Der Qualitätsmanager hatte die Unterzeichnung des neuen Vertrages abgelehnt. © Adobe Stock: airdone
Der Qualitätsmanager hatte die Unterzeichnung des neuen Vertrages abgelehnt. © Adobe Stock: airdone

Auf ein interessantes, von ihm erstrittenes Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2021 macht uns Thomas Heller vom Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht aufmerksam. „Es enthält die Klarstellung, dass die Weigerung, eine Vereinbarung über ein Prozessarbeitsverhältnis zu unterschreiben, jedenfalls dann kein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs darstellt, wenn die Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung tituliert ist“, fasst er die Entscheidung zusammen.

 

Doch was ist ein Prozessarbeitsverhältnis? Bei einem Prozessarbeitsverhältnis handelt es sich um ein Angebot des Arbeitgebers an den*die Arbeitnehmer*in, während des Kündigungsschutzprozesses weiterzuarbeiten. Der Lohn bleibt im Regelfall gleich, ebenso der Arbeitsplatz. Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gibt es aber nicht. Damit ist das Prozessarbeitsverhältnis ein „normales“ Arbeitsverhältnis.

 

Der vom DGB Rechtsschutz vertretene Kläger gewann seinen Prozess beim BAG

 

In unserem Fall hatte ein Qualitätsmanager vor dem Arbeitsgericht Heilbronn geklagt. Sein Arbeitgeber kündigte 2019 sein Arbeitsverhältnis aus betrieblichen Gründen. Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt. Gleichzeitig verurteilte es den Arbeitgeber, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Prozesses zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen. Die Berufung nahm der Arbeitgeber später zurück. Das Arbeitsverhältnis bestand deshalb fort.

 

Das Angebot eines Prozessarbeitsverhältnis

 

Der Arbeitgeber bot dem Kläger für die Dauer des Berufungsverfahrens ein befristetes Prozessarbeitsverhältnis an. Die danach vorgesehenen Aufgaben entsprachen fast vollkommen seiner bisherigen Tätigkeit. Das Prozessarbeitsverhältnis sollte bis zum Abschluss des Gerichtsverfahrens, also auflösend bedingt und beidseits mit einer Frist von vier Wochen zum Monatsende kündbar sein. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verwies der Arbeitgeber darauf, dass es keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und auch keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub geben solle.

 

Der Kläger nahm das Angebot nicht an. Der Arbeitgeber beschäftigte ihn daraufhin nicht und zahlte auch keinen Lohn. Der Mann beschritt erneut den Rechtsweg und machte seinen Lohn – abzüglich des erhaltenen Arbeitslosengeldes – geltend. Das Arbeitsgericht Heilbronn sprach ihm in erster Instanz den Lohn aus Annahmeverzug nicht zu. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hob die Entscheidung auf.

 

Die Revision des Arbeitgebers wies das Bundesarbeitsgericht nun zurück. Die Beklagte habe den Kläger im Streitzeitraum nicht beschäftigt und habe sich aufgrund ihrer unwirksamen Arbeitgeberkündigung im Annahmeverzug befunden, ohne dass ein (erneutes) Angebot der Arbeitsleistung erforderlich gewesen wäre.

 

Die Anrechnung anderweitigen Verdienstes

 

Bestehe ein Arbeitsverhältnis über den Termin der ausgesprochenen Kündigung hinaus fort, schulde der Arbeitgeber in der Regel weiteren Lohn. Darauf müssten sich Arbeitnehmer*innen das anrechnen lassen, was sie hätten verdienen können, wenn sie es nicht böswillig unterlassen hätten, eine zumutbare Arbeit anzunehmen.

 

Ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes liege vor, wenn dem*der Betroffenen ein Vorwurf daraus gemacht werden könne, während des Annahmeverzuges trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig geblieben zu sein und eine nach Treu und Glauben zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufgenommen bzw. bewusst verhindert zu haben.

 

Maßgeblich seien die Umstände des Einzelfalls. Um zu prüfen, ob Böswilligkeit vorliege, sei stets eine Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen erforderlich. Dazu müssten alle konkreten Umstände des Einzelfalls bewertet werden.

