Auch dort, wo Menschen unter einem besonderen Schutz stehen sollen, können sie Opfer schwerer Straftaten werden. Bundesweit hat etwa der Fall des Krankenpflegers Niels H. für Aufsehen gesorgt, dem zahlreiche Morde an Patient*innen zur Last gelegt werden. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte jetzt mit einem Fall zu tun, in dem die Mitarbeiterin in einer Behindertenhilfe im Verdacht steht, vier Tötungsdelikte begangen zu haben.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen der Schuldfähigkeit der Täterin

Arbeitgeberin ist eine Einrichtung, die Teilhabeleistungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Behinderungen anbietet. Der Betreiber der Einrichtung hat das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt. Hiergegen hat die Beschäftigte sich mit einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht gewehrt. Zugleich führt die Staatsanwaltschaft strafrechtliche Ermittlungen gegen die Arbeitnehmerin durch. Bei den Ermittlungen geht es unter anderem darum, ob die Mitarbeiterin schuldfähig war. Insoweit steht noch ein psychiatrisches Gutachten aus.

Verurteilen kann ein Strafgericht einen Täter für Mord oder Totschlag nämlich nicht, wenn er wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Das regelt § 20 des Strafgesetzbuches (StGB).

Ein Aussetzungsgrund ist nur gegeben, wenn die strafrechtlichen Ermittlungen maßgeblich für die Entscheidung des Arbeitsgerichts sind

Das Arbeitsgericht Potsdam hat das Kündigungsschutzverfahren deshalb ausgesetzt. Es wollte abwarten, ob das Gutachten ergibt, dass die Mitarbeiterin schuldfähig ist. Gegen den entsprechenden Beschluss des Arbeitsgerichts hat der Betreiber der Behinderteneinrichtung Beschwerde eingelegt.

Das LAG hat den Beschluss jetzt aufgehoben. Ein Aussetzungsgrund sei nur gegeben, wenn die strafrechtlichen Ermittlungen maßgeblich für die Entscheidung des Arbeitsgerichts seien, so das Gericht. Dies könne hier für die Frage der Schuldfähigkeit der Mitarbeiterin nicht festgestellt werden. Jedenfalls für die hier neben einer verhaltensbedingten Kündigung zusätzlich ausgesprochene personenbedingte Kündigung käme es nicht auf die Schuldfähigkeit an.

Bei einem Tötungsdelikt fehle der Mitarbeiterin im Sinne eines personenbedingten Kündigungsgrundes die Eignung für die Tätigkeit auch bei fehlender Schuldfähigkeit. Auch in diesem Fall sei eine weitere Zusammenarbeit mit ihr weder der Arbeitgeberin noch den weiteren Beschäftigten zumutbar.

Dass die Vorwürfe auch Gegenstand eines Strafverfahrens seien, rechtfertige die Aussetzung nicht. Für die Entscheidung des Arbeitsgerichts komme es nicht auf das strafrechtliche Urteil, sondern den Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten und einen damit gegebenenfalls verbundenen Vertrauensbruch an.

Hier geht es zur Pressemitteilung des Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zum Beschluss vom 6. Oktober 2021 - Az. 11 Ta 1120/21

Das sagen wir dazu:

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist keine Strafe. Kein Arbeitsgericht würde das als Kündigungsgrund gelten lassen. Bei einer Kündigung kommt es vielmehr darauf an, ob die Vertragsparteien davon ausgehen können, dass das Arbeitsverhältnis in Zukunft ohne erhebliche Störung fortgesetzt werden kann. Die verhaltensbedingte Kündigung setzt aber zunächst voraus, dass die/der Beschäftigte überhaupt gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen hat. Anders ist es, wenn der Arbeitgeber aus Gründen gekündigt hat, die in der Person der/des Beschäftigten liegen. Hier kann nämlich ein Verhalten personenbedingter Kündigungsgrund sein, dass die/der Beschäftigte nicht steuern kann. Der häufigste personenbedingte Kündigungsgrund ist der wegen Krankheit. Das Bundesarbeitsgericht hat mehrfach betont, dass als personenbedingter Kündigungsgrund solche Umstände in Betracht kommen, die auf einer in den persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften des Arbeitnehmers liegenden "Störquelle" beruhen. Dazu zählt nach ständiger Rechtsprechung des BAG etwa auch eine Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers, die auf einer Straf- oder Untersuchungshaft beruht.

 

Die Beschäftigte in einer Behindertenhilfe, die getötet hat, besitzt auf jeden Fall die Eigenschaft einer "Störquelle", unabhängig davon, ob sie die Taten im Sinne der strafrechtlichen Schuldfähigkeit überhaupt verantwortet. Der Arbeitgeber kann für die Zukunft nicht darauf vertrauen, dass sie nicht wieder Menschen tötet. Selbst wenn sich also im Strafverfahren herausstellen würde, dass die Mitarbeiterin wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig war, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, dürfte das Vertrauensverhältnis für die Zukunft zerstört sein.

 

Es ist daher zutreffend, dass das Ergebnis des Gutachtens für das Kündigungsschutzverfahren nicht von entscheidender Bedeutung ist. Hier kommt es vor allem darauf an, ob die Beschäftigte tatsächlich getötet und in diesem Sinne gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen und einen damit gegebenenfalls verbundenen Vertrauensbruch begangen hat.

Rechtliche Grundlagen

§ 20 Strafgesetzbuch (StGB) / § 149 Zivilprozessordnung (ZPO)

§ 20 Strafgesetzbuch (StGB)
Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

§ 149 Zivilprozessordnung (ZPO)
Aussetzung bei Verdacht einer Straftat

(1) Das Gericht kann, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen.
(2) Das Gericht hat die Verhandlung auf Antrag einer Partei fortzusetzen, wenn seit der Aussetzung ein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn gewichtige Gründe für die Aufrechterhaltung der Aussetzung sprechen.