© Adobe Stock- Von S Amelie Walter
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Beim Arbeitsgericht Oldenburg ging es um die Kündigung eines Lagermitarbeiters, der nach einem Bandscheibenvorfall häufig ausfiel. Drei BEM-Verfahren leitete der Arbeitgeber ein und beendete sie nach Gesprächen wieder. Dann kündigte er das Arbeitsverhältnis.

 

Das Gericht gab der Kündigungsschutzklage statt, die der DGB Rechtsschutz Oldenburg für den Gekündigten erhob. Es fehle an einem ernsthaften Versuch einer an den Zielen des BEM orientierten Klärung durch den Arbeitgeber.

 

Wie verliefen die BEM-Verfahren?

 

Arbeitgeber und Arbeitnehmer schilderten unterschiedlich, wie die BEM-Verfahren verliefen. Laut Kläger hatte er bereits im ersten Gespräch zum betrieblichen Eingliederungsmanagement auf sein Rückenleiden und die dadurch bedingten Fehlzeiten hingewiesen. Er habe den Wunsch

nach einer leidensgerechten Beschäftigung jenseits der Kommissionierung, welche sich mit seinem Rückenleiden nicht vereinbaren lasse, geäußert und vorgeschlagen, zukünftig in der Verdichtung, Warenannahme oder als Nachfüller tätig zu sein.

 

Im zweiten BEM-Verfahren hatte der Kläger eine ärztliche Stellungnahme vorgelegt, wonach das Bewegen von Lasten von über 8 Kilogramm gesundheitsschädlich sei und zu langen Arbeitsunfähigkeitszeiten führen könne. Seiner Ansicht nach hatte er spätestens damit eine leidensgerechte Beschäftigung geltend gemacht.

 

Der beklagte Arbeitgeber warf dem Kläger vor, sich nicht aktiv am BEM beteiligt zu haben. Außerdem habe er Fragen danach verneint, ob er Hilfestellungen benötige, um künftig Arbeitsunfähigkeit zu vermeiden. Im ersten BEM-Verfahren habe er nicht auf sein dauerhaftes Rückenleiden hingewiesen.

Soweit es die Tätigkeiten als Nachfüller, in der Verdichtung und Warenannahme angehe, seien diese nicht rückenschonend und es gebe keine freien Stellen.

 

Die Kündigung ist unverhältnismäßig

 

So die klare Einschätzung des Arbeitsgerichts. Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass keine zumutbare Möglichkeit bestand, die Kündigung durch mildere Maßnahmen zu vermeiden. Vielmehr sei der Eindruck entstanden, vernünftigerweise in Betracht zu ziehende Anpassungs- und Änderungsmöglichkeiten im Rahmen des BEM-Verfahrens seien von vornherein ausgeschlossen worden.

 

Der Arbeitgeber hatte hier nicht ganz davon abgesehen, ein BEM anzubieten. Entscheidend war deshalb, ob er beim BEM einen Fehler machte, der Einfluss auf die Möglichkeit hatte oder hätte haben können, Maßnahmen zu finden, die zu einem relevanten Rückgang der Ausfallzeiten hätten führen können.

Mit anderen Worten: Hätte das BEM auch erfolgreich enden können?

 

BEM wurde vorschnell abgebrochen

 

Für das Gericht war der ernsthafte Versuch einer an den Zielen des BEM orientierten Klärung nicht ersichtlich.

Die Beklagte habe dem Kläger durch den vorschnellen Abbruch des Verfahrens die Möglichkeit genommen, eine andere Tätigkeit zu finden, sei es auch zu einem späteren Zeitpunkt. Die Beklagte hatte vermerkt, dass eine „andere Tätigkeit, zeitweise, sobald eine ... Stelle frei wird geplant ist". Dies spricht nach Eischätzung des Arbeitsgerichts eindeutig dafür, dass - auch wenn das BEM-Verfahren formal seinen Abschluss gefunden haben möge - eine anderweitige Beschäftigung des Klägers im Raum stand, weil diese für notwendig erachtet wurde. Es fehlten Anhaltspunkte dafür, auf welchen anderen Arbeitsplätzen eine leidensgerechte Beschäftigung des Klägers mangels freier Stellen bei Abschluss des Verfahrens nicht möglich gewesen sein soll. Ebenso fehle es an einer Auseinandersetzung damit, weshalb eine Umorganisation der Arbeit bzw. Arbeitsabläufe zur leidensgerechten Beschäftigung des Klägers nicht möglich bzw. dem Arbeitgeber nicht zumutbar wäre.

 

Arbeitsgericht Oldenburg, Urteil vom 23. November 2022 – 3 Ca 113/22

 

Beim Arbeitsgericht Braunschweig ging es um die krankheitsbedingte Kündigung eines Kranfahrers, der von Beginn des Arbeitsverhältnisses an (Ende 2017) mehrfach erkrankt war. Ihm bot der Arbeitgeber mehrfach an, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, zuletzt zweimal im Jahr 2022. Eine Reaktion erfolgte nicht.

