Nebenjob bei Tönnies soll den Arbeitsplatz kosten. Copyright by Adobe Stock/MQ-Illustrations
Nebenjob bei Tönnies soll den Arbeitsplatz kosten. Copyright by Adobe Stock/MQ-Illustrations

Der DGB Rechtsschutz Bielefeld vertritt drei Arbeitnehmer, die Anfang Juli 2020 von ihrem Arbeitgeber eine fristlose Kündigung bekommen haben. Arbeitgeber ist nicht der Fleischverarbeiter, sondern ein Unternehmen, das Kunststoffteile im Automobilbau entwickelt und produziert.
 

Minijob bei Tönnies über den Dienstleister Besselmann Services

Neben diesem Hauptjob übten die Männer Reinigungsarbeiten bei der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück aus. Sie gehörten zu einem sechsköpfigen Reinigungstrupp, der sonntagmorgens eine bestimmte Halle auf dem Firmengelände säuberte.
 
In dieser Halle, in der automatisiert Schweinehälften schockgefrostet werden, arbeiten keine Produktionsmitarbeiter.
Da scharfe Reinigungschemikalien zum Einsatz kommen, sind Ganzkörperschutzanzüge, eine Kopfabdeckung, Stiefel und Handschuhe sowie eine Atemschutzmaske zu tragen.
 

Letzter Einsatz am 14. Juni 2020

Am 14. Juni waren unter den Mitarbeitern, die für den Fleischverarbeiter in der Produktion tätig waren, 39 Infektionsfälle mit dem Coronavirus bekannt. An diesem Sonntag waren die drei Männer das letzte Mal auf dem Tönnies-Gelände tätig.
 
Drei Tage später lagen die positiven Testergebnisse bei 657 und stiegen weiter. Der Betrieb in Rheda-Wiedenbrück wurde eingestellt. Schulen und Kitas im Kreis Gütersloh mussten schließen. Am 20. Juni verfügte der Kreis Gütersloh eine 14-tägige Quarantäne für alle Arbeitnehmer*innen, die auf dem Betriebsgelände tätig waren. Auch der sechsköpfige Reinigungstrupp erhielt eine solche behördliche Verfügung.
 

Nebenjob war nicht genehmigt

Der Arbeitsvertrag aus dem Hauptjob sieht vor, dass Nebentätigkeiten zu genehmigen sind. Keiner der drei Mitarbeiter hatte eine solche Genehmigung beantragt. Als sie in Quarantäne mussten, sagten sie im Unternehmen Bescheid.

Als der Arbeitgeber so am 22. Juni von der Nebentätigkeit seiner Mitarbeiter bei Tönnies erfuhr, sprach er fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigungen der Arbeitsverhältnisse aus.
 

Kündigungsschutzklagen über den gewerkschaftlichen Rechtsschutz

Beim Arbeitsgericht Bielefeld müssen gleich mehrere Richter*innen den Sachverhalt rechtlich werten. Eine Entscheidung steht  - verzögert wegen der Corona-Schutzmaßnahmen - noch aus. In den anderen beiden Verfahren ist ein Urteil zugunsten der Kläger gefallen.
 
Schriftliche Urteilsgründe liegen bisher in einem Rechtsstreit vor. Hier hat die Vorsitzende Richterin die Kündigung schon wegen einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats für unwirksam erklärt. Der beklagte Arbeitgeber hatte den Betriebsrat über seine Absicht, die Kläger zu kündigen, informiert. Er hatte aber die Kündigungen ausgesprochen, bevor die gesetzliche Frist für eine Stellungnahme des Betriebsrats abgelaufen war.
 

Fristlose und ordentliche Kündigung sind unbegründet

Darüber hinaus sah das Gericht hier aber auch keinen Grund zur Kündigung.
 
