Schwerbehinderte haben in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses keinen Anspruch auf ein Präventionsverfahren.
Schwerbehinderte haben in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses keinen Anspruch auf ein Präventionsverfahren.

Geklagt hatte eine Frau mit einem Grad der Behinderung von 50 gegen ihre ehemalige Arbeitgeberin. Die Klägerin war seit dem 1. Oktober 2012 als Leiterin der Organisationseinheit Qualitätsmanagement/Controlling des Landeskriminalamts beschäftigt.

Kündigung in der Probezeit

Die Parteien hatten im Arbeitsvertrag eine Probezeit von sechs Monaten vereinbart. In einem Personalgespräch am 11. Februar 2013 hatte der Präsident des LKA der Klägerin mitgeteilt, dass er beabsichtige, das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Probezeit zu beenden. Es wurde mit Schreiben vom 8. März 2013 zum 31. März 2013 gekündigt.

Die Klägerin hat sich zwar nicht gegen die Kündigung gewehrt, jedoch einen Entschädigungsanspruch wegen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gefordert. Sie war der Ansicht, das beklagte Land habe sie dadurch, dass es das Präventionsverfahren nicht durchgeführt habe, wegen ihrer Schwerbehinderung diskriminiert.

Das Präventionsverfahren sei eine besondere Schutzmaßnahme zur Vermeidung von Nachteilen für Schwerbehinderte im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Werde eine solche Vorkehrung nicht getroffen, sei dies als Diskriminierung zu werten. 

Bundesarbeitsgericht: Kein Anspruch auf Präventionsverfahren in den ersten sechs Monaten

Mit dieser Argumentation hatte die Klägerin schon in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Nun hat auch der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts die Klage abgewiesen.

Dabei stützten sich die Richter*innen auf die Argumentation, dass das Präventionsverfahren selbst ist keine "angemessene Vorkehrung" im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention sei. Der Gesetzgeber hätte die überstaatlichen Vorgaben bereits umgesetzt.

Zudem sei der Arbeitgeber nicht verpflichtet, innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses, in denen das Kündigungsschutzgesetz noch nicht gilt, ein Präventionsverfahren durchzuführen. 

Anmerkung

Die Entscheidung ist für die betroffene Arbeitnehmerin sicher hart, dennoch ist sie rechtlich im Ergebnis nicht zu kritisieren. Das Gesetz hätte keine andere Deutung zugelassen.

Das Präventionsverfahren dient dem Zweck, dass der Arbeitgeber mit dem Betroffenen und den zuständigen Stellen innerhalb und außerhalb des Betriebes geeignete Maßnahmen diskutieren kann, wenn das Arbeitsverhältnis durch das Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten gefährdet ist.

Durch den Hinweis auf personen-, verhaltens- oder betriebsbedingte Ursachen nimmt die Vorschrift Bezug auf das Kündigungsschutzgesetz, das eine soziale Rechtfertigung aus diesen Gründen voraussetzt, um eine Kündigung wirksam aussprechen zu können. Das Kündigungsschutzgesetz gilt aber in den ersten sechs Monaten nicht, so dass es für eine Kündigung keines Grundes bedarf. 

Auch die Schutzvorschriften für schwerbehinderte Menschen gelten erst nach mindestens sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses. Es ist also konsequent, auch einen Anspruch auf ein Präventionsverfahren erst nach einem halben Jahr anzunehmen.

Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts zum Urteil vom 21. April 2016 - Az.: 8 AZR 402/14


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Im Praxistipp: Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen § 84 Prävention

Rechtliche Grundlagen

Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen § 84 Prävention

Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (Artikel 1 des Gesetzes v. 19.6.2001, BGBl. I S. 1046)

§ 84 Prävention

(1) Der Arbeitgeber schaltet bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.
(2) Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 93, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Soweit erforderlich wird der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die örtlichen gemeinsamen Servicestellen oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Leistungen oder Hilfen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 erbracht werden. Die zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 93, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können die Klärung verlangen. Sie wachen darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt.
(3) Die Rehabilitationsträger und die Integrationsämter können Arbeitgeber, die ein betriebliches Eingliederungsmanagement einführen, durch Prämien oder einen Bonus fördern.