Auch ein 400 Kilometer vom Hauptbetrieb entfernter Teilbetrieb kann mit diesem eine räumliche Einheit bilden. Ist dies der Fall, so muss für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes auf die Gesamtzahl der Arbeitnehmer abgestellt werden.

Der Fall:

Eine Arbeitgeberin beschäftigt am Hauptsitz weit mehr als 10 Arbeitnehmer. In einer Niederlassung, die 400 Kilometer entfernt war, allerdings nur 5 Arbeitnehmer. Einem der in der Niederlassung beschäftigten Arbeitnehmer wurde gekündigt. Dagegen legte er Kündigungsschutzklage ein.

Die Arbeitgeberin hält das Kündigungsschutzgesetz wegen Nichterreichens des Schwellenwertes von zehn Arbeitnehmern für nicht anwendbar. Die Niederlassung sei ein selbständiger Betrieb i.S.d. § 23 Abs. 1 KSchG. Die dortige Personalleitung erfolge selbständig durch den Niederlassungsleiter.

Die Entscheidung:

Das Kündigungsschutzgesetz ist anwendbar, entschied das LAG Rheinland-Pfalz.

Die Niederlassung und der Hauptbetrieb bildeten im Kündigungszeitpunkt einen einheitlichen Betrieb i.S.d. § 23 KSchG, so dass auf die Gesamtzahl der Arbeitnehmer abzustellen ist, die den Schwellenwert von zehn Arbeitnehmern unstreitig übersteigt.

Es ist unerheblich, dass die Niederlassung in der Eifel rund 400 Kilometer vom Hauptbetrieb im Thüringer Wald entfernt war. Nach der Rechtsprechung des BAG, der die Berufungskammer folgt, können auch ein Hauptbetrieb und eine räumlich weit entfernte Betriebsstätte i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG einen Betrieb i.S.d. § 23 KSchG bilden.

Im Unterschied zu § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG differenziert § 23 KSchG nicht zwischen Betrieben und räumlich entfernten Betriebsteilen, die als selbstständige Betriebe im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes gelten. Die räumliche Einheit ist kündigungsschutzrechtlich kein entscheidendes Abgrenzungsmerkmal, weil es wesentlich auf die Leitung des Betriebs ankommt, der es obliegt, die Einzelheiten der arbeitstechnischen Zwecksetzung zu regeln (BAG 28.10.2010- 2 AZR 392/08)

Hier waren die Richter nicht davon überzeugt, dass der Niederlassungsleiter diese selbständig geleitet und überwacht hat. Die von ihm - in der Beweisaufnahme -geschilderten Kompetenzen genügen nicht, um eine Personalverantwortung von hinreichender Relevanz anzunehmen. Er unterlag umfassenden Vorgaben und war nicht allein entscheidungsbefugt. Dies genügt nicht, um die Niederlassung als eigenständigen (Klein-)Betrieb im kündigungsschutzrechtlichen Sinne anzusehen.

Folgen für die Praxis:

Die Betriebsbegriffe aus § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG und § 23 KSchG sind nicht identisch. Insbesondere fehlt in § 23 KSchG die Einschränkung „räumlich weit entfernt“.
Für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes ist es daher unerheblich, ob die Betriebe oder Betriebsteile dicht beieinander liegen oder weit voneinander entfernt sind. Es kommt auf die Anzahl der Beschäftigten und darauf an, wie selbständig die Betriebe sind. Wem obliegt die Entscheidungskompetenz? Wer regelt die Einzelheiten der arbeitstechnischen Zwecksetzung? Insbesondere ist auf die selbständige Personalverantwortung abzustellen. Wird lediglich das Tagesgeschäft wie Genehmigung von Urlaub, Einteilung der Arbeit, Anordnung von Überstunden vor Ort von einem Leiter geregelt, führt dies nicht zu einem selbständigen eigenständigen Betrieb. Es ist vielmehr darauf abzustellen, wer Einstellungen, Kündigungen, Gehaltsvereinbarungen, Arbeitsvertragsverhandlungen führt und letztere unterzeichnet. Geschieht dies am Hauptsitz, so ist die Niederlassung unselbständig. Es liegt ein Betrieb vor. Die Anzahl der Beschäftigten sind zu addieren. Das Kündigungsschutzgesetz findet Anwendung.
Die gekündigten Arbeitnehmer sollten daher immer genau befragt werden, wer was konkret von wo entscheidet. Man sollte es also nicht dabei belassen, zu fragen wie viele Beschäftigte gibt es vor Ort. Mit der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes wird die Prozeßsituation des Gekündigten um ein vielfaches günstiger. Erst dann wird die soziale Rechtfertigung vom Gericht geprüft.

 


Margit Körlings

DGB Rechtsschutz GmbH


Das Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 08.11.2012, 10 Sa 224/12