Besteht das Arbeitsverhältnis viele Jahre frei von Störungen und Beanstandungen, ist vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung erforderlich und ausreichend. © Adobe Stock von TommyStockProject
Besteht das Arbeitsverhältnis viele Jahre frei von Störungen und Beanstandungen, ist vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung erforderlich und ausreichend. © Adobe Stock von TommyStockProject

Der Beschäftigte eines Schnellrestaurants handelte nach seiner Überzeugung in guter Absicht, als er mit seinem PKW die Zufahrt zum Drive-in-Schalter versperrte. Als Schichtleiter gehört es zu seinen Aufgaben, einen reibungslosen Service- und Schichtablauf der verschiedenen Einheiten (McCafé, Theke, Drive-in, Produktion) sicherzustellen. Da ein gleichzeitiger Betrieb aller Bestellpunkte aufgrund von Personalmangel nicht realisierbar war, ergriff er kurzerhand die Initiative – und machte den Drive-in-Schalter an einem frühen Morgen für einige Stunden dicht. 

Die Arbeitgeberin sah darin eine schwere Pflichtverletzung und kündigte ihm fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Sie warf ihm vor, dass er ihr bewusst einen wirtschaftlichen Schaden zufügen wollte. Nach eigenen Angaben seien durch das Verhalten des Beschäftigten mindestens 50 Prozent des Umsatzes im betreffenden Zeitfenster weggebrochen. Das Frühstücksangebot werde überwiegend über den Drive-in-Schalter wahrgenommen. Ebenso sei der Franchisevertrag mit dem Franchisegeber gefährdet. 

Das Team vom DGB Rechtsschutz Braunschweig klagte für den Kollegen gegen die Kündigung vor dem Arbeitsgericht. Mit Erfolg. Die Kündigung wurden für unwirksam erklärt und der Kollege behält seinen Arbeitsplatz. Er wird zu unveränderten Bedingungen weiterbeschäftigt. 

Pflichtverletzung Ja, aber keine vorsätzliche Schädigung 

Das Arbeitsgericht sah in dem Verhalten zwar eine Vertragspflichtverletzung, zur Sanktionierung hätte jedoch nach Überzeugung des Gerichts eine Abmahnung ausgereicht. 


Durch die eigenständige Teilschließung des Drive-in-Schalters habe der Arbeitnehmer seine arbeitsvertragliche Pflicht zur Gewährleistung des Betriebes aller Serviceeinheiten verletzt. Dass an den betreffenden Tagen zu wenig Personal vor Ort und eine gleichzeitige Bedienung aller Einheiten nicht möglich war, ändert nach Ansicht des Gerichts daran nichts. Die Serviceeinheiten hätten auch nacheinander bedient werden können – wenn auch mit entsprechender Wartezeit der Kund*innen.


Für eine  vorsätzliche Schädigung sah die Kammer im Übrigen keine Anhaltspunkte. Der Arbeitnehmer versicherte, dass er lediglich einen reibungslosen Betrieb mit der ihm zur Verfügung stehenden Anzahl an Kolleg*innen aufrechterhalten wollte. Das Gericht glaubte dem guten Willen des Beschäftigten.

Keine vorschnelle Kündigung, wenn mildere Mittel im langjährigen Arbeitsverhältnis ausreichend sind

Damit eine Kündigung wirksam ist, muss eine Interessenabwägung ergeben, dass eine Weiterbeschäftigung einem Arbeitgeber unzumutbar ist. 


Hierzu gehört auch, dass die Kündigung angemessen ist und das vergleichsweise mildeste Mittel zur Beseitigung einer Vertragsstörung darstellt. Im betreffenden Fall war die Arbeitgeberin über das Ziel hinaus geschossen und unterlag deshalb vor Gericht. Gerade wenn die Pflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten eines Arbeitnehmers beruht, darf der Arbeitgeber davon ausgehen, dass er den Arbeitnehmer schon durch die Androhung von Folgen positiv beeinflussen kann, so die Ansicht des Arbeitsgerichts. Kurzum: Grundsätzlich keine Kündigung wegen Fehlverhaltens ohne vorherige Abmahnung. 


