Ohne Pausen droht bei Fahrtätigkeiten der Sekundenschlaf mit oftmals weitreichenden Konsequenzen. Copyright by Adobe Stock/Paolese
Ohne Pausen droht bei Fahrtätigkeiten der Sekundenschlaf mit oftmals weitreichenden Konsequenzen. Copyright by Adobe Stock/Paolese

Gleich über drei Kündigungen musste das Arbeitsgericht Koblenz entscheiden, nachdem ein Beschäftigter darum gebeten hatte, intern umgesetzt zu werden. Dem Arbeitgeber mag man zu Gute halten, dass diese schriftliche Bitte des Mitarbeiters etwas unglücklich formuliert war.
 

Sekundenschlaf bei längeren Autofahrten

Der Beschäftigter hatte nämlich darauf hingewiesen, erhebliche gesundheitliche Probleme zu haben, die ihn an längeren Autofahrten hindern. Durch den sogenannten Sekundenschlaf sehe er sich nicht in der Lage, weiterhin als Fahrer zu arbeiten.
 
Der Arbeitgeber nahm das zum Anlass, bei seinem Mitarbeiter eine Schlafkrankheit anzunehmen. Deswegen kündigte er das Arbeitsverhältnis krankheitsbedingt. Hiergegen erhob Silke Müller-Thönißen vom DGB Rechtsschutzbüro Koblenz im Auftrag des Arbeitnehmers Klage beim Arbeitsgericht.
 

Unwahre Behauptungen im Prozess

Der Betroffene widersprach den Feststellungen des Arbeitgebers, er leide an einer Schlafkrankheit. Er befürchte nur einen Sekundenschlaf, wenn er keine Pause machen könne. Das nahm der Arbeitgeber zum Anlass erneut zu kündigen. Er unterstellte seinem Mitarbeiter, im Prozess bewusst die Unwahrheit zu sagen. Den Vorgesetzten gegenüber habe er eine schwere Schlafkrankheit erwähnt.
 
Gemeinsam mit seiner Prozessbevollmächtigten versuchte der Kläger, die Sache zu klären. Die Beklagte fordere von ihren Fahrern auch bei längeren Touren mit Fahrzeiten von über sechs Stunden einen Einsatz ohne Pause. Wegen dieses Hinweises kam es zu einer dritten Kündigung.
 

Der Auflösungsantrag des Arbeitgebers

Da der Arbeitgeber sich schließlich außerstande sah, mit seinem langjährigen Mitarbeiter künftig vertrauensvoll zusammen zu arbeiten, stellte er außerdem noch einen Auflösungsantrag. Das Gericht sollte unter Zahlung einer vom Gericht festzusetzenden Abfindung das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger für beendet erklären.
 

Der Ablauf des Geschehens

Ursprünglich arbeitete der Kläger als Aushilfe im Bereich Logistik. Später war er dann als Fahrer auf kürzeren Fahrtouren eingesetzt. Auf seinen Strecken konnte er wegen mehrerer Fahrunterbrechungen und Leerlaufzeiten Pausen einlegen. Zuletzt war das aber nicht mehr möglich. Der Arbeitgeber setzt den Kläger vermehrt auf langen Touren ein. Pausen ließen sich dann nur noch schwer einplanen.
 
Darauf wies der Kläger seine Vorgesetzten hin. Er äußerte insbesondere eine Angst davor, ohne ausreichende Pausen bei der Fahrt einen Sekundenschlaf zu erleiden. Die Gegenseite wollte das offensichtlich nicht gelten lassen.
 

Der Vertrauensverlust beim Arbeitgeber

Der Arbeitgeber warf dem Kläger vor, zu lügen. Zu Beginn habe er gegenüber den Zeugen des Arbeitgebers mitgeteilt, an einer schweren Schlafkrankheit zu leiden. Dem widerspreche er jetzt. Er habe auch einen Prozessbetrug begangen, indem er darauf hinweise, dass im Betrieb arbeitszeitschutzrechtliche Bestimmungen nicht eingehalten würden. Das Vertrauen in die Zusammenarbeit mit dem Kläger sei ganz erheblich zerstört.
 
Das Gericht überzeugte die Begründung für diese drastischen Maßnahmen nicht. Es gab allen drei Kündigungsschutzklagen statt, wies den Auflösungsantrag des Arbeitgebers ab und sprach im Kläger einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung und diverse Lohnansprüche zu. Ein Erfolg auf ganzer Linie.
 

Keine krankheitsbedingte Kündigung ohne Krankenschein

Zur ersten Kündigung meint das Gericht, dass dem Kläger krankheitsbedingt nicht gekündigt werden könne. In den langen Jahren seiner Beschäftigung sei er lediglich an zwei Tagen arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Für die Zukunft sei nicht zu erwarten, dass der Kläger längerfristig oder häufiger erkranken würde.
 
Der Arbeitgeber habe auch kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt.
 

Bewusst wahrheitswidrige Äußerungen

Auch die zweite Kündigung halte einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Beklagte werfe dem Kläger vor, mehrfach bewusst die Unwahrheit gesagt zu haben, um sich eine Versetzung zu erschleichen. Denn er habe gegenüber seinen Vorgesetzten auf die schwerwiegende Schlafkrankheit verwiesen. Über seine Prozessbevollmächtigte trage er im Gerichtsverfahren nun vor, daran nicht zu leiden.
 
Grundsätzlich könnten bewusst wahrheitswidrige Äußerungen eines Arbeitnehmers in einem Rechtsstreit durchaus einen Kündigungsgrund für den Arbeitgeber darstellen, so das Arbeitsgericht.
 

