Auch Worte können ganz schön weh tun. Copyright by Adobe Stock/ freshidea
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Es war ein Zivilprozess wie tausend andere. Die Parteien stritten über mangelhafte Malerarbeiten. Der Kläger hielt die Richterin für nicht objektiv und stellte einen Befangenheitsantrag.

Die Begründung des Antrags

Der Kläger war der Auffassung, die Richterin habe Zeugen einseitig vernommen und ihnen Antwort in den Mund gelegt. Seine Auffassung brachte er zum Ausdruck mit den Worten:
 „Die Art und Weise der Beeinflussung der Zeugen und der Verhandlungsführung durch die Richterin . . . erinnert stark an einschlägige Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten . . . Die gesamte Verhandlungsführung der Richterin erinnerte er an einen mittelalterlichen Hexenprozess als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführtes Verfahren.“

Das Strafverfahren

Wegen dieser Äußerung kam es zu einem Strafverfahren. Das Strafgericht verurteilte den Kläger im Zivilprozess zu einer Geldstrafe. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht bestätigten das erstinstanzliche Straf-Urteil.

Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht

Der wegen Beleidigung Verurteilte legte Verfassungsbeschwerde ein. Das höchste deutsche Gericht hatte also durch Beschluss zu entscheiden, ob die Äußerung gegenüber der Zivil-Amtsrichterin durch den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Die Begründung des Beschlusses

Die Richter*innen wiesen zunächst darauf hin, dass das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht schrankenlos gelte. Vielmehr sei es durch die allgemeinen Gesetze, insbesondere durch den Straftatbestand der Beleidigung eingeschränkt. Wie weit diese Einschränkung reiche, sei durch eine Abwägung des Grundsatzes der Meinungsfreiheit einerseits und der Auswirkungen auf die persönlichen Ehre andererseits zu ermitteln.
Zu berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang insbesondere, dass der Kernbereich der Meinungsfreiheit darin bestehe, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen scharf kritisieren zu können. Dies beinhalte auch ein Recht auf polemische Zuspitzung.
Allerdings ende die Meinungsfreiheit immer dort, wo es sich um eine reine Schmähkritik handle. Das sei der Fall, wenn losgelöst von jedem Sachbezug allein die persönliche Diffamierung im Vordergrund der Äußerung stehe.
Das Bundesverfassungsgericht kam zu dem Ergebnis, die Begründung des Befangenheitsantrag gegen die Zivilrichterin beinhalte keine Schmähkritik. Der Kläger in diesem Prozess habe lediglich in scharfer Form darauf aufmerksam machen wollen, dass die Verhandlungsführung der Richterin nicht korrekt sei. Dabei habe er lediglich einen subjektiven historischen Vergleich gezogen, mit dem er seine Auffassung habe untermauern wollen. Zweck des Befangenheitsantrag sei es aus Sicht des Klägers gewesen, den Zivilprozess zu gewinnen. Deshalb seien seine Äußerungen nicht als reine, von jeglichem Sachzusammenhang abgetrennte Schmähung der Richterin und damit keine reine Schmähkritik gewesen.
 

Das Ergebnis

Das Bundesverfassungsgericht hob das Strafurteil auf. Das Strafverfahren ist also unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichtes erneut durchzuführen.

BVerfG, Beschluss v. 14.6.2019, 1 BvR 2433/17

Das sagen wir dazu:

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass das Bundesverfassungsgericht bei das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützt.

Derzeit verschieben sich die Grenzen dessen, was sagbar ist, aber immer weiter nach rechts. Rassistische Diffamierungen und Beleidigungen werden salonfähig. Und wie Halle und Hanau zeigen, verändert sich nicht nur das Sag-, sondern auch das Machbare.
Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, ob und inwieweit der vorgestellte Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes diese Entwicklung – unbeabsichtigt – fördert. Denn ein Sachbezug, der eine Schmähkritik ausschließt, wird sich mit etwas Fantasie für (fast) jede beleidigende Äußerung finden lassen. Deshalb wäre es aus unserer Sicht wünschenswert, höchstrichterlich klarzustellen, dass sich die Grenzen der Meinungsfreiheit – auch – an der jeweiligen gesellschaftlichen Situation zu orientieren haben. Nur so ist zu verhindern, dass beispielsweise einschlägige Kreise rassistische Diffamierungen mit dem Argument rechtfertigen, selbst die obersten deutschen Richter*innen ließen alles zu, was nicht in ihrem Sinn als Schmähkritik aufzufassen sei.
Hier wäre es deshalb unserer Auffassung nach angezeigt gewesen, die verlorene Ehre der Amtsrichterin „X“ wiederherzustellen.