Eine gute Strategie: Der Mitarbeiter – seit 1977 bei dem Marburger Kabelproduzenten beschäftigt – hatte nach jeder Abmahnung eine Gegendarstellung verfasst, die zu seiner Personalakte genommen wurde. „Das hat sich im Verfahren als taktisch klug herausgestellt“, lobt Hans-Joachim Müller, Rechtssekretär der Arbeitseinheit Frankfurt/Gießen. Er hat den 51-Jährigen vor dem Arbeitsgericht Marburg erfolgreich vertreten. Durch die Vorlage der Gegendarstellungen bei Gericht konnte nachgewiesen werden, dass die Gründe für die Abmahnungen nicht gerechtfertigt waren und damit keine Grundlage für eine Kündigung boten. Dem gekündigten Arbeiter wurden Gleichgültigkeit und mangelnde Sorgfalt vorgeworfen. Durch seine Fehler seien Kabel beschädigt worden, deren Nacharbeitung mehrere Tausend Euro gekostet hätte. Das nahm der Arbeitgeber zum Anlass, ihm nach vier Abmahnungen verhaltensbedingt zu kündigen.

 

Zu hohe Arbeitsbelastung

 

Die Schäden sind tatsächlich entstanden, aber nicht aufgrund seiner Verantwortung, wie der Beschuldigte in seinen Gegendarstellungen darlegen konnte. Er musste die 25 Meter lange Kabelmaschine alleine bedienen und war daher nicht in der Lage, während der Produktion die Kabel überall auf Schäden zu begutachten. Normalerweise würde diese Arbeit zusammen mit einem Maschinenhelfer durchgeführt, der ihm jedoch nicht mehr zur Verfügung stehe. Der Mitarbeiter hatte schon vor den Abmahnungen mehrfach seine Vorgesetzten auf Fehler durch zu hohe Arbeitsbelastung hingewiesen – Abhilfe wurde nicht geschaffen.

 

Verschulden des Arbeitgebers

 

Auch beim letzten Vorfall, der zur vierten Abmahnung und zur Kündigung führte, hatte der Mitarbeiter seinen Vorgesetzten auf Fehlerquellen und die Gefahr von so genannten Ruckstellen bei der Kabelherstellung hingewiesen. Eine Unterbrechung der Produktion lehnte dieser ab. Auch diesen Hergang hatte der Arbeiter nach der Abmahnung detailliert in einer Gegendarstellung festgehalten. Diesen Schilderungen wurde von Arbeitgeberseite nicht widersprochen. Der Arbeitsrichter hielt die Einwände für nachvollziehbar und sah ein „erhebliches Organisationsverschulden“ seitens des Arbeitgebers als gegeben an, der daher ein überwiegendes Mitverschulden an den entstandenen Schäden trage. Die Kündigungsschutzklage des Mitarbeiters war zulässig und begründet.

 

Betriebsrat wichtig

 

„Der Firmeninhaber ist vor elf Jahren aus dem Arbeit­geberverband ausgeschieden und versucht seitdem, Beschäftigte loszuwerden, deren Verträge noch der Tarifbindung aus der Zeit davor unterliegen“, erklärt Müller, der seit zwei Jahren mit Verfahren gegen die Firma beschäftigt ist. Etwa 160 Verfahren wegen nicht gezahlter Urlaubs- und Weihnachtsgelder sind anhängig.

„Wichtig war im vorliegenden Fall neben den Gegendarstellungen, dass der Betriebsrat hinter dem Mitarbeiter stand.“ Die Arbeitnehmervertretung hatte bei der Anhörung zur Kündigung bereits den Arbeitgeber auf die Gegendarstellungen hingewiesen und deshalb der Kündigung widersprochen. Die Geschäftsleitung kündigte trotzdem und verlor das Kündigungsschutzverfahren – nicht zuletzt aus formellen Gründen. Sie hatte, so der Richter, den Betriebsrat nicht ausreichend unterrichtet: Die vierte Abmahnung fehlte bei dem Anhörungsschreiben. „Das allein hätte dem Richter Anlass geboten“, so Müller, „die Kündigung für unwirksam zu erklären.“ Er vermutet, dass der Richter ein zweites Verfahren nach erneuter vollständiger Anhörung des Betriebsrats vermeiden wollte. „Im Urteil zeigt der Arbeitsgerichtsdirektor deshalb auf, dass die Kündigung selbst nicht ausreichend begründet gewesen wäre.“