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Die Technische Universität Dortmund kündigte einer tariflich unkündbaren Arbeitnehmerin aus krankheitsbedingten Gründen.
©. Adobe Stock. - Von Paul Die Technische Universität Dortmund kündigte einer tariflich unkündbaren Arbeitnehmerin aus krankheitsbedingten Gründen.

Die Klägerin ist seit 2000 bei der Beklagten als Verwaltungsangestellte tätig. Sie ist 1968 geboren. Im Laufe der Jahre war sie an verschiedenen Lehrstühlen und in der Verwaltung eingesetzt.

 

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, erneuernden oder ersetzenden Tarifverträgen.

 

Die Klägerin ist ordentlich unkündbar

 

§ 34 TV-L bestimmt, dass Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, nach einer Beschäftigungszeit von mehr als 15 Jahren durch den Arbeitgeber nur aus einem wichtigen Grund gekündigt werden können.

 

Im Jahr 2017 war die Klägerin an 32 Arbeitstagen, im Jahr 2018 an 37 Arbeitstagen und im Jahr 2019 an 51 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt.

 

Im August 2018 regte der damalige Vorgesetzte eine Untersuchung des Gesundheitszustands der Klägerin an. Die Begutachtung erfolgte im Februar 2019 durch einen Arzt für Neurologie und Psychiatrie. Der Sachverständige stellte unter anderem fest, dass die geistigen Voraussetzungen für die auszuübende Tätigkeit vorhanden sind und auch selbstständige Leistungen erfolgen können.

 

Kündigung nach weiterer Begutachtung

 

Im Oktober 2019 fanden auf Veranlassung der Beklagten weitere Untersuchungen der Klägerin zu ihrer Arbeitsfähigkeit durch das Zentrum für Psychiatrische Begutachtung und Testpsychologie statt.

 

Im Gutachten hieß es unter anderem:

Das Ergebnis der Untersuchung zeigte, dass eine Einsatzfähigkeit, vorrangig im Bürobereich, nicht möglich ist. Die festgestellten Beeinträchtigungen lassen eine derartige Tätigkeit bis auf Weiteres nicht zu. Angesichts der Anamnese und des erhobenen Befundes muss davon ausgegangen werden, dass eine Wiederherstellung der Gesundheit innerhalb der nächsten zwei Jahr nicht erwartet werden kann."

 

Im November 2019 hörte die Beklagte den Personalrat zu einer beabsichtigten Kündigung der Klägerin zum 30. Juni 2020 an. Der Personalrat stimmte der „außerordentlichen Kündigung" zu.

 

Die Beklagte kündigte daraufhin das Beschäftigungsverhältnis zu Ende Juni 2020 und nahm Bezug auf das Gutachten.

 

Klage beim Arbeitsgericht Dortmund durch örtlichen DGB Rechtsschutz

 

Die Klägerin sei leistungsfähig und für die Tätigkeit als Verwaltungsangestellte geeignet. Dazu konnten die Jurist:innen auf ein Attest des Hausarztes der Klägerin verweisen und auch begründen, warum es sich bei manchen Fehlzeiten um einen vorübergehenden Zustand gehandelt hatte.

 

Das Arbeitsgericht holte ein Sachverständigengutachten ein und gab im August der Kündigungsschutzklage statt. Es könne dahinstehen, ob die Beklagte überhaupt die wegen § 34 TV-L einzig zulässige außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist ausgesprochen und hierzu auch den Personalrat ordnungsgemäß beteiligt habe. Denn die Beklagte könne sich jedenfalls weder auf häufige Kurzerkrankungen der Klägerin noch auf eine dauerhafte Leistungsunfähigkeit berufen.

 

Der Arbeitgeber legte Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm ein.

 

Ordentliche oder außerordentliche Kündigung?

 

Das LAG ging anders an die Sache heran. Es schaute sich genau an, wie der Arbeitgeber die Kündigung erklärt hatte. Per Auslegung kam es zu dem Ergebnis, dass es sich um eine ordentliche Kündigung handele und nicht um eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist.