 

Keine negative Gesundheitsprognose

 

Im Kündigungsschutzprozess zog der DGB Rechtsschutz Braunschweig schon eine negative Gesundheitsprognose in Zweifel. So war der Kläger nach einem Sturz auf dem Weg zur Frühschicht vier Wochen krankgeschrieben und eine längere Erkrankung im Februar/März 2022 lag an einer emotionalen Belastung wegen schwerer Krankheit und Tod der Mutter. Die aktuelle Gesundheitsbeeinträchtigung im Bereich des linken Knies wurde operiert und das Knie mit einem künstlichen Kniegelenk mit anschließender Reha versorgt.

 

Auf Basis der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers sah auch das Gericht keine negative Prognose für die Zukunft. Unabhängig davon stelle sich die streitgegenständliche Kündigung nicht als verhältnismäßig dar. Im Fokus stand wieder das betriebliche Eingliederungsmanagement.

 

Hat der Arbeitgeber das BEM-Verfahren richtig eingeleitet?

 

Anders als im ersten Beispiel wurde hier kein BEM-Verfahren durchgeführt. Ein tatsächlich nicht durchgeführtes BEM kann als Versuch eines ordnungsgemäßen BEM gelten, wenn der Arbeitgeber hinreichend die Initiative dazu ergriffen hat. Der Arbeitgeber verletzt seine gesetzlichen Pflichten nicht, wenn er den Prozess anstößt und dem Arbeitnehmer die Ziele des BEM und die beabsichtigte Datenverarbeitung aufgezeigt hat, aber der informierte Arbeitnehmer sich auf das freiwillige BEM-Verfahren nicht einlässt.

 

Das Arbeitsgericht schaute deshalb genau auf die Einladungsschreiben, die der Arbeitgeber dem Kläger geschickt hatte.

Dabei fand es direkt den ersten Fehler: Der Arbeitgeber muss bei der Durchführung des BEM die betriebliche Interessenvertretung hinzuziehen. Im Einladungsschreiben zum BEM fehlte es aber an einem Hinweis darauf, dass der Kläger darüber bestimmen kann, ob zu dem Verfahren der Betriebsrat bzw. ein Betriebsratsmitglied hinzugezogen werden soll.

 

Was hätte sonst noch im Einladungsschreiben stehen müssen?

  • Hinweis, dass es um die Grundlagen der Weiterbeschäftigung des Klägers geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann.
  • Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes BEM durchführen zu können.
  • Mitteilung, welche Krankheitsdaten -als personenbezogene Daten besonderer Kategorie im Sinne der DSGVO - erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden.

 

Das Einladungsschreiben erfüllt nach Auffassung des Gerichts nicht die gesetzlichen Anforderungen an die datenschutzrechtlichen Hinweise. Es bliebe offen, welche Gesundheitsdaten vom Kläger zu welchem genauen Zweck im Rahmen des BEM-Verfahrens erhoben werden sollen und wer Zugriff auf diese Daten haben soll. Der Begriff „BEM-Team" werde nicht definiert und nicht klargestellt, welche konkreten Personen, insbesondere auf Arbeitgeberseite, Zugriff auf die BEM-Daten erhalten sollen. Außerdem werde im Einladungsschreiben nicht einmal eine Zweckbindung der Datenerhebung angedeutet, was eine zentrale und wesentliche Wirksamkeitsvoraussetzung für die Verarbeitung sensibler Gesundheitsdaten darstelle.

 

Fehlerhaftigkeit des BEM-Verfahrens = Unverhältnismäßigkeit der Kündigung

 

Nachdem ein BEM erforderlich war, sei grundsätzlich davon auszugehen, dass es dazu hätte beitragen können, neuerliche Krankheitszeiten zumindest zu vermindern und so das Arbeitsverhältnis zu erhalten.

 

Der Arbeitgeber habe die sich aus der nicht ordnungsgemäßen Durchführung des BEM-Verfahrens ergebenden gesteigerten Anforderungen an seine Darlegungslast nicht erfüllt. Denn, so das Gericht, habe er nicht konkret begründet, warum auch bei ordnungsgemäßer Durchführung des BEM-Verfahrens keine Maßnahmen gefunden worden wären, die zu einer Reduzierung der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers hätten führen können.

 

So hatte der Kläger wiederholt sowohl seine Vorgesetzten als auch seine Vertretung darum gebeten, ihm für die langen Laufwege ein Fahrrad zur Verfügung zu stellen, um sein Knie zu entlasten. Dies sei mehrfach zugesagt, jedoch nicht umgesetzt worden. Auch auf diesen konkreten Einwand des Klägers, sei man nicht eingegangen.

 

Arbeitsgericht Braunschweig, Urteil vom 29. November 2022 – 2 Ca 173/22

Rechtliche Grundlagen

Auszug aus der Datenschutzgrundverordnung

Art. 9 DSGVO
Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten
(1) Die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie die Verarbeitung von genetischen Daten, biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person, Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung einer natürlichen Person ist untersagt.
(2) Absatz 1 gilt nicht in folgenden Fällen: (…)