 

Das konkrete Arbeitsangebot

 

Die Beklagten habe dem Kläger eine Beschäftigung angeboten, die diesem an sich zumutbar gewesen sei. Diese habe zu etwa 80 Prozent den Arbeiten entsprochen, die der Kläger zuletzt ausgeübt hatte. Eine Unzumutbarkeit der restlichen Arbeiten habe der Kläger nicht geltend gemacht.

 

Er habe sich im Übrigen grundsätzlich bereit erklärt, die Arbeit aufzunehmen und lediglich die von der Beklagten als Voraussetzung für die Arbeitsaufnahme verlangte Unterzeichnung einer Vereinbarung über ein befristetes Prozessarbeitsverhältnis abgelehnt.

 

Der Kläger habe zwar vorsätzlich eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit bei seinem Arbeitgeber abgelehnt. Daraus resultiere jedoch kein Vorwurf, der die Böswilligkeit begründen könnte. Der Kläger habe keine Pflicht gehabt, trotz des früher erstrittenen, vorläufig vollstreckbaren Weiterbeschäftigungsurteils während des laufenden Kündigungsschutzprozesses neben dem gekündigten Arbeitsverhältnis ein befristetes Prozessarbeitsverhältnis einzugehen.

 

Der zur Weiterbeschäftigung verurteilte Arbeitgeber könne im Einzelfall ein berechtigtes Interesse daran haben, eine Prozessbeschäftigung einzugehen. Unabhängig davon, welche konkreten Regelungen er dafür anbiete, sei der*die gekündigte Arbeitnehmer*in nicht verpflichtet, ein Angebot des Arbeitgebers zu einer vertraglichen Gestaltung der Weiterbeschäftigung während des fortlaufenden Kündigungsschutzprozesses anzunehmen, obwohl ein vorläufig vollstreckbares Weiterbeschäftigungsurteil vorliege.

 

Der bindende Rechtsanspruch

 

Das Gesetz verpflichte Arbeitnehmer*innen, aus Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitgeber, einen zumutbaren Zwischenverdienst zu erzielen. Diese Rücksichtnahme ende jedoch, wenn der*die Arbeitnehmer*in einen vorläufig vollstreckbaren Titel und damit einen bindenden Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung habe. Das Beharren des Klägers darauf, dass der Arbeitgeber seine aus dem Titel folgende Rechtspflicht erfülle, sei nicht treuwidrig.

 

Die Kläger habe nicht ohne sachlichen Grund einen ihm zumutbaren Zwischenverdienst unterlassen. Zur Minderung des Annahmeverzugsrisikos hätte es der Beklagten oblegen, der Verpflichtung aus dem Weiterbeschäftigungsurteil nachzukommen.

 

Hier geht es zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2021 im Volltext.

Das sagen wir dazu:

Nicht alles wird anders

 

In diesem Rechtsstreit ging es im Wesentlichen darum, dass sich der Kläger bei einem letztlich fortbestehenden Arbeitsverhältnis weigerte, eine Vereinbarung über ein Prozessarbeitsverhältnis mit seinem Arbeitgeber einzugehen und dieser ihn daraufhin nicht beschäftigte. Dadurch geriet der Arbeitgeber in Annahmeverzug mit der Konsequenz, dass der Kläger Anspruch auf den ausstehenden Lohn hat.

 

Davon ist die Situation zu unterscheiden, in welcher der Arbeitgeber dem Weiterbeschäftigungsurteil nachkommt. Hierzu hat das Bundesarbeitsgericht am 27. Mai 2020 (5 AZR 247/19) entschieden, dass keine Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bzw. an Feiertagen bestehen, wenn ein*e gekündigte*r Arbeitnehmer*in nach Ablauf der Kündigungsfrist zur Abwendung der Zwangsvollstreckung während des Prozesses vorläufig weiterbeschäftigt wird und sich die nachträglich Kündigung als wirksam erweist.

 

Der Weiterbeschäftigungsanspruch ist auf die tatsächliche Beschäftigung gerichtet und sichert das ideelle Beschäftigungsinteresse des*der Arbeitnehmer*in. Er verlangt nur die tatsächliche Beschäftigung. Eine Prozessbeschäftigung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung begründet kein Arbeitsverhältnis, auch kein faktisches oder fehlerhaftes Arbeitsverhältnis.

 

Das Prozessarbeitsverhältnis selbst ist damit keineswegs komplett vom Tisch.

 

Hier geht es zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Mai 2020