 

Denn es wurde die tarifliche Kündigungsfrist gewählt und eine außerordentliche Kündigung nicht hinreichend deutlich erklärt. Im Kündigungsschreiben fanden sich keine Begriffe wie „außerordentlich", ,,wichtiger Grund" oder „Auslauffrist".

 

Da die Klägerin nach dem Tarifvertrag ordentlich unkündbar ist, sei die Kündigung als ordentliche Kündigung unwirksam.

 

Auch außerordentliche Kündigung wäre unwirksam

 

Die ordentliche Kündigung der Beklagten könne auch nicht in eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist umgedeutet werden. Dabei ließ es das LAG offen, ob die Umdeutung einer ordentlichen Kündigung in eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist grundsätzlich möglich sei. Jedenfalls wäre eine solche außerordentliche Kündigung unwirksam. Denn der Beklagten sei es nicht wegen zu erwartender häufiger Kurzerkrankungen der Klägerin unzumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.

 

Bei einer außerordentlichen Kündigung sei der Prüfungsmaßstab erheblich strenger als bei einer ordentlichen Kündigung. Die prognostizierten Fehlzeiten und die sich aus ihnen ergebenden Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen müssten deutlich über das Maß hinausgehen, welches eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen vermöchte. Der Leistungsaustausch müsse zwar nicht komplett entfallen, aber schwer gestört sein. Es bedürfe eines gravierenden Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung. Gegebenenfalls sei im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung zu prüfen, ob die gravierende Äquivalenzstörung dem Arbeitgeber auf Dauer zuzumuten sei.

 

Diese Voraussetzungen liegen nach dem LAG nicht vor. Selbst wenn zugunsten der Beklagten sämtliche krankheitsbedingten Fehltage der Klägerin in den Jahren 2017 bis 2019 in eine Prognose der künftigen Fehlzeiten einbezogen werden, liege diese bei 40 Arbeitstagen jährlich. Ein gravierendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung sei damit nicht zu erwarten.

 

Nicht alles versucht, um die Klägerin im Arbeitsprozess zu halten

 

Eine außerordentliche Kündigung könnte auch nicht auf eine dauernde Leistungsunfähigkeit der Klägerin gestützt werden. Selbst wenn zugunsten der Beklagten von einer negativen Prognose hinsichtlich einer dauernden Leistungsunfähigkeit als Verwaltungsangestellte ausgegangen würde, hätte sie nicht alles ihr Zumutbare unternommen, um die Klägerin im Arbeitsprozess zu halten.

 

Im Fall eines tariflich unkündbaren Arbeitsnehmers sei zu berücksichtigen, dass der Verpflichtung des Arbeitgebers, die Kündigung, wenn möglich, durch andere Maßnahmen abzuwenden, eine besondere Bedeutung zukomme. Der Arbeitgeber habe zur Vermeidung einer Kündigung alle in Betracht kommenden Beschäftigungs-und Einsatzmöglichkeiten von sich aus umfassend zu prüfen und eingehend zu sondieren. Die Prüf-und Sondierungspflichten des Arbeitgebers erstrecke sich auf sämtliche Geschäftsbereiche. Eine entsprechende Prüfung sei nur entbehrlich, wenn der Grund, der einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf dem bisherigen Arbeitsplatz entgegenstehe, es zugleich ausschließe, den Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz oder zu anderen Bedingungen weiterzubeschäftigen.

 

BEM war nicht entbehrlich

 

Daran gemessen sei nicht erkennbar, dass die Beklagte ihren Prüf-und Sondierungspflichten hinreichend nachgekommen wäre.

Zum einen habe die Beklagte die Möglichkeit nicht in Betracht gezogen, die Klägerin abseits der Tätigkeit als Verwaltungsangestellte einzusetzen.

Jedenfalls wäre ihr zumutbar gewesen, ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. Davon habe sie auch nicht absehen dürfen, weil die Klägerin in der Vergangenheit geäußert hatte „sie damit in Ruhe zu lassen".