Restmandatierte Betriebsräte haben noch vielfältige Aufgaben. © Adobe Stock: magele-picture
Restmandatierte Betriebsräte haben noch vielfältige Aufgaben. © Adobe Stock: magele-picture

Die Stilllegungsabsicht des Unternehmens stand fest. Sozialplanverhandlungen wurden geführt und mündeten in einer Einigungsstelle, die abschließend entschied. In der Folgezeit hörte der Arbeitgeber den Betriebsrat zu verschiedenen Kündigungen an. Der widersprach, der Arbeitgeber kündigte seinen Beschäftigten dennoch. Die Betroffenen erhoben Kündigungsschutzklage. Der Betriebsratsvorsitzende des Unternehmens stellte den Prozessbevollmächtigten dieser Personen per Email Unterlagen zur Verfügung, die er in den Verhandlungen mit dem Arbeitgeber erhalten hatte.

 

In dieser Mail empfahl der Betriebsratsvorsitzende, in den Kündigungsschutzprozessen zu argumentieren, es sei zu einem Teilbetriebsübergang gekommen. Informationen über Beschäftigtenzahlen und zu Arbeitsvertragsangeboten waren angehängt. Den Empfängern der Email stellte er einen Link zur Verfügung, über welchen ohne Passwortschutz ein Zugriff auf Daten im Umfang von mehr als 150 MB möglich war.

 

Das Unternehmen wollte sich vom Betriebsrat trennen

 

Das Unternehmen nahm diesen Vorgang zum Anlass, beim Arbeitsgericht die Auflösung des Betriebsrates oder zumindest den Ausschluss des Betriebsratsvorsitzenden zu beantragen. Der Betriebsrat habe in grober Weise gegen seine gesetzlichen Pflichten verstoßen, heißt es in der Antragsschrift. Er habe personenbezogene und sensible Daten der von den Kündigungen betroffenen Arbeitnehmer:innen, u.a. Entgelt- und Gesundheitsdaten, ohne Einwilligung der betroffenen Personen und unter Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen an einen breiten Empfängerkreis von externen Dritten weitergegeben.

 

Nach § 23 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) kann mindestens ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer:innen, der Arbeitgeber oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen.  Der Betriebsrat hört damit auf zu bestehen; die Mitgliedschaft im Betriebsrat erlischt.

 

§ 21b BetrVG schränkt dieses Recht ein

 

Dort heißt es dazu:

 

„Geht ein Betrieb durch Stilllegung, Spaltung oder Zusammenlegung unter, so bleibt dessen Betriebsrat so lange im Amt, wie dies zur Wahrnehmung der damit im Zusammenhang stehenden Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte erforderlich ist.“

 

Der restmandatierte Betriebsrat unterliegt keiner Auflösung, stellt das Bundesarbeitsgericht dazu ausdrücklich fest. Insofern sei § 23 BetrVG einzuschränken. Das Betriebsverfassungsgesetz weise eine planwidrige Lücke auf, sofern der Betriebsrat zur Wahrnehmung seiner Beteiligungsrechte anlässlich einer Betriebsstilllegung auch nach dem Untergang des Betriebs ein Restmandat behalte. Diese Lücke müsse dahingehend geschlossen werden, dass § 23 BetrVG in solch einem Fall unanwendbar sei. Wende man diese Regelung uneingeschränkt auf den restmandatierten Betriebsrat an, verfehle man das gesetzgeberische Ziel des Auflösungsverfahrens. Das stünde in einem Wertungswiderspruch zu der Zielsetzung, die das Gesetz mit dem Restmandat verfolge.

 

Es kann keinen neuen Betriebsrat mehr geben

 

Nach § 23 BetrVG sind neben dem Arbeitgeber auch ein Teil der wahlberechtigten Arbeitnehmer:innen berechtigt, einen Auflösungsantrag zu stellen. Im Fall des Restmandats nach einer Betriebsstilllegung gebe es diesen Kreis der Antragsberechtigten aber nicht mehr. Die ehemaligen Arbeitnehmer:innen seien formal betrachtet auch keine Mitglieder des Betriebes im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes mehr.

