Uwe Ellersiek, DGB Rechtsschutzbüro Hameln, hatte es mit Vorwürfen gegenüber einem Betriebsratsmitglied zu tun. Dem warf der Arbeitgeber vor, das Organigramm auf einer Informationstafel (sog. „schwarzes Brett“) handschriftlich verunstaltet zu haben. Die vormalige Geschäftsführerin habe er zweimal durch ein großes „X“ durchgestrichen und unter den Namen des Assistenten der Geschäftsführung „next out“ geschrieben.
Der Kläger wies diesen Vorwurf „des Beschmierens des Aushangs (…) fristgerecht und ausdrücklich“ zurück. Dennoch hörte der Arbeitgeber den Betriebsrat im August 2021 zur fristlosen Kündigung des Betroffenen an.
Der Betriebsrat erteilte seine Zustimmung nicht
Das anschließend beim Arbeitsgericht Hameln eingeleitete Verfahren, um die Zustimmung des Betriebsrates zu ersetzen, verlor der Arbeitgeber. Gegen den Beschluss legte er Beschwerde beim Landesarbeitsgericht ein.
Zwischenzeitlich war die nächste Betriebsratswahl erfolgt. Im neu gebildeten Betriebsrat änderten sich die Mehrheitsverhältnisse. Der Kläger selbst gehörte dem Gremium nach wie vor an. Im Mai 2022 stimmte der neue Betriebsrat der außerordentlichen, fristlosen Kündigung des Klägers zu. Das Beschwerdeverfahren vor dem Landesarbeitsgericht erledigte sich dadurch, ohne dass es einer weiteren gerichtlichen Entscheidung bedurfte.
Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis daraufhin fristlos
Im Kündigungsschutzprozess machte der Kläger geltend, er habe die „Anmerkungen“ auf dem schwarzen Brett nicht getätigt, insbesondere habe er die Ergänzung „next out“ nicht angebracht. Im Übrigen fehle ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung.
Die Beklagte beharrte darauf, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger für sie unzumutbar sei. Das Arbeitsverhältnis mit dem Assistenten der Geschäftsführung sollte zu keinem Zeitpunkt beendet werden. Die Eintragung „next out“ suggeriere jedoch genau das. In Kombination mit dem Durchstreichen des Namens der vormaligen Geschäftsführerin der Beklagten unterstreiche das die Forderung des Klägers, den Assistenten zu entlassen.
Der Assistent der Geschäftsführung werde damit ohne jeglichen Grund in ganz erheblichem Umfang diskreditiert und vor versammelter Mannschaft bloßgestellt. Er werde sozusagen zur „Lame Duck“, der lahmen Ente des Unternehmens.
Ein solches Verhalten wollte die Beklagte unter keinen Umständen dulden
Doch so sehr sich die Beklagte auch Mühe gab, ihr Vorgehen brachte ihr keinen Erfolg.
Das Gericht hielt es nicht für erforderlich, überhaupt die Frage zu prüfen, welche der Vorwürfe gegen den Kläger zu Recht erhoben worden waren; denn selbst wenn der Kläger die Bemerkungen auf dem schwarzen Brett gemacht haben sollte, stand für das Gericht zweifelsfrei fest, dass diese „Taten“ den Arbeitgeber nicht zur fristlosen Kündigung berechtigten. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB liege nämlich nicht vor.
Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zumutbar ist.
Fristlose Kündigung ist in zwei systematisch zu trennenden Abschnitten zu prüfen
Zunächst hat eine Prüfung dahingehend zu erfolgen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich schon geeignet ist, einen wichtigen Grund für die fristlose Kündigung abzugeben.
Der zweite Prüfungsschritt befasst sich mit der Frage, ob die konkrete Kündigung bei Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile gerechtfertigt ist.
Diese zweistufige Prüfung ermögliche die im Interessen der Rechtssicherheit notwendige Systematisierung generell geeigneter Gründe für eine fristlose Kündigung, so das Arbeitsgericht.
Das vorgeschaltete Beschlussverfahren gibt die Richtung vor
Weitreichende Überlegungen im Zusammenhang mit diesem zweistufigen Prüfungsverfahren brauchte sich das Arbeitsgericht zusätzlich nicht mehr zu machen.
Die vom Arbeitgeber vorgebrachten Kündigungsgründe waren bereits Gegenstand des vorgeschalteten Beschlussverfahrens, in welchem es um die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates zur fristlosen Kündigung des Klägers ging.
Das Gericht zitiert aus dem früheren Beschluss
„Nach Auffassung der Kammer ist ein wichtiger Grund bereits auf der ersten Stufe der Prüfung nicht gegeben, und zwar unabhängig davon, ob der Beteiligte zu 3) das ihm vorgeworfene Verhalten tatsächlich begangen hat oder nicht. Selbst wenn man unterstellen sollte, dass der Beteiligte zu 3) die handschriftliche Anmerkung auf dem ausgehändigten Organigramm gemacht hat, ist nach Auffassung der Kammer dieses Verhalten nicht derartig schwerwiegend, dass es als Grund für eine beabsichtigte außerordentliche Kündigung des Beteiligten zu 3) ausreichen würde.“
Zwar sei dem Kläger eine vertragliche Pflichtverletzung anzulasten - falls er die Anmerkungen gefertigt hätte. Er dürfe in der Betriebsöffentlichkeit nicht den Eindruck erwecken, der Assistent der Geschäftsführung werde oder solle das Unternehmen demnächst verlassen. Eine derartige „Anmerkung“ sei weder durch die freie Meinungsäußerung noch durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt.
Ein derartiges Verhalten könne der Arbeitgeber jedoch nicht durch eine außerordentliche Kündigung sanktionieren. Es hätte ausgereicht, eine Abmahnung auszusprechen.
In der Anmerkung ist keine persönliche Beleidigung enthalten
Unabhängig davon, dass eine persönliche Beleidigung des Assistenten der Geschäftsführung fehle, beziehe sich die streitige Anmerkung doch zumindest auf dessen Persönlichkeit. Es werde der Eindruck erweckt oder der Wunsch zum Ausdruck gebracht, dass der Assistent das Unternehmen verlassen wolle oder solle.
Für dessen Reputation habe die handschriftliche Anmerkung möglicherweise betriebsinterne Wirkungen. Andererseits sei aber deutlich erkennbar, dass ein Dritter die handschriftliche Notiz nachträglich aufgebracht habe und dass es sich hierbei gerade nicht um eine offizielle Verlautbarung der Geschäftsführung handele. Eine Äußerung der Geschäftsführung, eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Assistenten tatsächlich ernsthaft in Erwägung zu ziehen, ergebe sich daraus nicht.
Diese Tat - von wem auch immer begangen - reiche bei Gewichtung der gegenseitigen Interessen nicht aus, um eine außerordentliche, fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dies gelte insbesondere auch deshalb, weil ähnliche Vorfälle in der Vergangenheit nicht aufgetreten seien.
Daher habe die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet.
Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Hameln.