Fällt ein Arbeitnehmer wiederholt wegen sexueller Belästigungen auf, ist eine fristlose Kündigung gerechtfertigt. Es ist dabei unbeachtlich, ob er Kolleginnen verbal oder körperliche belästigt.

Ein Mitarbeiter eines Möbelhauses mit mehreren hundert Arbeitnehmern klagte gegen seine Kündigung. Ihm wurde vorgeworfen, eine Kollegin verbal sexuell belästigt zu haben. Der Betriebsrat war ordnungsgemäß zur Kündigung angehört worden. Bereits im Jahr 2007 war der Mitarbeiter wegen der Belästigung einer Mitarbeiterin durch einen Schlag auf das Gesäß abgemahnt worden.

Der Mitarbeiter war der Auffassung, die Kündigung sei rechtsunwirksam. Er habe die Mitarbeiterin nicht sexuell belästigt, sondern lediglich „geneckt“. Insbesondere mit einem Hinweis auf frühere Abmahnungen habe der Arbeitgeber in unzulässiger Weise ein negatives Bild von ihm gezeichnet, auch wenn er zugleich mitgeteilt habe, dass diese früheren Abmahnungen unstreitig schon wieder aus seiner Personalakte entfernt worden seien.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass die streitigen Äußerungen des Klägers vom 25. und 26. Juni 2008 die Mitarbeiterin an ihrem Arbeitsplatz wiederholt sexuell belästigt haben (§ 3 Abs. 4 AGG. Eine sexuelle Belästigung stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung geeignet. Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen wie Umfang und Intensität. Eine sexuelle Belästigung liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Für das „Bewirken“ genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Vorsätzliches Verhalten der für dieses Ergebnis objektiv verantwortlichen Person ist nicht erforderlich. 
 
Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit in § 3 Abs. 4 AGG erfordert - anders als noch § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BSchG des mit Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 außer Kraft getretenen Beschäftigtenschutzgesetzes  (BSchG) - nicht, dass die betroffene Person ihre ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht hat. Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war.
 
Die nach § 626 Abs. 1 BGB erforderliche Interessenabwägung hat unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Ist der Arbeitnehmer wegen gleichartiger Pflichtverletzungen schon einmal abgemahnt worden und verletzt er seine vertraglichen Pflichten gleichwohl erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch weiterhin zu Vertragsstörungen kommen. Dabei ist nicht erforderlich, dass es sich um identische Pflichtverletzungen handelt. Es reicht aus, dass die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und somit Abmahnungs- und Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen. Ein solcher innerer Zusammenhang besteht zwischen sexuellen Belästigungen durch körperliche Berührung und solchen verbaler Art.

Den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz konkretisiert auch § 12 Abs. 3 AGG. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen sexuelle Belästigungen gehören, im Einzelfall die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Geeignet in diesem Sinne sind nur Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, also eine Wiederholungsgefahr ausschließen. Das war hier nicht der Fall: Trotz der Abmahnung von 2007, mit der der Arbeitgeber zum Ausdruck gebracht hatte, dass bei einer erneuten Pflichtverletzung die Kündigung folgen würde, hatte der Kläger sein Verhalten gegenüber Kolleginnen nicht geändert. Der Kläger konnte ohne Weiteres erkennen, dass die Beklagte die abermalige Belästigung einer Mitarbeiterin - unabhängig davon, ob diese verbal oder durch körperliche Berührung stattfände - nicht hinnehmen und zum Anlass für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nehmen würde.

Carsten Schuld:

Brauchte es wirklich noch einmal eines Urteils des obersten deutschen Arbeitsgerichts, um klar zu machen, dass sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ein wichtiger Grund für eine Kündigung ist? Offenkundig, denn das LAG Hamm hatte dies anders gesehen. Die verbalen Entgleisungen eines Managers gegenüber einer 26jährigen Assistentin lagen nach Ansicht des LAG in einem „weniger gravierenden Bereich“. Eine etwa ein Jahr alte Abmahnung wegen eines Schlags auf das Gesäß einer anderen Mitarbeiterin erschien dem LAG als nicht einschlägig.
Dem daraus möglicherweise folgenden Gedanken, sexuelle Belästigung sei ein Kavaliersdelikt, hat das BAG eine klare Absage erteilt. Wie immer in juristische Worte und Argumentation gepackt hat das BAG doch drei Dinge klar gemacht:

1. Sexuelle Belästigung jede Art ist grundsätzlich ein Anlass für eine fristlose Kündigung.

2. Sexuelle Belästigung kann auch in verbalen Entgleisungen bestehen.

3. Es reicht, wenn die Bemerkungen oder Taten als sexuelle Belästigung verstanden werden können.

Eine Absicht muss dem Belästiger nicht nachgewiesen werden. Es kann sich also kein Mann damit herausreden, er habe es nicht gewusst. Es ist auch nicht notwendig, dass die belästigte Person auf die Belästigung hinweisen oder sich dagegen wehren muss. Das Urteil bringt (scheinbar) notwendige Klarheit und Betriebsräten einen klaren Leitfaden. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist nicht zu tolerieren und darf nicht aus falsch verstandener Kollegialität verharmlost werden.
Das BAG hat in seiner Argumentation immer wieder auf das AGG verwiesen. Dies kann auch als Fingerzweig gesehen werden, dass dieses Gesetz nicht nur den Schutz für Frauen verlangt sondern auch den Schutz von  Menschen, die religiös anders denken oder geschlechtlich anders orientiert sind.