Allein die Behauptung eines Prozessbetruges ohne Beweise genügt nicht für einen Auflösungsantrag des Arbeitgebers © Adobe Stock: Aamon
Allein die Behauptung eines Prozessbetruges ohne Beweise genügt nicht für einen Auflösungsantrag des Arbeitgebers © Adobe Stock: Aamon

Dem vom Rechtsschutzbüro Neuruppin vertretene Hochspannungsmonteur hatte der Arbeitgeber ein Dienstfahrzeug zur Verfügung gestellt. An diesem traten 2021 zwei Schäden auf. Wegen eines vermeintlichen Verkehrsunfalls ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen den Mann, stellte das Verfahren jedoch ein, weil die Ermittlungen genügenden Anlass zur weiteren Strafverfolgung nicht ergaben.

 

Es kam zu einem weiteren Fahrzeugschaden

 

Der Beschäftigte verursachte später jedoch bei einem Ausweichmanöver an dem reparierten Fahrzeug einen weiteren Schaden. Er hatte einen Begrenzungspfosten übersehen. Die neuerliche Reparatur verursachte erhebliche Kosten.

 

Der Mitarbeiter verfügte auch über eine Firmenkreditkarte, mit welcher er Tank- und Hotelkosten begleichen konnte. Zum Umgang mit dieser Kreditkarte gab es firmeninterne Hinweise. Im Fall einer nicht fristgemäßen Vorlage der Visa-Belege sollte ein Abzug des verauslagten Betrages vom Gehalt erfolgen.

 

Ob der Mann diese Anweisungen erhalten hatte, blieb offen. Mit mehreren  E-Mails soll er später jedoch darauf hingewiesen worden sein, dass vereinzelte Belege fehlten bzw. nicht vollständig vorlägen. Der Mitarbeiter war zwischenzeitlich dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt.

 

Kündigung und Auflösungsantrag waren die Folge

 

Unter Bezugnahme auf diese Vorfälle kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis. Damit nicht genug. Im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses stellte der Arbeitgeber einen Antrag, das Arbeitsverhältnis durch Richterspruch zum nächstmöglichen Zeitpunkt unter Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen, sollte dem Antrag des Klägers im Kündigungsschutzprozess stattgegeben werden und die Kündigung einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalten.

 

Im Auflösungsantrag heißt es, aus Sicht des Arbeitgebers sei das Vertrauensverhältnis zwischen dem Kläger und ihm zerstört. Das rühre daher, dass der Kläger die Unwahrheit gegenüber der Polizei gesagt habe. Im Zusammenhang mit dem weiteren Unfall habe der Beschäftigte einen Kostenvoranschlag für die Reparatur einholen sollen, stattdessen jedoch direkt einen Auftrag ausgelöst. Aufgrund dessen seien erhebliche Kosten verursacht worden, die der Kläger mit der ihm übergebenen Kreditkarte bezahlt habe. Belege dafür habe er nicht vorgelegt.

 

Die Kündigung hielt nicht

 

Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt und wies den Auflösungsantrag des Arbeitgebers zurück.

 

Die vom Arbeitgeber behaupteten Kündigungsgründe sah das Arbeitsgericht als nicht erwiesen an.

 

Bezüglich der Unfallflucht habe der Kläger nachgewiesen, dass das gegen ihn eingeleitete Verfahren eingestellt worden sei. Die Beklagte sei für den Kündigungsgrund darlegungs- und beweispflichtig. Sie habe jedoch nur Mutmaßungen geäußert und nicht weiter dargelegt. Sie habe dem Kläger unterstellt, einen Zusammenstoß herbeigeführt zu haben. Allein die Tatsache, dass es am Fahrzeug zu einem Schaden gekommen sei, rechtfertige jedoch nicht die Annahme, dass der Kläger diesen Schaden verursacht habe.

 

Die Beklagte habe weiter behauptet, dass der Kläger direkt einen Auftrag für die Reparatur des Fahrzeuges und nicht nur einen Kostenvoranschlag ausgelöst habe. Es fehle jedoch an einem Vortrag dahingehend, dass ihr durch die Auslösung des Auftrages ein konkreter Schaden entstanden sei oder sie unter Umständen wegen der Höhe der Schadenssumme Überlegungen dahingehend angestellt hätte, das Fahrzeug nicht oder anderweitig reparieren lassen zu wollen.

