Wer oft krank wird, muss mit einer Kündigung rechnen. © Adobe Stock - TheVisualsYouNeed
Wer oft krank wird, muss mit einer Kündigung rechnen. © Adobe Stock - TheVisualsYouNeed

Der 50-jährige Maschinenführer erkrankte immer häufiger und länger. Zuletzt war er über 100 Arbeitstage im Jahr arbeitsunfähig. Da es sich um unterschiedliche Krankheiten handelte, musste der Arbeitgeber immer wieder Entgeltfortzahlung leisten. Das kostete viel Geld. 

 

Für die Firma sollte es so nicht mehr weiter gehen. Der Mann erhielt die Kündigung. Einverstanden war er damit nicht und erhob, vertreten vom DGB Rechtsschutz Ludwigshafen, Klage beim Arbeitsgericht. Den Prozess gewann er, der Arbeitgeber legte jedoch Berufung ein.

 

Der Kläger war überdurchschnittlich oft krank

 

Auch das Landesarbeitsgericht entschied nun zugunsten des Klägers  - und das trotz der vielen Krankheiten und der vielen Arbeitsunfähigkeitszeiten.

 

Einmal waren es Infektionen der oberen Atemwege. Später traten Sehnenentzündungen auf. Der Kläger hatte auch eine Wunde am Handgelenk, war wegen einer Arthritis arbeitsunfähig erkrankt und fehlte auch wegen eines Überbeins an der Hand, das immer wieder Beschwerden bereitete, die Sehnenentzündungen traten immer mal wieder auf und auch die Erkältungen führten zur weiteren Arbeitsunfähigkeit.

 

Es setzte sich über Jahre ähnlich fort: Der Kläger erkrankte wegen Schmerzen im Mittelfuß. Schließlich litt er an Beschwerden in der Lendenwirbelsäule. 

 

Der Kläger war nie länger durchgehend krank

 

Die Arbeitsunfähigkeitszeiten dauerten immer ein bis zwei Wochen, danach konnte der Kläger wieder arbeiten. Der Arbeitgeber ging von einer allgemeinen Krankheitsanfälligkeit seines Mitarbeiters aus und meinte, hierauf die Kündigung stützen zu dürfen.

 

Gemeinsam mit seinen Prozessbevollmächtigten erklärte der Kläger, dass jede einzelne Krankheit der letzten Jahre umfassend behandelt worden und ausgeheilt ist. Er rechne nicht damit, dass diese wieder zur Arbeitsunfähigkeit führen könnten. Dass der Arbeitgeber sich dem nicht anschließen wollte, versteht sich von selbst.

 

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz bestätigte das Urteil der ersten Instanz. Die ordentliche krankheitsbedingte Kündigung des Klägers sei unwirksam, weil sie sozial ungerechtfertigt sei.

 

Häufige Kurzerkrankungen berechtigen zur Kündigung

 

Nach dem Kündigungsschutzgesetz ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des*der Arbeitnehmer*in liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, bedingt ist.

 

Ein Arbeitgeber dürfe wegen häufiger Erkrankungen durchaus kündigen, sagt das Landesarbeitsgericht. Dazu bedürfe es einer negativen Gesundheitsprognose. Zunächst sei zu prüfen, ob im Kündigungszeitpunkt Tatsachen vorlagen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten ließen. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen darüber hinaus zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Das könnten sowohl Betriebsablaufstörungen als auch die zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten sein. Schließlich müsse das Gericht eine Interessenabwägung durchführen. Dabei sei die Frage zu beantworten, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssten.

 

Während der letzten Jahre seien beim Kläger jährlich mehrere (Kurz-) Erkrankungen aufgetreten. Das spreche für eine dementsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes und bestätige durchaus die Auffassung des Arbeitgebers. Wenn die Krankheiten ausgeheilt seien, gelte das aber nicht.

 

Der Kläger muss die Prognose des Arbeitgebers erschüttern

 

Der Arbeitgeber dürfe zwar zunächst die Fehlzeiten des Klägers in der Vergangenheit darstellen und behaupten, dass er in Zukunft Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang erwarte. Dem müsse der Kläger entgegentreten und darlegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung gerechnet werden konnte. Dabei genüge es, zu behaupten, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt. Er müsse auch seine Ärzte von der Schweigepflicht entbinden.

