Die rechtmäßige Vergütung zahlte die Beklagte dem Gesundheitspfleger erst nach dessen Klage. © Adobe Stock: Andy Dean
Die rechtmäßige Vergütung zahlte die Beklagte dem Gesundheitspfleger erst nach dessen Klage. © Adobe Stock: Andy Dean

Das Beschäftigungsverhältnis des 25-jährigen Gesundheits- und Krankenpflegers mit der Beklagten dauerte nach dessen Ausbildung nur drei Jahre. Im Arbeitsvertrag hatten die Parteien vereinbart, dass die Beschäftigungszeit des Klägers im Zeitpunkt des Vertragsbeginns am 1. September 2019 „0“ Jahre beträgt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden der für das Unternehmen geltende Manteltarifvertrag und die dazu abgeschlossenen Entgelttarifverträge Anwendung.

 

Zu einer Änderung der Vergütungsstruktur kam es ab Januar 2022

 

Bis zu deren Änderung im Januar 2022 richtete sich die Bezahlung des Klägers nach den Vorgaben des bereits seit längerem nicht mehr geltenden Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) und dessen Vergütungsgruppen für den Bereich der Pflegekräfte im öffentlichen Dienst.

 

Der Kläger war bis September 2021 in die Vergütungsgruppe KR IV eingruppiert. Von September 2019 bis Februar 2021 erhielt der Kläger eine Vergütung der Stufe 1 der Vergütungsgruppe KR IV. Die Beklagte zahlte dem Kläger anschließend ab März 2021 ein Entgelt nach der Stufe 2 dieser Vergütungsgruppe. Die Höherstufung erfolgte nach dem Geburtstag des Klägers am 23. Februar 2021.

 

Seit September 2021 war der Kläger dann in die Vergütungsgruppe KR V Stufe 2 eingruppiert, also eine Gehaltsgruppe höher als zuvor. Diese Höhergruppierung in die nächste Entgeltgruppe erfolgte nach seiner zweijährigen Betriebszugehörigkeit im Anschluss an die Ausbildung.

 

Die Beklagte setzte die Stufen weiter nach dem BAT fest

 

Mit seiner von Steffi Herrmann aus dem DGB Rechtsschutzbüro Halle beim Arbeitsgericht erhobenen Klage machte der Kläger eine höhere Stufenzuordnung geltend. Er begründete diese damit, die Vorgehensweise der Beklagten bei der Festlegung der Stufe in der Vergütungsgruppe verstoße gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Das verbiete eine Benachteiligung wegen des Alters (§§ 7 AGG, 1 AGG).

 

Im Unternehmen der Beklagten habe es nach der Außerkraftsetzung des BAT keine neue Stufenzuordnung gegeben. Die Beklagte hätte diese weiterhin anhand des Lebensalters vorgenommen. Die Höhergruppierung selbst sei im September 2021 demgegenüber nach dem Erreichen einer zweijährigen Betriebszugehörigkeit erfolgt. Hieraus ergebe sich eindeutig, dass die Beklagte bei der Festsetzung der Stufenzuordnung auf das Lebensalter abstelle.

 

Die höchstrichterliche Rechtsprechung ist eindeutig

 

Eine derartige Bemessung der Grundvergütung in den Vergütungsgruppen des BAT nach Lebensaltersstufen verstößt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sowie des Bundesarbeitsgerichts gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters.

 

Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 8. September 2011 (C-297/10 und C-298/10) ist geklärt, dass die im früheren BAT angeordnete Bemessung der Grundvergütungen nach Lebensaltersstufen gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, das in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) verankert und durch die Richtlinie 2000/78/EG konkretisiert worden ist, verstößt. Sie stellt eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters dar, für die es keine Rechtfertigung gibt.

 

Am 10. November 2011 entschied das Bundesarbeitsgericht, die Anwendung des insofern diskriminierenden BAT führe dazu, dass grundsätzlich allen Angestellten bis zu diesem Zeitpunkt das Grundgehalt der höchsten Lebensaltersstufe ihrer Vergütungsgruppe zusteht. Voraussetzung dafür sei die formgerechte Geltendmachung der Vergütungsansprüche innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist.

 

Die Beklagte sah sich weiter im Recht

 

Die Beklagte lehnte die Anwendung der Rechtsprechung auf den Fall des Klägers ab. In ihrem Unternehmen habe es keine altersdiskriminierende Stufenzuordnung nach den früheren Regeln des BAT gegeben.

 

Der Kläger habe sich im Verfahren mit einer jüngeren Kollegin verglichen und deren Verdienstbescheinigungen vorgelegt. Danach sei der Kläger zum Zeitpunkt der Übernahme aus dem Ausbildungsverhältnis trotz unterschiedlichen Alters ebenso wie die zum Vergleich herangezogene Kollegin in die Stufe 1 eingruppiert worden.

