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Der Kläger ist bei dem beklagten Unternehmen seit Anfang 2018 als Mitarbeiter für Bodenverkehrsdienste beschäftigt. Im März 2022 beantragte er Urlaub für den Sommer, insgesamt für 5 Wochen, die in den Monaten August und September lagen. Nachdem dieser Antrag abgelehnt wurde, beantragte er Urlaub für die ersten drei Augustwochen. Auch das lehnte der Arbeitgeber ab. Der Versuch, über eine einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts den Urlaub zu bekommen, blieb ohne Erfolg.

 

Am 10. August 2022 meldete sich der Kläger krank und legte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 19. September 2022 vor.

 

Fristlose Kündigung wegen angeblicher Selbstbeurlaubung und Täuschung

 

Sein Arbeitgeber reagierte mit einer fristlosen Kündigung. Um die Selbstbeurlaubung zu vertuschen, habe er Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht und eine nicht ordnungsgemäße Bescheinigung vorgelegt. Durch diese Täuschungsabsicht habe er versucht, Entgeltfortzahlung zu erschleichen.

 

Der DGB Rechtsschutz München erhob Kündigungsschutzklage. Denn der Kläger hatte sich nicht selbst beurlaubt, sondern war arbeitsunfähig erkrankt, was durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung belegt war und auch von dem behandelnden Arzt bestätigt wurde.

 

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu

 

Dieser hohe Beweiswert kann durch Tatsachen erschüttert werden, die der kündigende Arbeitgeber vortragen und beweisen muss. Gelingt ihm dies, so muss sich der Arbeitnehmer konkret zu seiner Erkrankung und der Arbeitsunfähigkeit einlassen, insbesondere zu gesundheitlichen Einschränkungen und den ärztlichen Verhaltensregeln für den Zeitraum der Krankschreibung. Sodann ist wieder der Arbeitgeber in der Darlegungs- und Beweislast, diesen Sachvortrag zu wiederlegen.

 

Das beklagte Unternehmen versuchte im Rechtsstreit den Beweiswert der Krankschreibung zu erschüttern. Man habe dem Kläger für Ende August Urlaub angeboten, der jedoch für ihn wegen seiner kurzen Dauer nicht interessant gewesen sei. Er habe die gesamten Sommerferien mit seiner Familie ans Meer fahren wollen. Es habe eine Zwangssituation vorgelegen, die ernsthafte Zweifel daran begründen würden, dass der Kläger wirklich krank war.

 

Lange Dauer der Krankschreibung erschüttert den Beweiswert nicht

 

Die Bescheinigung wurde hier für einen Zeitraum von fast sechs Wochen ausgestellt Der Arbeitgeber sah auch darin ein Problem.

Es gibt eine Richtlinie zur Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit (AU-Richtlinie), die vorsieht, dass die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit nicht für einen mehr als zwei Wochen im Voraus liegenden Zeitraum bescheinigt werden soll. Das mache die Bescheinigung aber nicht unrechtmäßig, so das Arbeitsgericht. Es handele sich lediglich um eine Soll-Vorschrift, aus der nicht abgeleitet werden könne, dass eine über einen Zeitraum von zwei Wochen hinaus erfolgende Bescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit generell nicht vorzunehmen sei.

Ernsthafte Zweifel an dem Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung würden somit allein durch den Umstand, dass sie für einen Zeitraum von fast sechs Wochen ausgestellt wurde, nicht begründet.

 

Der Kläger erlitt ein Burn-Out

 

Hatte der Kläger den Arzt dazu gedrängt, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den langen Zeitraum auszustellen? Dafür sah das Gericht keine Anhaltspunkte. Auch das sei in diesem Zusammenhang zu beachten. Der Kläger habe insoweit in der mündlichen Verhandlung glaubwürdig angegeben, dass der Arzt die Bescheinigung ohne Aufforderung für die lange Dauer ausgestellt habe.

 

Die lange Dauer erscheine auch sachgerecht im Hinblick auf die vom Kläger dargelegte psychische Erkrankung.

 

Abgelehnter Urlaub stellt Erkrankung nicht in Frage

 

Das Gericht sah den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch nicht dadurch als erschüttert an, dass der Kläger ursprünglich ab dem 4. August Urlaub haben wollte und erfolglos versucht hat, diesen gerichtlich durchzusetzen. Hieraus würden sich keine hinreichenden Zweifel an der Erkrankung des Klägers ergeben.

 

In diesem Zusammenhang sei insbesondere zu beachten, dass die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit gerade nicht passgenau dem vom Kläger ursprünglich begehrten Urlaubszeitraum entspricht, sondern erst rund eine Woche nach dem beantragten Urlaubsbeginn eintrat und erst über zehn Tage nach dem ursprünglich geplanten Urlaubsende endete. Dabei fiel die letzte Woche der Arbeitsunfähigkeit auch nicht mehr in die bayerischen Sommerferien 2022.

 

Kläger verbrachte die Zeit der Krankschreibung zuhause

 

Der Arbeitgeber hat im Verfahren lediglich pauschal, und ohne dies zu beweisen, behauptet, der Kläger sei während seiner Arbeitsunfähigkeit in den Urlaub gefahren. Der Kläger hat hingegen in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er mit seiner Familie den gesamten Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit zu Hause verbracht habe und nicht in den Urlaub gefahren sei. Auch darauf stellte das Gericht in seiner Entscheidung ab.

 

Es bestünden somit keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sich krank gemeldet habe, um mit seinen Kindern wegfahren zu können, und hierdurch das Recht selbst in die Hand genommen habe.

 

Erhebliche Zweifel an dem Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sah das Gericht auch nicht darin begründet, dass der Kläger ein Urlaubsangebot für einen kürzeren Zeitraum im August nicht angenommen hatte. Es möge so sein, dass ein solches Angebot für den Kläger nicht interessant gewesen wäre, weil er mit seiner Familie für einen längeren Zeitraum habe wegfahren wollte. Letztlich sei jedoch mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass der Kläger in den Sommerferien mit seiner Familie gar nicht weggefahren ist.

 

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da das beklagte Unternehmen Berufung eingelegt hat.