 

Trage der Kläger selbst konkrete Umstände für seine Beschwerden und deren Ausheilen oder Abklingen vor, müssten diese Umstände geeignet sein, die negative Zukunftsprognose des Arbeitgebers zu erschüttern. Dabei müsse der Kläger keineswegs einen Gegenbeweis führen. Der Arbeitgeber sei dann bereits gehalten, seine negative Gesundheitsprognose zu beweisen.

 

Für die Zukunftsprognose gilt ein Betrachtungszeitraum von drei Jahren 

 

Berücksichtigt würden dabei in der Regel die letzten drei Jahre vor Ausspruch der Kündigung. Verschiedenen Krankheitsursachen könnten auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten. Diese führe regelmäßig zu einer dauerhaft negativen Prognose. 

 

Krankheiten aus der Vergangenheit, die ausgeheilt seien, könnten jedoch grundsätzlich eine negative Gesundheitsprognose nicht begründen. Gleiches gelte für Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhten und für sonstige offenkundig einmalige Gesundheitsschäden. Auch erfolgreiche Therapien stünden einer negativen Zukunftsprognose entgegen. Denn dann gebe es keine Wiederholungsgefahr.

 

Erleide jemand häufig Unfälle, spreche eine solche Krankheits- bzw. Verletzungsanfälligkeit oder eine Unvorsichtigkeit durchaus für eine Negativprognose. Auch wenn einzelne Erkrankungen ausgeheilt sind, ließe sich nicht zwingend eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit ausschließen. 

 

Der Kläger hat zu allen Erkrankungen Antworten

 

Aus den häufigen Kurzerkrankungen des Klägers ergebe sich keine negative Prognose. Zwar habe es erhebliche Fehlzeiten in den letzten drei Jahren gegeben. Die Beklagte habe auch behauptet, dass in Zukunft Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang erwartet werden müssten. Der Kläger habe jedoch die Behauptungen der Beklagten entkräftet.

 

Die Beklagte habe zwar taggenau sämtliche Fehlzeiten des Klägers aufgeführt. Das reiche aber nicht aus. Die Kündigung sei keine Sanktion für hohe Fehlzeiten. Die Beklagte habe behauptet, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Der Kläger habe sich jedoch zu jeder einzelnen Fehlzeit detailliert geäußert.

 

Der Kläger weist keine besondere Anfälligkeit für Krankheiten auf

 

Eine akute Infektion der oberen Atemwege sei nach ihrem Abklingen ausgeheilt. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass der Kläger für Erkrankungen der Atemwege besonders anfällig wäre. Daran könne jede*r erkranken und beim Kläger sei das nicht häufiger als allgemein üblich geschehen.

 

Bei Arbeitsunfähigkeitszeiten, die auf einem Unfall beruhten, könne ebenfalls nicht mit einer Wiederholung gerechnet werden. Ebenso verhalte es sich mit dem Geschwulst auf der Hand. Das sei operiert. Stauungen und Zerrungen seien einmalige Ereignisse. Die Sehnenentzündungen habe der Kläger operieren lassen. Diese seien über einen Zeitraum von mehr als einem halben Jahr anschließend auch nicht mehr aufgetreten.

 

Alles in allem bestätigte das Landesarbeitsgericht die vom Arbeitgeber behauptete negative Zukunftsprognose nicht. Trotz erheblicher Fehlzeiten des Klägers hatte das Arbeitsverhältnis nach dem schon erstinstanzlich gewonnenen Prozesse nach dem Berufungsverfahren weiter Bestand.

 

Das Urteil des Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 1. September 2021 – 7 Sa 248/20 hier im Volltext:

Das sagen wir dazu:

Auch der Europäische Gerichtshof musste sich schon mit einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankung befassen. Geklagt hatte ein Spanier, der an einer Behinderung litt und in Folge dessen häufiger erkrankte.

Für den Europäischen Gerichtshof (EuGH) stellt die Kündigung eines Arbeitnehmers wegen häufiger Kurzerkrankung einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot dar, wenn die Erkrankungen auf die Behinderung zurückzuführen sind.

Das ist ein zusätzlicher Aspekt, der in Kündigungsschutzprozessen nicht unbeachtet bleiben sollte.

Rechtliche Grundlagen

§ 1 Kündigungsschutzgesetz

Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
§ 1 Sozial ungerechtfertigte Kündigungen
(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.
(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn
1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.
(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.
(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.
(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.