Mindestens alle vier Jahre wird die Notfallrettung von öffentlichen Verwaltungen neu ausgeschrieben. Im Landkreis Stendal in Sachsen-Anhalt war bis Ende 2004 das Deutsche Rote Kreuz (DRK) mit der Notfallrettung und dem qualifizierten Krankentransport betraut. Das DRK bewarb sich im März 2004 bei der neuen Ausschreibung für die nächste Vier-Jahres-Periode, kündigte aber schon vor der Wettbewerbs­entscheidung im Juni seinem Fachpersonal.

 

Gemeinnützig, aber keine Sonderstellung

 

72 Rettungssanitäter und Rettungsassistenten erhielten betriebsbedingte Kündigungen zum Ende des Jahres 2004 – Begründung: ein Erfolg bei der Bewerbung im Ausschreibungsverfahren sei nicht abzusehen und wenig wahrscheinlich.

Das wollten die Arbeitnehmer und der Betriebsrat, der den Kündigungen bei der Anhörung widersprochen hatte, nicht hinnehmen. Unterstützt vom ver.di-Gewerkschaftssekretär Wolfgang Siebert beauftragten die DRK-Mitarbeiter das Büro Stendal der DGB Rechtsschutz GmbH mit der Rechtsvertretung. Rechtssekretär Wolfgang Freitag und Teamleiter Roland Gratzer konnten in der ersten Instanz in speziell ausgewählten Klageverfahren die Kündigungen erfolgreich abwehren. Das DRK ging in Berufung und erhielt beim Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Recht. Das LAG attestierte dem Verband eine Sonderstellung aufgrund des gemeinnützigen Vereinsstatus. Da nicht gewinnorientiert, stelle der Verein einen Ausnahmefall dar. Die langen Kündigungsfristen bei drohendem Auftragsverlust drängten das DRK in eine existentielle Notlage. Durch diese betrieblichen Erfordernisse, so das LAG, seien die Kündigungen sozial gerechtfertigt, zudem ein Wiedereinstellungsanspruch bestanden hätte.

Dem widersprach das Bundesarbeitsgericht in allen Punkten. Es stellte fest, dass der Anspruch auf Wiedereinstellung einen wesentlich geringeren Schutz darstelle, als er im Kündigungsschutzgesetz vorgesehen sei. Im Falle der Auftragsverlängerung für das DRK hätten die Mitarbeiter innerhalb ihrer Kündigungsfristen wieder eingestellt werden müssen. „Das ist gefestigte Rechtsprechung, aber kein Automatismus“, warnt der Teamleiter, „denn die Wiedereinstellung muss von den Arbeitnehmern selbst eingefordert werden.“

„Das eigentlich Interessante an dem BAG-Urteil ist“, kommentiert Roland Gratzer, „dass auch gemeinnützige Vereine letztlich Arbeitgeber sind und als solche keine Ausnahme bei betriebsbedingten Kündigungen beanspruchen können.“ Das bedeutet: Solange sich ein Arbeitgeber, gemeinnützig oder privatwirtschaftlich, an Ausschreibungen beteiligt, geht er davon aus, dass der Betrieb weiter bestehen wird, und kann daher nicht „auf Vorrat“ seinen Mitarbeitern kündigen.

 

Die Verfahren gehen weiter

 

Nach vier Jahren und drei Instanzen konnten ver.di und die DGB Rechtsschutz GmbH in Stendal aber erst einen Teilsieg erringen: Die Kündigungen zum 31.12. 2004 sind nicht wirksam, das ist nun rechtskräftig festgestellt, aber ob auch die zweiten Kündigungen ungerechtfertigt sind, ist noch nicht entschieden. Nachdem das DRK tatsächlich keinen neuen Auftrag erhalten hatte, der Landkreis Stendal sich für den Mitbewerber Johanniter Unfallhilfe e. V. entschieden hatte, erhielt das Rettungspersonal nochmals Kündigungen, mit Fristen bis Ende März 2005. „Aus unserer Sicht auch unbegründet“, argumentiert Teamleiter Roland Gratzer, „weil keine wirksame Massenentlassungsanzeige gegenüber der Agentur für Arbeit erfolgt sei“. Die Verfahren gehen weiter.

Rechtliche Grundlagen

Sicherheit für Betriebsräte

Das vorliegende BAG-Urteil betrifft viele Arbeitnehmer – alle vier Jahre wieder, wenn die Durchführung der Notfallrettung neu ausgeschrieben wird. Bundesweit gibt es zahlreiche Rettungsdienste, deren Mitarbeiter in hoher Zahl gewerkschaftlich organisiert sind. „Dass gemeinnützige Vereine keinen Sonderstatus als Arbeitgeber haben, bedeutet für die betroffenen Betriebsräte Sicherheit“, kommentiert Wolfgang Siebert, ver.di-Gewerkschaftssekretär in Stendal, „so lange der Verein sich als Arbeitgeber an Wettbewerben oder Ausschreibungen beteiligt, sind die Arbeitnehmer vor Kündigungen weitestgehend geschützt. Mit dieser Gewissheit kann ein Betriebsrat die Mitarbeiter stärken, bei Klagen unterstützen und anders lautende Arbeitgeber-Argumente entkräften.“

Bundesarbeitsgericht am 13. Februar 2008, Az. 2 AZR 99/06