaft“ mehrere Gerichtsverfahren. Auf deren Ausgang kommt es jedoch nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts gar nicht an, denn die
„ … Wirksamkeit des betreffenden Tarifvertrags ist nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit einer arbeitsvertraglichen Inbezugnahme. Vielmehr können Arbeitsvertragsparteien grundsätzlich auch unwirksame Tarifverträge in Bezug nehmen.“
Allenfalls, wenn man der Formulierung im Arbeitsvertrag Anhaltspunkte dafür entnehmen könne, dass die Geltung des Tarifvertrags nur für den Fall seiner Gültigkeit vereinbart sein solle, könne etwas anderes gelten. Dass es solche Anhaltspunkte gebe, habe die Beklagte jedoch nicht einmal behauptet.
 

Dynamische oder statische Verweisung im Arbeitsvertrag

Wollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen im Arbeitsvertrag die Anwendung eines bestimmten Tarifvertrages vereinbaren, haben sie zwei Möglichkeiten. Sie können vereinbaren

  • eine statische Verweisung: Der Tarifvertrag soll dauerhaft in genau der Form gelten, die er im Moment des Abschlusses des Arbeitsvertrags hat, oder
  • eine dynamische Verweisung: Der Tarifvertrag soll in der jeweils aktuell gültigen Form Anwendung finden.

 
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist regelmäßig anzunehmen, der Tarifvertrag solle in seiner jeweils gültigen Fassung Anwendung finden. Anders sei es nur, wenn die Arbeitsvertragsparteien durch eine Datumsangabe ausdrücklich festlegen, dass lediglich eine bestimmte Fassung des Tarifvertrages bindend sein soll.
Da es im vorliegenden Fall an einer solchen ausdrücklichen Bestimmung fehlt, ist nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts von einer dynamischen Verweisung auszugehen.
 

Bindung des Betriebsübernehmers an die ursprüngliche arbeitsvertragliche Vereinbarung

Nach Meinung des Beklagten war er nicht mehr an die ursprüngliche arbeitsvertragliche Verweisung auf den Tarifvertrag gebunden, weil dem die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entgegenstehe.
Dem widerspricht das Bundesarbeitsgericht. Der Europäische Gerichtshof habe in seiner Entscheidung vom 27. April 2017 klargestellt, ein Betriebserwerber müsse sich an eine arbeitsvertragliche Verweisung zwischen ehemaligem Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen halten, wenn „ … das nationale Recht sowohl einvernehmliche als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten für den Erwerber vorsieht.“
Diese beiden Voraussetzungen sieht das Bundesarbeitsgericht als erfüllt an. Denn der Arbeitgeber könne eine Anpassung sowohl im Wege einer freiwilligen Einigung mit den Arbeitnehmer*innen als auch durch eine sozial gerechtfertigte Änderungskündigung erreichen.
 

Ergebnis

Das Bundesarbeitsgericht geht von einer wirksamen dynamischen Verweisung aus, an die sich die Beklagte halten muss. Deshalb muss sie dem Kläger das Differenzentgelt bezahlen.
 
Hier finden Sie die vollständigen Urteile:


Bundesarbeitsgericht vom 30.08.2017, 4 AZR 443/15


und

Europäischen Gerichtshof, vom 27.04.2017, C 691/15