Die Kläger haben gegen die arbeitsvertragliche Pflicht verstoßen, eine Nebentätigkeit genehmigen zu lassen. Das kann ein Kündigungsgrund sein, wenn der Arbeitnehmer über mehrere Jahre hinweg eine Nebentätigkeit ausübt, die offensichtlich nicht genehmigt werden könnte.  Dem Arbeitnehmer müsste zudem bewusst sein, dass der Arbeitgeber den Nebenjob nicht genehmigen würde und auch nicht müsste.
Einen solchen Fall sah das Gericht hier nicht. Wäre die Nebentätigkeit angezeigt worden, hätte eine Genehmigung erfolgen müssen. Die Reinigungsarbeiten am Sonntagmorgen kamen sich mit der Arbeit im Hauptjob nicht in die Quere.  
 

Keine konkrete, erheblich erhöhte Infektionsgefahr

Schließlich beantwortete das Gericht auch die spannendste Frage des Rechtsstreits: Ist die Kündigung gerechtfertigt, weil die Kläger mit der späten Mitteilung ein erhöhtes Infektionsrisiko für die Kollegen im Hauptjob geschaffen haben? Immerhin hatten die Kläger in der Woche zwischen dem letzten Einsatz auf dem Tönnies-Gelände und der Quarantäne noch im beklagten Unternehmen gearbeitet.
 
Die Antwort des Gerichts war ein klares Nein. Denn eine abstrakte Gefahr könne die Kündigung nicht rechtfertigen. Eine bestehende Infektionsgefahr könne nur dann ein Grund für eine fristlose Kündigung sein, wenn durch die Nebentätigkeit eine konkrete Gefahr für die Infektion mit dem Coronavirus entstehen würde. Und diese Gefahr müsse erheblich über das allgemeine Lebens-/Infektionsrisiko hinausgehen.
Eine solche konkrete, erheblich erhöhte Gefahr sah das Gericht hier nicht. Es begründete dies neben der Schutzausrüstung mit den örtlichen und zeitlichen Begebenheiten des Nebenjobs, also dem Einsatz nur sonntagsmorgens in einem Bereich, in dem sich keine Produktionsmitarbeiter aufhalten.
 

Urteile sind noch nicht rechtskräftig

In den beiden Verfahren, die schon entschieden sind, hat das Arbeitsgericht Bielefeld festgestellt, dass die Arbeitsverhältnisse fortbestehen. Aufatmen können die Kläger noch nicht, da ihr Arbeitgeber noch Berufung beim Landesarbeitsgericht Hamm einlegen kann.
 
 
LINKS:
Corona wird als Grund vorgeschoben - DGB Rechtsschutz GmbH

Das sagen wir dazu:

Wer den Firmennamen Tönnies hört, denkt vielleicht auch heute noch zuerst an die Masseninfektion mit Covid-19. Im Juni 2020 war das ganz sicher so. Der Medienrummel war groß. Man kann deshalb verstehen, wenn der Arbeitgeber einen Schrecken bekommen hat, als er vom Nebenjob seiner Mitarbeiter beim Fleischverarbeiter erfahren hat. ABER (und zwar ein Großes): Auch in Zeiten, in denen die Nerven blank liegen, sollten Arbeitgeber nicht überreagieren. Bei nüchterner Betrachtung ging von den Klägern kein Infektionsrisiko aus. Zumindest kein höheres als von allen anderen Mitarbeitern.

Die vielen Corona-Fälle sind bei den Produktionsmitarbeitern entstanden. Ein Zusammentreffen mit diesen war jedoch ausgeschlossen. So konnten die Kläger auch keine Aerosole aufnehmen. Da ist es schon fast nebensächlich, dass sonntagmorgens gar keine Produktion beim Fleischverarbeiter stattfand.

Eine Infektion mit dem Coronavirus gehört zum allgemeinen täglichen Lebensrisiko. Das gefällt uns allen nicht, ist aber nicht von der Hand zu weisen. Es wäre deshalb sicher nicht richtig, bei einer Kündigung wie dieser auf eine rein abstrakte Gefahr abzustellen.