Viele Menschen müssen für wenig Lohn hart arbeiten. Ab Oktober 2022 beträgt der Mindestlohn 12,00 Euro in der Stunde. © Adobe Stock - Von ferkelraggae
Viele Menschen müssen für wenig Lohn hart arbeiten. Ab Oktober 2022 beträgt der Mindestlohn 12,00 Euro in der Stunde. © Adobe Stock - Von ferkelraggae

Über sechs Millionen Menschen, vor allem in Ostdeutschland und vor allem Frauen erhalten in Deutschland den gesetzlichen Mindestlohn. Unter ihnen sind viele, die in der Pandemie dieses Land am Laufen gehalten haben. Obwohl sie hart arbeiten, reicht ihr Arbeitsentgelt kaum zum Leben. Millionen Beschäftigte müssen trotz des Mindestlohnes immer noch mit „Hartz IV“ aufstocken. Seit Januar 2022 beträgt er lediglich 9,82 Euro in der Stunde. Bei einer 40-Stunden-Woche bedeutet das ein Bruttoeinkommen von ungefähr 1.700,00 Euro.


Davon wird eine Familie kaum leben können. Hinzu kommt, dass selbst bei einer Vollzeittätigkeit und einer Berufstätigkeit von 40 Jahren eine gesetzliche Rente dabei herumkommt, die auch für Alleinstehende Armut bedeutet. Auf Grundsicherung angewiesen zu sein, nachdem man ein Leben lang hart gearbeitet hat in einem den reichsten Ländern der Welt, ist in höchstem Maße unwürdig.

Arbeitsentgelt in ausreichender Höhe ist eine Frage der Menschenwürde

Unsere Verfassung schreibt der staatlichen Gewalt vor, für eine Rechtsordnung zu sorgen, die mit den Grundrechten korrespondiert. In den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes verkörpert sich eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mehrfach entschieden, zuerst im sogenannten „Lüth-Urteil“ von 1953.


Das BVerfG hat bereits in seinem „Elfes-Urteil“ von 1957 betont, dass die Würde des Menschen zu den tragenden Konstitutionsprinzipien gehört, die alle Bestimmungen des Grundgesetzes beherrschen. Regelmäßig weist das BVerfG darauf hin, dass mit der Menschenwürde der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen verbunden sei, der es verbiete, ihn zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine „Subjektqualität“ prinzipiell in Frage stelle. Selbst durch "unwürdiges" Verhalten gehe sie nicht verloren. Sie könne keinem Menschen genommen werden.

Nachdem die Schröder-Regierung den Arbeitsmarkt weitgehend dereguliert hatte, wurde ein gesetzlicher Mindestlohn notwendig

Auf diesem Hintergrund ergibt sich gleichsam zwangsweise, dass der Staat auch für menschenwürdige Arbeitsbedingungen und insbesondere auch für menschenwürdige Arbeitseinkommen sorgen muss. In Deutschland war ein ausreichendes Mindesteinkommen lange aufgrund eines hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrades gesichert.


Nachdem dieser in vielen Branchen nicht mehr vorhanden war und eine Bundesregierung unter einen Kanzler Gerhard Schröder meinte, den Arbeitsmarkt weitgehend deregulieren zu müssen, konnte für viele Beschäftigten ein einigermaßen menschenwürdiges Leben nur durch ein Mindestlohngesetz gesichert werden. Das Mindestlohngesetz trat in Deutschland im Januar 2015 in Kraft. Von Anfang an war der staatliche Mindestlohn aber deutlich zu gering, um seiner Aufgabe gerecht zu werden. Angepasst wird er regelmäßig auf Grundlage von Beschlüssen der Mindestlohnkommission. Diese besteht aus einem Vorsitzenden, drei Arbeitnehmer- und drei Arbeitgebervertretern sowie zwei nicht stimmberechtigten beratenden Mitgliedern aus dem Bereich der Wissenschaft.

Es geht um eine Richtgröße, die im europäischen Diskurs für einen angemessenen Mindestschutz empfohlen wird

Die „Ampel“ hatte im Koalitionsvertrag vereinbart, einmalig den Mindestlohn auf brutto 12,00 Euro je Zeitstunde anzuheben. Das entspricht ungefähr 60 Prozent des Medianlohns in Deutschland. Dabei handelt es sich um eine Richtgröße, die im europäischen Diskurs für einen angemessenen Mindestschutz empfohlen wird. Die Koalition setzt also mit dem neuen Mindestlohn nicht nur eine verpflichtende Vorgabe des Grundgesetzes um, sondern passt ihn auch an den europäischen Standard an.


„Mit dem Gesetzentwurf wird die im Koalitionsvertrag vereinbarte einmalige gesetzliche Erhöhung umgesetzt“, sagt dazu Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. „Zukünftige Anpassungen des Mindestlohns erfolgen weiterhin auf Grundlage von Beschlüssen der Mindestlohnkommission, erstmals wieder bis zum 30. Juni 2023 mit Wirkung zum 1. Januar 2024“, so der Minister.

Die Entgeltgrenze für Minijobs wird auf 520,00 Euro monatlich erhöht und dynamisch ausgestaltet

In der Kabinettsitzung am 23. Februar 2022 wurde zudem verabredet, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie das Bundesministerium der Finanzen gemeinsam prüfen werden, wie durch elektronische und manipulationssichere Arbeitszeitaufzeichnungen die Durchsetzung des Mindestlohns weiter verbessert werden kann. Vermeiden will die Bundesregierung allerdings, dass die Anschaffung von Zeiterfassungssystemen beziehungsweise digitalen Zeiterfassungsanwendungen insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen übermäßig belastet. Hierzu soll die Entwicklung einer digitalen Zeiterfassungsanwendung geprüft werden, die den Arbeitgebern kostenfrei zur Verfügung gestellt werden kann.


Der Gesetzentwurf sieht auch vor, dass die Entgeltgrenze für Minijobs auf 520 Euro monatlich erhöht und dynamisch ausgestaltet wird, sodass künftig eine Wochenarbeitszeit von 10 Stunden zum Mindestlohn ermöglicht wird. Zugleich werden Maßnahmen getroffen, die die Aufnahme einer sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigung fördern.

Die Ampel will die Höchstgrenze des „Übergangsbereiches“ auf 1.600,00 Euro anheben

Im April 2003 hatte der Gesetzgeber die „Gleitzone für den Niedriglohnbereich“ eingeführt. Seit diesem Zeitpunkt gelten für Arbeitnehmer, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung innerhalb der Gleitzone ausüben, besondere Regelungen für die Ermittlung der Beitragsbemessungsgrundlage sowie für die Beitragstragung zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Der Beitragsanteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag des Arbeitgebers bleibt hingegen unverändert. Die „Gleitzone“ heißt seit dem 01.07.2019 „Übergangsbereich“. Dessen Höchstgrenze beträgt derzeit monatlich 1.300 Euro.Sie soll nach dem Gesetzentwurf auf 1.600 Euro angehoben werden. Außerdem will die Ampel die Beschäftigten innerhalb des Übergangsbereichs noch stärker entlasten. Der Belastungssprung beim Übergang aus einer geringfügigen in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wird geglättet. Damit werden die Anreize erhöht, über einen Minijob hinaus erwerbstätig zu sein. Der Arbeitgeberbeitrag wird oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze zunächst auf die für einen Minijob zu leistenden Pauschalbeiträge in Höhe von 28 Prozent angeglichen und gleitend auf den regulären Sozialversicherungsbeitrag abgeschmolzen.


Hier geht es zum Gesetzentwurf der Bundesregierung: