Da schiebt aber einer schwer nach . . .Copyright by Adobe Stock/Visual Generation
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Mit dieser Frage hat sich das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 23. Mai 2013 beschäftigt.

Die Verdachtskündigung

Die Betreiberin von Tankstellen hatte den Verdacht, dass ihr Bezirksleiter bei Auftragsvergaben sie betrügt. Deshalb hörte sie den Mitarbeiter zu diesem Verdacht an. Obwohl er Betrügereien abstritt, sprach die Betreiberin im Oktober 2010 eine außerordentliche fristlose Verdachtskündigung aus.
Vergleiche zur Verdachtskündigung:
Was ist eine Verdachtskündigung? - DGB Rechtsschutz GmbH
 

Die Klage

Der Bezirksleiter klagte gegen die Kündigung. Das Arbeitsgericht kam zu dem Ergebnis, dass die die Gründe, die die Arbeitgeberin angegeben hatte, für eine außerordentliche fristlose Kündigung nicht ausreichten. Deshalb erklärten die Richter*innen die Kündigung für unwirksam.
Gegen dieses Urteil legte die Arbeitgeberin Berufung zum Landesarbeitsgericht ein.
 

Die Berufung

Im Laufe des Berufungsrechtsstreits entdeckte die Arbeitgeberin, dass ihr eine Baufirma bereits im November 2009 das Verlegen von Terrakottaplatten auf einem Tankstellengelände in Rechnung gestellt hatte. Tatsächlich fanden sich die Platten aber nicht auf dem Tankstellengelände, sondern auf dem Wohngrundstück des Klägers.
Aufgrund dieser „neuen“ Erkenntnisse hob das Landesarbeitsgericht die Entscheidung der 1. Instanz auf und wies die Klage des Bezirksleiters ab.
 

Die Revision

Der Bezirksleiter wollte die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht hinnehmen. Er legte Revision ein.
 
Zur Begründung wies er im Wesentlichen auf 2 Gesichtspunkte hin.
 
Zum einen schreibe das Bürgerliche Gesetzbuch vor, dass für eine außerordentliche fristlose Kündigung eine Zweiwochenfrist gelte.
 
Zum anderen habe der Arbeitgeber ihn zum Komplex „Terrakottaplatten“ nicht
(noch einmal) angehört. Eine solche Anhörung sei aber Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung.
 

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht hat sich mit beiden Argumenten des Bezirksleiters auseinandergesetzt.

  • Die Zweiwochenfrist

In diesem Zusammenhang führt das Bundesarbeitsgericht aus, zunächst einmal seien diejenigen tatsächlichen Umstände von Bedeutung, die dem Arbeitgeber beim Ausspruch einer Verdachtskündigung tatsächlich bekannt gewesen seien. Zusätzlich könnten die Parteien aber auch Tatsachen in den Prozess einführen, die einen eigenständigen  - neuen  - Kündigungsvorwurf begründen würden.

Voraussetzung sei jedoch einerseits, dass diese  - neuen  - Tatsachen bei Ausspruch der Kündigung objektiv bereits vorgelegen hätten.
Andererseits sei erforderlich, dass der Arbeitgeber diese Tatsachen vor Ausspruch der Kündigung noch nicht gekannt habe.

Seien diese beiden Voraussetzungen erfüllt, müsse das Gericht den  - neuen  - Tatsachenvortrag berücksichtigen, auch wenn die Zweiwochenfrist verstrichen sei.
 
Der „Terrakotta-Betrug“ hatte bereits im November 2009, also vor dem Ausspruch der außerordentlichen fristlosen Kündigung im Oktober 2010 stattgefunden. Davon erfahren hat die Arbeitgeberin aber erst im Verlauf des Berufungsverfahrens.
Deshalb durfte das Berufungsgericht seiner Entscheidung den  - neuen  - Tatsachenvortrag zugrunde legen.
 

  • Die fehlende Anhörung

Nach dem Bundesarbeitsgericht sei es im Zusammenhang einer Verdachtskündigung der Sinn und Zweck einer Anhörung, den Arbeitgeber vor voreiligen Entscheidungen zu bewahren und der Gefahr zu begegnen, dass die Kündigung einen Unschuldigen treffe.

Schiebe ein Arbeitgeber aber Kündigungsgründe nach, könne eine neuerliche Anhörung die Entscheidung des Arbeitgebers, eine Kündigung auszusprechen, nicht mehr beeinflussen.
Außerdem würden die Rechte eines Arbeitnehmers nicht beschnitten, wenn er nicht noch einmal angehört werde. Schließlich könne er sich im Kündigungsschutzprozess gegen die  - neuen  - Tatsachenbehauptungen zur Wehr setzen.

Das Ergebnis

Das Bundesarbeitsgericht hat die zweitinstanzliche Entscheidung bestätigt. Damit ist die Kündigung der Arbeitgeberin wirksam.

BAG v. 23. Mai 2013, AZ: 2 AZR 102/12

Rechtliche Grundlagen

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.