Dürfen Arbeitnehmerinnen ihren Chef dort anzeigen? Copyright by Adobe Stock/b.s.m.
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Mit dieser Problematik hat sich das Arbeitsgericht Dessau-Roßlau in seinem Urteil vom 12. August 2020 beschäftigt.
 

Was war geschehen?

Ein Landkreis erließ wegen der Corona-Pandemie eine Allgemeinverfügung. Danach durften sich alle, die in einem bestimmten Gebiet wohnten, nur noch in ihrer eigenen Wohnung oder auf ihrem eigenen Wohngrundstück aufhalten. Davon ausgenommen waren lediglich Arbeitnehmer*innen, deren Arbeitsplatz sich ebenfalls innerhalb dieses Gebietes befand. Sie durften ihr Haus verlassen, um arbeiten zu gehen.
Dessen ungeachtet fuhr der Geschäftsführer, der in dem Gebiet wohnte, zu seinem Arbeitsplatz bei einer Firma, die außerhalb lag.
Ein Mitarbeiter, der den Geschäftsführer am 27. März 2020 in der Firma traf, rief bei der örtlichen Dienststelle der Polizei an. Er erkundigte sich dort, ob das Verlassen der Quarantänezone zulässig sei.
Am 30. März 2020 schickte der Mitarbeiter eine E-Mail an den Landkreis. Darin beschrieb er das Verhalten des Geschäftsführers und erkundigte sich, wie man es rechtlich würdigen müsse.
 
Nach mehreren ergebnislosen Gesprächen zwischen Mitarbeiter und Geschäftsführer kündigte die Firma außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächst zulässigen Termin.
 
Der Mitarbeiter klagte gegen die Kündigung vor dem Arbeitsgericht.
 

Wie geht das Arbeitsgerichts vor?

Das Arbeitsgericht beschäftigte sich zunächst mit der Frage, ob das Verhalten des Klägers grundsätzlich geeignet ist, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dabei untersuchte es einerseits das Telefonat mit der Polizei und andererseits die E-Mail an den Landkreis. Als Maßstab wandte das Arbeitsgericht die Grundsätze analog an, die gelten, wenn Arbeitnehmer*innen ihren Arbeitgeber bei Polizei oder Staatsanwaltschaft anzeigen.
Eine Strafanzeige kann  - so das Arbeitsgericht  - ein wichtiger Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung sein. Dabei kommt es zum einen darauf an, welche Motivation der Anzeige zugrunde lag. Zum anderen ist entscheidend, ob die Anzeige eine unverhältnismäßige Reaktion auf ein Verhalten des Arbeitgebers ist.
Daraus folgt, dass eine Strafanzeige eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen kann, wenn Arbeitnehmer*innen dabei

  • wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben machen
  • den Arbeitgeber mit der Anzeige lediglich schädigen wollen
  • aus „Rache“ handeln
  • eine mögliche innerbetrieblicher Bereinigung des Missstandes unversucht lassen.


Was bedeutet das für den Kläger?

Nach Auffassung des Arbeitsgerichtes machte der Kläger weder in seiner E-Mail an den Landkreis noch anlässlich seines Anrufs bei der Polizei wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben. Er teilte in beiden Fällen lediglich mit, dass sich der Geschäftsführer außerhalb des Quarantänegebietes aufhielt. Diese Angaben trafen zu.
Dafür, dass der Kläger den Arbeitgeber schädigen wollte oder aus „Rache“ handelte, sieht das Arbeitsgericht keinen Anhaltspunkt. Denn es ging dem Kläger nicht darum, den Geschäftsführer einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen. Vielmehr war Ziel des Klägers, ein Infektionsrisiko für sich und die anderen Mitarbeiter des Betriebs zu reduzieren. Deshalb war das Verhalten des Klägers für das Arbeitsgericht nachvollziehbar.
Eine innerbetriebliche Beilegung des Konflikts war nach Ansicht des Arbeitsgerichtes nicht erforderlich. Denn bei der Verletzung von Quarantänevorschriften aus einer Allgemeinverfügung des Landkreises liegt kein innerbetrieblicher Missstand vor.
Aus denselben Gründen hält das Arbeitsgericht auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung nicht für gerechtfertigt. Das bedeutet, dass die Kündigungsschutzklage erfolgreich war und der Kläger seinen Arbeitsplatz behält.

ArbG Dessau-Roßlau, Urteil vom 12. August 2020 – 1 Ca 65/20