Eine negative Prognose kann das Festhalten am Arbeitsverhältnis für Arbeitgeber unzumutbar machen. Eine solche bescheinigte die Arbeitgeberin dem Beschäftigten im betreffenden Fall. Diese Argumentation ging das Arbeitsgericht Braunschweig jedoch nicht mit: Das Arbeitsverhältnis sei über 20 Jahre lang beanstandungsfrei gewesen, deshalb führe eine erstmalige Pflichtverletzung nicht zu einem unwiederbringlich zerstörten Arbeitsverhältnis. Viel mehr gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts: Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. 

Auch keine Kündigung wegen „Verdachts“ einer schweren Pflichtverletzung ohne Anhaltspunkte und Anhörung

Wenn schon die Kündigung wegen einer tatsächlich begangenen, vorsätzlichen Schädigung nicht greift, dann liegt zumindest der Verdacht einer solchen schweren Pflichtverletzung vor, dachte sich die Arbeitgeberin und stützte ihre Kündigung auch darauf. Ein solcher Verdacht muss jedoch „dringend“ sein und setzt konkrete Anhaltspunkte voraus, die von der Arbeitgeberin zu beweisen gewesen wären. Die Arbeitgeberin legte jedoch weder dar, in welchem Umfang es zu Umsatzeinbußen gekommen sei, noch, inwiefern der Kläger daran beteiligt war und unterlag mit dieser Argumentation.


Im Rahmen einer Verdachtskündigung muss Beschäftigten auch stets die Möglichkeit eingeräumt werden, sich zu erhobenen Vorwürfen äußern zu können. Der Umstand, dass die Arbeitgeberin den Beschäftigen telefonisch mit den Vorwürfen konfrontierte, genügte dem Arbeitsgericht nicht. Erforderlich sei vielmehr, dass Beschäftigte die Gelegenheit erhalten den Vorwürfen mit eigenen Schilderungen entgegenzutreten und einzelne Tatsachen – gegebenenfalls mit angemessener Frist – bestreiten zu können. Diese Gelegenheit erhielt der Beschäftigte nicht, weshalb das Arbeitsgericht die Kündigung auch auf dieser Grundlage für unwirksam erklärte.

Das sagen wir dazu:

Richtiges Verhalten im Einzelfall ist oft Drahtseilakt

Obwohl der Kollege lediglich seine Aufgaben als Schichtleiter ausüben wollte, sollte er am Ende hierfür mit einer Kündigung bestraft werden. Doch wie hätte eine Kündigung verhindert werden können?

Wenn Beschäftigte sich bei bestimmten Verhaltensweisen unsicher sind, sollten sie im Zweifel immer Rückendeckung von Vorgesetzten einholen: Fragen kostet schließlich nichts. Gerade bei außergewöhnlichen Handlungen, die nicht alltäglich sind wie im hier besprochenen Beispiel mit dem Drive-in-Schalter, sollten Beschäftigte sich stets rückversichern, ob das Vorgehen in Ordnung ist. Die Bandbreite an Schutz- und Rücksichtnahmepflichten von Arbeitnehmer*innen aus dem Arbeitsverhältnis ist nahezu uferlos und kann schnell zur Gefahr werden, da sich Vorwürfe von Pflichtverletzungen bei dieser Vielzahl von rechtlichen Pflichten schnell konstruieren lassen. Es ist Beschäftigten unmöglich, diesen Pflichtenkatalog bei jeder Handlung im Kopf zu haben und damit jede drohende Gefahr zu erkennen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Art und Anzahl von Pflichten auch je nach konkreter Tätigkeit variiert. Ist es erstmal zu spät, kommt schnell die Frage auf, weshalb Vorgesetzte nicht vorsichtshalber im Voraus gefragt worden sind und es drohen arbeitsrechtliche Konsequenzen wie eine Abmahnung - oder gar eine Kündigung. Deshalb unbedingt im Vorhinein Unsicherheiten beseitigen und damit erst gar kein Risiko für arbeitsrechtliche Fallstricke schaffen.