 

Das spreche gerade dafür, dass hier nicht das Lebensalter, sondern vielmehr die bei beiden nicht vorhandene Berufserfahrung für die Einstufung in Stufe 1 ausschlaggebendes Kriterium gewesen sei.

 

Das Arbeitsgericht entschied anders

 

Zumindest bis zur Umstellung des anwendbaren Tarifvertrages im Januar 2022 habe die Beklagte den Kläger altersdiskriminierend vergütet. Dem Kläger stehe insofern ein Anspruch auf Nachzahlung des Lohnes zu.

 

Die Beklagte habe entgegen ihrer Rechtsansicht und Einlassung in dem bis zum 31. Dezember 2021 bei ihr angewendeten Vergütungssystems die Stufenzuordnung in entsprechender Anwendung des BAT nach Lebensaltersstufen vorgenommen. Diese Stufenzuordnung habe das Bundesarbeitsgericht in seiner höchstrichterlichen Rechtsprechung verworfen. Diese sei danach rechtlich nicht mehr wirksam und ein Arbeitgeber dürfe sie nicht anwenden.

 

Die Handlungsweise der Beklagten ergebe sich unmittelbar aus den zahlreichen vom Kläger vorgelegten Entgeltabrechnungen und den anonymisierten Entgeltabrechnungen der Kollegin. Die Beschäftigungszeit im Arbeitsvertrag des am 01. September 2019 beginnenden Arbeitsverhältnisses sei ausdrücklich zum Zeitpunkt des Vertragsbeginns mit „0“ Jahren vereinbart worden. Hieraus lasse sich das Erreichen der nächsthöhen Vergütungsgruppe im September 2021 nachvollziehen. Die Stufenzuordnung weiche davon jedoch ohne sachlichen Grund ab.

 

Für die Stufenzuordnung blieb der Geburtstag maßgeblich

 

Die Stufenzuordnung habe sich erstmals von Februar 2021 auf März 2021 abgeändert. Der Kläger habe im Februar 2021 Geburtstag gehabt. Wollte die Beklagte auf ein anderes Kriterium als das Lebensalter bei der Stufenzuordnung abstellen, hätte sie im Gleichklang mit dem Erreichen der nächsthöheren Vergütungsstufe die Berufserfahrung heranziehen können, die mit dem Berufseintritt begonnen habe.

 

Das sei nicht geschehen. Eine andere Erklärung habe Beklagte auch nicht vorgetragen.

 

Das Gericht gelangte daher zu der Überzeugung, dass die Beklagte bei der Stufenzuordnung und deren Wechsel auf das Lebensalter des Klägers abgestellt hat. Es handele sich um eine ungerechtfertigte Benachteiligung des Klägers wegen seines Alters bezogen auf sein Arbeitsentgelt, so das Gericht.

 

Die höchste Stufe ist anzusetzen

 

Die Rechtsfolge dazu ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Der Kläger könne eine Vergütung nach der höchsten Stufe 9 in der jeweiligen Vergütungsgruppe für die Vertragsdauer bis zum 31. Dezember 2021 verlangen.

 

Ab Januar 2022 war ein neuer Entgelttarifvertrag in Kraft getreten. Der Kläger machte insofern keine diskriminierende Vergütung mehr geltend. Der Arbeitgeber muss ihm daher nun Entgelt für die Zeit vom 01. September 2019 bis 31. Dezember 2021 in Höhe von rund 11.000 € brutto nachzahlen.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Halle.

Das sagen wir dazu:

Gleichgelagerte Verfahren sind bei den Arbeitsgerichten Leipzig und Erfurt anhängig. Neben dem hier besprochenen Urteil der 1. Kammer des Arbeitsgerichts Halle gibt es eine Parallelentscheidung der 3. Kammer. Das von Lili Stark aus dem Rechtsschutzbüro Halle erstrittene Urteil der 3. Kammer war das Pilotverfahren, liegt aber noch nicht schriftlich ausgefertigt vor.

 

Gegen die Entscheidung der 3. Kammer hat der Arbeitgeber Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht wird nun auch darüber zu befinden haben, ob eine Diskriminierung anzunehmen ist. Die Schwierigkeit besteht dabei vor allem darin, dass es eine schriftliche Regelung zu dem „wann“ und „wie“ des Stufenaufstiegs nicht gibt, aber dennoch eine Diskriminierung nachzuweisen war.

 

Den Jurist*innen aus Halle ist das gelungen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Thema ist auch eindeutig.

Rechtliche Grundlagen

§ 1 AGG; § 7 AGG

§ 1 Ziel des Gesetzes
Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.


§ 7 Benachteiligungsverbot
(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.
(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.
(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.