Berufung auf nachträgliche Schwerbehinderung oder Gleichstellung ohne rechtzeitige Klage erfolglos. © Adobe Stock - Von karepa
Berufung auf nachträgliche Schwerbehinderung oder Gleichstellung ohne rechtzeitige Klage erfolglos. © Adobe Stock - Von karepa

Wer sich in einem Kündigungsschutzverfahren auf den besonderen Schutz wegen einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung berufen möchte, muss vorsorglich eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen, auch wenn zu diesem Zeitpunkt noch kein Grad der Behinderung von mindestens 50 oder eine entsprechende Gleichstellung festgestellt ist. Denn nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist ist die Kündigung nicht mehr angreifbar. Dies gilt selbst dann, wenn Arbeitnehmer*innen im Nachhinein eine Schwerbehinderung zugesprochen wird. Dies musste ein Kläger vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg schmerzlich erfahren.

Kein besonderer Schutz vor Kündigung im laufenden Anerkennungsverfahren

Dem Fliesenleger wurde im November 2019 ein Grad der Behinderung von 30 zugesprochen. Damit war er sich jedoch nicht einverstanden und legte Widerspruch und anschließend Klage gegen den Bescheid ein, um einem Grad der Behinderung von mindestens 50 anerkannt zu bekommen und damit als Schwerbehinderter anerkannt zu sein. Während des Verfahrens wurde der Kläger im März 2020 von einer Kündigung durch seinen Arbeitgeber überrascht. Der Kläger wies seinen Arbeitgeber auf das sozialrechtliche Verfahren hin und teilte ihm mit, dass er damit das Ziel verfolge, eine Schwerbehinderung anerkannt zu bekommen.

Der Arbeitgeber wollte sich absichern und holte vorsorglich die Zustimmung des Integrationsamts (heute Inklusionsamt) ein. Das Amt erteilte die Zustimmung, sodass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis im April 2020 vorsorglich erneut kündigte. 

Gegen die beiden Kündigungen erhob der Kläger am 5. Mai 2020 Klage beim Arbeitsgericht - und verlor das Verfahren. Er argumentierte, die erste Kündigung sei unwirksam, da das Integrationsamt nicht vorher zugestimmt habe. Schließlich könne eine Schwerbehinderung auch nachträglich anerkannt werden. Die Klagefrist des Kündigungsschutzgesetzes habe nicht begonnen zu laufen, da das Verfahren über die Anerkennung der Schwerbehinderung noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Die Frist beginne folglich erst nach Bekanntgabe des Ergebnisses. 

Dem folgte das Arbeitsgericht nicht und wurde in seiner Rechtsauffassung von der Berufungsinstanz bestätigt.

Dreiwöchige Klagefrist beginnt zu laufen, wenn kein Zustimmungserfordernis im Kündigungszeitpunkt

Das Landesarbeitsgericht entschied, dass bereits die erste Kündigung wirksam ist, da der Kläger nicht innerhalb von drei Wochen eine Kündigungsschutzklage erhoben hat. Auf die Wirksamkeit der zweiten Kündigung kam es deshalb nicht mehr an.

Nur dann, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung eine Schwerbehinderung oder eine Gleichstellung vorliegt, muss das Inklusionsamt dieser zustimmen. Wird bei einer/einem Arbeitnehmer:in im Laufe des Kündigungsschutzverfahrens rückwirkend zu einem Zeitpunkt vor Ausspruch der Kündigung eine Schwerbehinderung oder Gleichstellung anerkannt, gilt ebenfalls das Zustimmungserfordernis mit der Folge, dass die Kündigung grundsätzlich für unwirksam erklärt wird. Erforderlich ist jedoch immer, dass rechtzeitig Klage erhoben wurde.

Diese muss nach dem Kündigungsschutzgesetz innerhalb von drei Wochen nach Zugang einer Kündigung vor dem Arbeitsgericht erhoben werden. Die Frist beginnt nur dann ausnahmsweise nicht schon ab Zugang einer Kündigung zu laufen, wenn das Inklusionsamt kraft Gesetzes zustimmen muss. In diesem Fall beginnt die Klagefrist erst ab der Bekanntgabe des Ergebnisses zu laufen. Erforderlich ist jedoch, dass die Schwerbehinderung oder Gleichstellung schon im Zeitpunkt der Kündigung vorliegt – und sich daraus das Zustimmungserfordernis der Behörde ergibt. Ein bloßes Widerspruchs- oder Klageverfahren gegen einen Bescheid, der einen Grad der Behinderung von unter 50 zuspricht, reicht hierzu nicht. Schließlich seien nicht jeder Widerspruch und jede Klage erfolgreich. 

Manchmal, so wie im Falle des Klägers, gilt dies jedoch schon. Er wurde mit Wirkung zum 24. September 2020 schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Das brachte ihm für das Verfahren jedoch nichts mehr, da er die Kündigungsschutzklage zu spät erhoben hat.

Das sagen wir dazu:

Bei Kündigungen ist immer Eile geboten

Die Konstellation, in denen einem Beschäftigten während eines laufenden Anerkennungsverfahrens einer Behinderung eine Kündigung zugestellt wird, ist ein echter Klassiker. Beschäftigte sollten hier, wie immer wenn es um Kündigungen geht, schnell handeln und sich Rechtsrat bei ihrer zuständigen Gewerkschaft suchen. Ist die dreiwöchige Klagefrist erstmal verstrichen, kann die Kündigung auch mit guten Argumenten nicht mehr angegriffen werden – sie gilt kraft Gesetzes als wirksam:

„§ 4 S. 1 Kündigungsschutzgesetz

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. […]“

„§ 7 Kündigungsschutzgesetz

Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht (§ 4 Satz 1, §§ 5 und 6), so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam; ein vom Arbeitnehmer nach § 2 erklärter Vorbehalt erlischt.“

In laufenden Anerkennungsverfahren vorsorglich Klage erheben

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg zeigt, dass das Verstreichenlassen der Klagefrist fatale Folgen für Beschäftigte haben kann. Ist eine Schwerbehinderung noch nicht anerkannt oder über einen Antrag auf Gleichstellung noch nicht bestandskräftig entschieden, sollten Beschäftigte vorsorglich eine Kündigungsschutzklage erheben. Nur dann kann eine rückwirkend anerkannte Schwerbehinderung oder Gleichstellung noch als Einwand gegen die Kündigung vorgebracht werden. 

Übrigens: Liegt zum Zeitpunkt der Kündigung eine Schwerbehinderung oder Gleichstellung vor und weiß der Arbeitgeber davon nichts, ist die Kündigung nicht automatisch aufgrund der fehlenden Zustimmung unwirksam. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können Arbeitnehmer*innen sich nur dann auf den Sonderkündigungsschutz berufen, wenn sie ihren Schwerbehindertenstatus oder ihre Gleichstellung dem Arbeitgeber innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung mitteilen. 

Doch Vorsicht: Trotz Bekanntgabe der Schwerbehinderung oder Gleichstellung müssen Arbeitnehmer*innen zusätzlich die Klagefrist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage einhalten. Nur so können Beschäftigte sich mit ihrem Schwerbehindertenstatus erfolgreich gegen eine Kündigung wehren.