Wird die Ware an der Kasse über einen Scanner gezogen, ist nicht alles Diebstahl, was der Scanner nicht erfasst. Copyright by Adobe Stock/Robert Kneschke
Wird die Ware an der Kasse über einen Scanner gezogen, ist nicht alles Diebstahl, was der Scanner nicht erfasst. Copyright by Adobe Stock/Robert Kneschke

Die Klägerin des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht Reutlingen ist Kassiererin im Einzelhandel. Ihr Arbeitgeber beschuldigte sie, gestohlen zu haben, und kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos. Gegen die Kündigung erhob die Betroffene gemeinsam mit dem DGB Rechtsschutzbüro Reutlingen Klage beim Arbeitsgericht.

Die Klägerin soll mehrere Chipstüten nicht bezahlt haben

Der Arbeitgeber behauptete im Prozess, die Klägerin habe beim Bezahlen ihres Einkaufs mehrere Chipstüten und eine Kaffeemaschine vorsätzlich nicht bezahlt. Eine Arbeitskollegin an der Kasse mache mit ihr gemeinsame Sache.
 
Der Hausleiter habe gesehen, dass die Klägerin mit ihrem Einkauf, der aus mehreren Chipstüten und einer Kaffeemaschine bestand, an die Kasse ihrer Kollegin gekommen sei. Sie habe ihrer Kollegin Geld gegeben. Anschließend habe die Klägerin die Chipstüten und die Kaffeemaschine an sich genommen und die Kassenzone in Richtung Ausgang verlassen.

Die Klägerin soll nur 0.97 € bezahlt haben

Der Hausleiter habe sodann eine Bonkontrolle veranlasst. Auf dem Bon sei lediglich eine Chipstüte im Wert von 0,97 € registriert gewesen. Die Klägerin habe zwar behauptet, sie habe zum Bezahlen eine Gutscheinkarte vorgelegt. Die Beschäftigten verfügten über sogenannten Corona-Gutscheinkarten, von der die Kassiererin die jeweilige Einkaufsumme abziehe. Das stehe dann so auf den Bon, was bei der Klägerin nicht der Fall gewesen sei.
 
Die Klägerin gab hierzu an, sie habe nicht bemerkt, dass sie zu wenig gezahlt habe. Der Fehler liege bei der Kassiererin.

Der Chef beharrt auf seiner Aussage

Das ließ der Chef nicht gelten. Der Klägerin hätte auffallen müssen, dass sie schon alleine beim Kauf einer Kaffeemaschine mehr als 0,97 € bezahlen müsste. Die Beklagte gehe weiterhin davon aus, dass die Klägerin einvernehmlich mit der Kassiererin zusammen gewirkt habe, um die Beklagte zu schädigen.
 
Die Kassiererin habe absichtlich nicht kassiert, um der Klägerin einen Vorteil zu verschaffen. Das habe diese bewusst akzeptiert.

Die Klägerin kaufte nur mehrere Tüten Chips

Die Klägerin bestand jedoch weiterhin auf ihrer Aussage. Ihre Einkäufe habe sie schon vor Schichtbeginn erledigt. Während der Arbeit sei ihr eingefallen, dass sie vergessen habe, Chips zu kaufen. Die gewünschte Anzahl von Chipstüten habe sie in einen leeren Karton aus dem Regal gefüllt und an die Kasse gebracht.
 
Während des Bezahlvorgangs habe sie sich mit der Kassiererin unterhalten und ihren Einkauf anschließend mit ihrer Corona-Gutscheinkarte bezahlt. Sie habe ausschließlich Chipstüten in dem Karton zur Kasse gebracht, bezahlt und mitgenommen. Der Hausleiter habe keine Kontrolle vorgenommen.
 

Die Beklagte legte den Inhalt des Gesprächs nicht offen

Erst am nächsten Tag sei es zu einem Gespräch der Klägerin mit dem Hausleiter gekommen. Es falle auf, dass die Beklagte den Inhalt dieses Gesprächs im Prozess selbst nicht schildere. Die Klägerin habe nichts entwendet.
 
Das Arbeitsgericht hörte sich die Schilderungen der Parteien genau an und wies darauf hin, dass ein Diebstahl grundsätzlich zur fristlosen Kündigung berechtige.
 

Die Aussagen der Beklagten blieben sehr vage

Die Beklagte habe aber keinen Sachverhalt dargelegt und bewiesen, aus dem sich ein Diebstahl herleiten ließe. Die Beklagte stütze sich bei ihrer Aussage auf den Bon, aus dem sich ein Einkaufswert von 0.97 € für lediglich eine Chipstüte ergebe.
 
Aus diesem Sachverhalt lasse sich nicht folgern, die Kläger habe beabsichtigt, mehrere Chipstüten und insbesondere eine Kaffeemaschine ohne Bezahlung mitzunehmen. Die Klägerin selbst wolle demgegenüber nur die Chipstüten gekauft haben. Sie sage auch, dass sie mit einer Corona-Mitarbeiterkarte und nicht bar bezahlt habe. Deshalb müsse ihr nicht unbedingt aufgefallen sein, dass nicht alles abgebucht wurde.
 

Es könnte sich um ein Versehen gehandelt haben

Dazu hätte sie ihren Kassenzettel genau ansehen müssen. Dass das geschehen sei, trage die Beklagte nicht vor. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Kassiererin die Ware nicht ordnungsgemäß über den Scanner gezogen habe, ohne dass dies der Klägerin aufgefallen sei. Allein aufgrund der dargelegten Beobachtung des Hausleiters und des Boninhalts könne das Gericht nicht zu der Überzeugung gelangen, dass die Klägerin ihren Einkauf nicht bezahlen wollte.
 

Die Beklagte hätte sich etwas mehr Mühe machen müssen

Dazu hätte die Beklagte im Einzelnen darlegen müssen, wie sich die Klägerin auf welchen Vorhalt hin an dem Tag der Anhörung eingelassen habe. Dazu trage die Beklagte aber nur vor, die Klägerin sei mit dem Sachverhalt konfrontiert worden. Welchen Sachverhalt genau die Beklagte der Klägerin in dieser Anhörung mitgeteilt haben will, welche Fragen sie der Klägerin gestellt habe und wie diese geantwortet habe, gehe aus dem Vortrag der Beklagten nicht hervor. Die Ausführungen der Beklagten seien nicht konkret genug.
 
Die Kündigung sei deshalb rechtsunwirksam. Die Beklagte müsse die Klägerin weiter beschäftigen.
 
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Urteil des AG Reutlingen