 

Eine Abmahnung hätte ausgereicht

 

Soweit der Kläger Kreditkartenbelege nicht übersandt haben soll, verweist das Gericht darauf, dass dies ebenfalls nicht den Ausspruch einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung rechtfertige. Ein derartiger Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Nebenpflichten hätte zunächst den Ausspruch einer Abmahnung gerechtfertigt.

 

An einer Abmahnung fehle es jedoch. Arbeitgeber seien verpflichtet, das jeweils mildere Mittel vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung zu prüfen. Gebe es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel, das im Einzelfall das Risiko künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses vermeiden könnte, sei lediglich eine Abmahnung auszusprechen.

 

Im Übrigen hätte sich die Beklagte hinsichtlich des Vorwurfs, Kreditkartenbelege seien nicht eingereicht worden, eines weiteren Mittels bedienen können. Ein Gehaltsabzug gemäß der firmeninternen Hinweise wäre möglich gewesen. Das Arbeitsgericht sieht darin eine sinnvolle und effektive Möglichkeit, etwaiges Fehlverhalten des Klägers entsprechend zu sanktionieren.

 

Insgesamt sei die ausgesprochene Kündigung damit unwirksam, so das Gericht.

 

Gründe für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gibt das Gesetz vor

 

Was den Auflösungsantrag des Arbeitgebers anbelangt, verweist das Arbeitsgericht auf die Vorgaben des Kündigungsschutzgesetzes. Danach hat das Gericht das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.

 

Als Auflösungsgründe kämen Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum*zur Arbeitnehmer*in, eine Wertung der Persönlichkeit, Leistung oder Eignung für die übertragenen Aufgaben und das Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern beträfen. Die Gründe müssten nicht im Verhalten, insbesondere auch nicht im schuldhaften Verhalten des*der Betroffenen liegen. Entscheidend sei, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertige, eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit sei gefährdet.

 

Lügen im Prozess rechtfertigen die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses

 

Die Beklagte behaupte, der Kläger habe einen Prozessbetrug begangen, indem er im Laufe des Prozesses bewusst wahrheitswidrig vorgetragen habe. Das gelte insbesondere hinsichtlich seiner Einlassungen zu den übersandten E-Mails. 

 

Ein Auflösungsgrund komme bei einem bewusst wahrheitswidrigen Prozessvortrag in einem Kündigungsrechtstreit in Betracht, wenn der*die Arbeitnehmer*in befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess zu verlieren.

 

Die Beklagte habe keinen Beweis dafür angetreten, dass den Kläger die E-Mails im Zusammenhang mit der Vorlage von Kreditkartenbelegen tatsächlich erreicht hätten. Allein die Versendung in Form einer E-Mail beweise nicht deren Zugang.

 

Versandte E-Mails gelten nicht als zugegangen

 

Den Absender einer E-Mail treffe die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die E-Mail dem Empfänger zugegangen sei. Daran ändere auch die Behauptung der Beklagten nichts, diese E-Mails seien nicht als unzustellbar zurück gekommen. Auch dafür habe die Beklagte keinen Beweis angetreten. Sie habe ebensowenig vorgetragen, dass sie mit der Versendung der E-Mail den Kläger darauf hingewiesen habe, eine entsprechende Lesebestätigung abzugeben, woraus sich der tatsächliche Zugang ergeben hätte.

 

Für das Gericht sei im Übrigen nicht erkennbar gewesen, dass der Kläger bewusst die Unwahrheit gesagt habe.

 

Ein Auflösungsantrag könne und dürfe nicht das entsprechende Mittel sein, welches Parteien ausschließlich deshalb wählten, weil die Gegenseite nicht bereit sei, das Arbeitsverhältnis zu beenden und eine entsprechende Abfindung zu akzeptieren. Selbst wenn der Kläger im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens vereinzelt „über das Ziel hinaus geschossen sei“, führe das nicht zwingend dazu, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar wäre und den Auflösungsantrag der Beklagten rechtfertige.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin.