Die Jurist*innen des DGB Rechtsschutzbüros Kiel setzten sich beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein für einen 40-jährigen Vater von vier Kindern ein. Er klagte gegen die betriebsbedingte Kündigung seines Arbeitgebers.
Vor dem Arbeitsgericht hatte er keinen Erfolg, die Kündigung hielt Stand. Das Gericht vertrat die Auffassung, das Kündigungsschutzgesetz finde keine Anwendung, denn der Arbeitgeber beschäftige in der Regel nicht mehr als zehn Arbeitnehmer. In solchen Fällen bestehe kein Kündigungsschutz.
Der Kläger musste umfangreich recherchieren
Die Zahl der Beschäftigten im Unternehmen war schwer zu durchschauen. Es gab Teilzeitbeschäftigte in unterschiedlichem Stellenumfang. Außerdem hatten im Vorfeld und auch im Jahr zuvor mehrere Beschäftigte selbst gekündigt. Nicht alle Stellen besetzte der Arbeitgeber wieder.
Mithilfe seiner Prozessbevollmächtigten machte der Betroffene umfangreiche und gut recherchierte Angaben zu den einzelnen Mitarbeiter*innen des Unternehmens. Das half. Das Landesarbeitsgericht hob das Urteil der ersten Instanz auf und erklärte die Kündigung für unwirksam. Der Arbeitgeber müsse das Kündigungsschutzgesetz anwenden, heißt es im Urteil.
Auch Teilzeitbeschäftigte zählen mit
Das Kündigungsschutzgesetz findet auf Betriebe Anwendung, in welchen in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer*innen beschäftigt sind. Bei der Feststellung der Zahl der Beschäftigten sind Teilzeitmitarbeiter*innen mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als 20 Stunden mit 0,5 zu berücksichtigen. Wer zwischen 20 und 30 Stunden arbeitet, zählt zu 0,75 mit.
Dabei kommt es darauf an, wie sich die Zahl der Beschäftigten zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung zusammensetzt. Der Moment der Beendigung des Arbeitsverhältnisses spielt dagegen keine Rolle. Das Landesarbeitsgericht weist ausdrücklich darauf hin, dass für die Zahl der Arbeitnehmer*innen die Beschäftigungslage maßgebend ist, die den Betrieb im Allgemeinen kennzeichnet. Eine zufällige tatsächliche Beschäftigtenzahl zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung sei unbeachtlich.
Der Arbeitgeber müsse deshalb zurückblicken auf die bisherige personelle Stärke seines Betriebes. Er müsse die zukünftige Entwicklung einschätzen und dürfe dabei außergewöhnlich hohen oder niedrigen Geschäftsanfall nicht berücksichtigen.
Wer was zu beweisen hat
Beweisen müsse das alles der*die Arbeitnehmer*in. Daran dürften aber keine zu hohen Anforderungen gestellt werden, vor allem, weil der Arbeitgeber eine größere Sachnähe habe. Er könne ohne weiteres exakte Angaben zum Umfang und zur Struktur der Belegschaft und ihrer Verträge machen.
Deshalb genüge es, wenn Betroffene entsprechend ihrer Erkenntnismöglichkeiten die Tatsachen aufführten, die für die geforderte Arbeitnehmerzahl sprechen und die ihnen bekannten Umstände näher darlegten. Der Arbeitgeber müsste dann im Einzelnen erklären, was rechtlich dagegen spreche.
Rechnen allein reicht nicht aus
Das Kündigungsschutzgesetz sei anwendbar, auch wenn im Betrieb zum Zeitpunkt der Kündigung nicht mehr als zehn Beschäftigte tätig gewesen seien, so das Landesarbeitsgericht.
Wenige Monate zuvor hätten nachweislich noch mehr als zehn Arbeitnehmer*innen dort gearbeitet. Dann aber hätten im Jahr zuvor fünf Beschäftigte selbst gekündigt und noch einmal fünf im laufenden Jahr. Der Arbeitgeber habe aber nicht alle Stellen wieder besetzt.
Eine Beschäftigte habe zudem ihre Arbeitszeit kurz nach der Kündigung des Klägers aufgestockt. Wenig später sollten laut einer bereits im Vorjahr geschalteten Stellenanzeige weitere zusätzliche Mitarbeiter*innen eingestellt werden.
Steigender Personalbedarf hat Bedeutung
Die Beklagte habe zwar darauf hingewiesen, dass sie einen erheblichen Umsatzrückgang infolge der Corona-Pandemie gehabt habe. Sie müsse nun dringend Akquise betreiben und brauche weitere personelle Unterstützung für den Betrieb. Der Personalstand sank daher vor Ausspruch der Kündigung, sollte später aber wieder ansteigen.
Das Landesarbeitsgericht blickte zurück auf die bisherige regelmäßige Zahl der Beschäftigten. Wichtig waren für das Gericht dabei die Stellenanzeigen, die der Arbeitgeber im Anschluss an Eigenkündigungen geschaltet hatte. Aus dem offensichtlichen Personalbedarf ergab sich für das Gericht, dass im Unternehmen in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer arbeiteten.
Das Gericht hielt das Kündigungsschutzgesetz deshalb für anwendbar. Es hätte damit einer Sozialauswahl bedurft. Eine solche hatte der Arbeitgeber aber nicht durchgeführt, weil er davon ausging, hierzu nicht verpflichtet zu sein. Damit war die gegenüber dem 40-jährigen ausgesprochene Kündigung rechtsunwirksam. Der Mann durfte weiter arbeiten.
Das sagen wir dazu:
Bemerkenswert an dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein ist die Ausführlichkeit, mit der das Gericht erläutert, welchen Blick der Arbeitgeber auf die in seinem Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer*innen werfen muss.
Dass es dabei keinesfalls um eine Momentaufnahme gehen kann, lässt Arbeitnehmer*innen in kleinen Betrieben hoffen. Häufige Wechsel des Personalbestandes, Stellenausschreibungen, Aufstockungen von Teilzeitbeschäftigten - all dies sind Anhaltspunkte, die in die Beurteilung einfließen müssen. Dabei darf es nicht ausschließlich bei einer zurückschauen Betrachtung bleiben, auch künftig vorgesehene Stellenbesetzungen finden Beachtung.
Dass das Landesarbeitsgericht hier anders gezählt hat als das Gericht der ersten Instanz, zeigt, dass es eine starre Zählweise nicht gibt. Gut, dass der Kläger hier rechtlich bestens beraten war und in seinem Kündigungsschutzprozess den Weg zur Berufungsinstanz wählte.
Rechtliche Grundlagen
§ 23 I 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
§ 23 Geltungsbereich
(1) Die Vorschriften des Ersten und Zweiten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten und des öffentlichen Rechts, vorbehaltlich der Vorschriften des § 24 für die Seeschiffahrts-, Binnenschiffahrts- und Luftverkehrsbetriebe. Die Vorschriften des Ersten Abschnitts gelten mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden. In Betrieben und Verwaltungen, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden, gelten die Vorschriften des Ersten Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2003 begonnen hat; diese Arbeitnehmer sind bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach Satz 2 bis zur Beschäftigung von in der Regel zehn Arbeitnehmern nicht zu berücksichtigen. Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach den Sätzen 2 und 3 sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen.
(2) Die Vorschriften des Dritten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten Rechts sowie für Betriebe, die von einer öffentlichen Verwaltung geführt werden, soweit sie wirtschaftliche Zwecke verfolgen.
Das sagen wir dazu