Kein Verstoß gegen prozessuale Pflichten

Der Hinweis des Klägers darauf, dass er nicht an einer Schlafkrankheit leide, führe aber nicht zu einem Verstoß gegen prozessuale Pflichten, die der Arbeitgeber mit einer Kündigung ahnden dürfe. Es lägen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger bewusst wahrheitswidrig unterschiedliche Aussagen getätigt habe, um sich einen Vorteil im Kündigungsschutzverfahren zu verschaffen.
 
Die Aussage, eine Schlafkrankheit liege nicht vor, stelle im Gerichtsprozess die Wahrnehmung berechtigter Interessen dar. Das gelte selbst dann wenn die Erklärungen inhaltlich früheren Äußerungen widersprächen.
 

Das berechtigte Interesse für Erklärungen im Prozess

Erklärungen eines Arbeitnehmers könnten gerade im laufenden Kündigungsschutzprozess durch ein berechtigtes Interesse gedeckt sein. Dabei müsse das Gericht berücksichtigen, dass die Parteien schon im Hinblick auf das grundgesetzlich zugesicherte rechtliche Gehör im Gerichtsverfahren alles vortragen dürften, was für den Prozess erheblich sein könne.
 
Der Vortrag des Klägers begründe dessen Verhalten und stellte sich als Versuch zur Rechtfertigung der geführten Gespräche bezüglich einer etwaigen Schlafkrankheit des Klägers dar. Eine Pflichtverletzung folge hieraus nicht.
 

Kein Verstoß gegen Arbeitszeitbestimmungen

Auch die dritte Kündigung sei unwirksam. Der Kläger habe keineswegs behauptet, die Beklagte verstoße vorsätzlich und absichtlich gegen gesetzliche Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes, indem er längere Touren von mehr als sechs Stunden ohne Pause machen müsse. Genau das habe die Beklagte ihm jedoch vorgehalten.
 
Zwar habe der Kläger darauf hingewiesen, dass Fahrten über sechs Stunden ohne Unterbrechung oder Pause die Gefahr eines Sekundenschlafes begründeten. Das stelle allerdings keine Pflichtverletzung dar. Deswegen könne der Arbeitgeber nicht kündigen.
 

Strenge Anforderungen an Auflösungsgrund

Schließlich sei auch der Auflösungsantrag des Arbeitgebers unbegründet. Das Gericht könne ein Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers nur dann auflösen und diesen zu der Zahlung einer angemessenen Abfindung verurteilen, wenn eine weitere, den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht mehr zu erwarten sei.
 
Das Kündigungsschutzgesetz folge einem Konzept, nach dem der Bestandsschutz eines Arbeitsverhältnisses dessen Auflösung durch Abfindung vorgezogen werde. Die Rechtsprechung stelle deshalb an den Auflösungsgrund strenge Anforderungen.
 

Objektive Lage zählt

Gebe ein*e Arbeitnehmer*in bewusst wahrheitswidrig Behauptungen von sich, könne das die Rechte eines Arbeitgebers in gravierender Weise verletzen und eine gedeihliche künftige Zusammenarbeit infrage stellen. Das gelte insbesondere, wenn es sich um üble Nachrede handele.
 
Es käme dabei auf die objektiven Lage an. Daraus müsse sich ergeben, dass sich der Arbeitgeber über die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer Sorgen machen müsse. Diese strengeren Voraussetzungen seien hier jedoch nicht erfüllt.
 

Die subjektive Wertung

Es reiche nicht aus, dass die Beklagte einseitig ihr Vertrauen in den Arbeitnehmer als zerstört ansehe. Gewisse Spannungen, widersprüchliche Aussagen oder ein streitiger Prozessvortrag ließen nicht ohne weiteres die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses als sinnlos erscheinen. Die Beklagte habe auch keine schwere Beeinträchtigung des Betriebszwecks vorgebracht.
 
Es gehe vielmehr allein um die subjektive Wertung der Beklagten, wenn diese davon ausgehe, dass ein gegensätzlicher Vortrag im Verfahren gleichzeitig unterstelle, dass die andere Seite lüge.
 

Die Störung des Betriebsablaufes

Die Situation im Prozess habe zudem auch keine Auswirkungen auf das Verhältnis des Klägers zu seinen Arbeitskollegen. Hier seien keine konkreten Störungen ersichtlich. Es handele sich lediglich um ein Störgefühl der Beklagten. Die Widersprüche in den Aussagen erreichten aber nicht ansatzweise die Schwelle zu einer üble Nachrede oder einer sonstigen Diffamierung.
 

Prozess gewonnen, Arbeitsplatz dennoch weg

Sowohl die Kündigungen als auch der Auflösungsantrag waren damit vom Tisch. „Im Laufe des Prozesses hat der Arbeitgeber keinen Zweifel daran gelassen, dass es ihm mit der Kündigung ernst ist“ bemerkt die Prozessbevollmächtigte des Klägers vom DGB Rechtsschutzbüro Koblenz.
 
Der Kläger hatte noch einen Vergleich angeboten, auf den der Arbeitgeber nicht eingehen wollte. Offensichtlich war es nach der Urteilsverkündung für beide Parteien schwierig, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.
 
Es kam zu einem weiteren gerichtlichen Verfahren, in dessen Rahmen sich beide schließlich darauf einigten, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Wünschen wir dem Kläger, dass die gezahlte Abfindung seinen ganzen Ärger aufwiegt.
 
Hier geht es zum Urteil