Bereits seit zehn Jahren arbeitete die Reinigungskraft bei einem großen, ausgelagerten Dienstleistungsunternehmen der Stadt Essen – bis vermehrt gesundheitliche Probleme wie Schulterschmerzen, ein Bandscheibenvorfall und eine ausgeprägte depressive Erkrankung auftraten. Infolgedessen war die Arbeitnehmerin in den Jahren 2008 und 2009 vier Wochen kurzfristig arbeitsunfähig. 34 Arbeitstage konnte sie Anfang 2010 nicht zur Arbeit erscheinen, seit Mitte August 2010 erkrankte sie dauerhaft arbeitsunfähig. Das wird zu viel, dachte sich wohl der Arbeitgeber, und kündigte der 50-Jährigen krankheitsbedingt.

Als die Reinigungskraft mit Hilfe der DGB Rechtsschutz GmbH in Essen gerichtlich gegen die Kündigung vorging, berief sich der Arbeitgeber auf eine Selbsteinschätzung der Erkrankten: Während eines Gesprächs im Rahmen einer betrieblichen Wiedereingliederungsmaßnahme habe sie erklärt, sie fühle sich nicht in der Lage, ihre arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit zu erbringen. Sie erwarte dauerhaft keine Verbes­serung ihres Gesundheitszustandes. Und diese Aussage zog der Arbeitgeber nun vor Gericht heran.

Aber die Arbeitsrichter sahen das anders und erklärten die Behauptung, dass die Arbeitnehmerin schließlich selbst gesagt habe, sie könne nicht mehr arbeiten, für rechtlich unbeachtlich: Die Klägerin verfüge über keinerlei medizinische Fachkenntnisse, so die Richter in ihrem Urteil. Außerdem könnten Personen mit Depressionen ihren Zustand und ihre Heilungschancen nicht richtig einschätzen. Da sich auch aus dem ärztlichen Untersuchungsbericht keinerlei Tatsachen ableiten lassen, die die Prognose zuließen, dass die Klägerin dauerhaft leistungsunfähig sei oder nicht in absehbarer Zeit mit einer positiven Entwicklung gerechnet werden könne, ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt.

 

Als Arbeitnehmer kein Eigentor schießen

 

„Das Gericht hat zutreffend dargelegt, dass eigene Einschätzungen über die Wiedergenesung – zumindest bei psychischen Erkrankungen – nicht zulasten des Arbeitnehmers wirken“, erklärt Reiner Quittau. Der DGB Rechtsschutz-Jurist hatte die Mandantin vertreten. „Generell sollten Arbeitnehmer kein Eigentor schießen und sich gegenüber ihrem Arbeitgeber weitgehend bedeckt halten“, rät er. Denn Arbeitgeber haben keinen Anspruch darauf, über die Ursache der Erkrankung informiert zu werden. Im vorliegenden Fall konnte das Gericht auch keine negative Zukunftsprognose erkennen. Diese ist bei krankheitsbedingten Kündigungen entscheidend, weil sich daran festmacht, ob auch zukünftig mit Arbeitsunfähigkeitszeiten zu rechnen ist. Zu unterscheiden ist hier zwischen mehreren häufigen Kurzerkrankungen oder einer langfristigen Erkrankung. Liegen während der letzten drei Jahre häufige Kurzerkrankungen von insgesamt mehr als sechs Wochen pro Jahr vor, können diese eine Kündigung rechtfertigen. Allerdings müssen die Fehlzeiten zu betrieblichen Belastungen führen und die Interessenabwägung der persönlichen Verhältnisse muss zuungunsten des Arbeitnehmers ausgehen.

 

18 Monate Genesungszeit zumutbar

 

„Im Falle der Reinigungskraft griffen die Grundsätze einer langfristigen Erkrankung“, führt Reiner Quittau aus. Wenn nämlich ungewiss ist, ob und wann der Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig ist, wird dem Arbeitgeber zugemutet, circa 18 Monate lang die weitere Entwicklung abzuwarten, bevor eine Kündigung in Betracht kommt. „Bei der Mandantin lagen lediglich dreieinhalb Monate ununterbrochene Erkrankung vor.“ Auch der ärztliche Untersuchungsbericht, den der Arbeitgeber hat anfertigen lassen, ließ keine Prognose zu, wonach die Klägerin leistungsunfähig ist oder in absehbarer Zeit nicht mit einer positiven Entwicklung zu rechnen sei. Deshalb ist die Kündigung nicht rechtens – die Reinigungskraft muss weiterbeschäftigt werden. „Mittlerweile ist unsere Mandantin wegen Erwerbsminderung für zwei Jahre befristet berentet“, sagt Quittau. „Dies hat für sie die erfreuliche Konsequenz, dass sie nach Ablauf der Rente die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung hat oder – falls das nicht möglich ist – im Fall einer erneuten Kündigung sich den Urlaub, der zwischenzeitlich angefallen ist, finanziell abgelten lassen kann.“

Rechtliche Grundlagen

Vorsicht, Falle!

Wenn ich krank bin, kann mir nicht gekündigt werden.

Falsch, für die Wirksamkeit einer Kündigung spielt es keine Rolle, ob der Arbeitnehmer gerade krank geschrieben ist oder arbeitet.

Es reicht aus, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zuzuschicken.

Falsch, der Chef muss vor Arbeitsbeginn informiert werden, dass man nicht zur Arbeit kommt. Das gilt auch bei jeder neuen Fortdauer der Erkrankung. Es reicht nicht aus, dem Arbeitgeber nur den „gelben Schein“ zu schicken. Eine solche Pflichtverletzung kann eine Abmahnung zur Folge haben!

Wenn ich erkrankt bin, hat mein Chef ein Recht darauf zu erfahren, welche Krankheit ich habe.

Nur in Ausnahmen, zum Beispiel wenn Ansteckungsgefahr für Kollegen, Patienten oder Kunden besteht, wenn dem Arbeitgeber Schadensersatzansprüche gegen die schädigende Person (wie bei einem Verkehrsunfall) zustehen oder bei einer Fortsetzungserkrankung.

Es reicht aus, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per Post an meinen Arbeitgeber zu schicken.

Falsch, der Arbeitnehmer ist gesetzlich verpflichtet, bei einer Erkrankung seine Arbeitsunfähigkeit unverzüglich zu melden und die voraussichtliche Dauer mitzuteilen. Nur so sichert er sich die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Abweichende Regelungen können im Arbeitsvertrag, in einer Betriebsvereinbarung oder im Tarifvertrag enthalten sein.