 

Das Arbeitsgericht setze unverzüglich einen Wahlvorstand für die Neuwahl ein, wenn der Betriebsrat nach § 23 Abs. 1 BetrVG aufgelöst werde, so das BAG. Hintergrund sei, dass ein Betriebsrat neu gewählt werden müsse, wenn dieser durch eine (rechtskräftige) gerichtliche Entscheidung aufgelöst ist. Da ein Betriebsrat, der einen Wahlvorstand zu bestellen hätte, nicht mehr besteht, weise das Gesetz dem Arbeitsgericht die Bestellung des Wahlvorstands zu. Diese Intention laufe nach der Auflösung eines Betriebsrats im Restmandat von vornherein ins Leere, denn mangels (Fort-)Bestehens eines Betriebs kommt eine Neuwahl des Betriebsrats im Anschluss an die Bestellung eines Wahlvorstandes nicht mehr in Betracht.

 

Das Restmandat ist zeitlich nicht begrenzt

 

Das Restmandat unterliege ähnlich wie der Gesamt- und Konzernbetriebsrat keiner strikt zeitlichen, sondern einer funktional- und aufgabenbezogenen Begrenzung. Das deute auf einen Regelungsplan, der es gebiete, im Fall von Amtspflichtverstößen eine beim Gesamt- und Konzernbetriebsrat nicht angeordnete Rechtsfolge auch beim restmandatierten Betriebsrat als nicht eröffnet anzusehen. Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschriften würden deutlich dafür sprechen, dass die Vorschrift zur Auflösung des Betriebsrates nicht auf den restmandatierten Betriebsrat anzuwenden sei.

 

Solle ein Betriebsrat aufgelöst werden, sei eine Prognose darüber, dass der Betriebstrat untragbar sei, notwendig. Diese Prognose könne es beim restmandatierten Betriebsrat nicht mehr geben. Das mit dem Wegfall der betrieblichen Organisation entstehende Restmandat eines Betriebsrats sei kein Vollmandat, das die weitere Amtstätigkeit des Betriebsrates betrifft.

 

Die Prognose der Untragbarkeit lässt sich nicht auf das Restmandat beziehen

 

Der Untergang des Betriebs durch Stilllegung, Spaltung oder Zusammenlegung löse damit im Zusammenhang stehende Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte aus. Die im originären Vollmandat bestehenden Rechte des Betriebsrats bestünden ebenso wenig wie dessen betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten fort. Die im Rahmen von § 23 BetrVG erforderliche Prognose der Untragbarkeit vermöge sich beim Restmandat daher von vornherein nicht auf eine umfassende weitere Amtstätigkeit des Betriebsrats zu beziehen.

 

Löse man einen restmandatierten Betriebsrat auf, entfielen sämtliche Rechte im Zusammenhang mit einem Sozialplan, der erst mit Stilllegung des Betriebes greife. Das Gesetz wolle nicht, dass die betriebliche Mitbestimmung mit der Auflösung des Betriebsrates im Restmandat vollständig entfalle.

 

Das Restmandat stelle eine Regelung für einen Übergangszeitraum dar. Der Betriebsrat sei nicht (noch für eine bestimmte Dauer) im Amt mit limitierten Aufgaben, sondern bleibe im Amt, weil und solange noch limitierte Aufgaben bestünden. Er habe ein nachwirkendes Mandat, das funktionell auf alle mit dem Untergang des Betriebs verbundenen Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte begrenzt sei. Verließen Betriebsratsmitglieder das Gremium, führten die verbleibenden Mitglieder die noch anstehen Geschäfte weiter. Neuwahlen gebe es nach Ablauf der Amtszeit nicht mehr.

 

Pflichtverletzungen können beachtlich sein

 

Daraus resultiere kein „Freibrief“ für grobe Pflichtverletzungen seitens eines restmandatierten Betriebsratsmitglieds. Grobe Pflichtverletzungen des restmandatierten Betriebsrats in der Vergangenheit oder im Zusammenhang mit der Ausübung des Restmandats könnten den Ausschluss zur Folge haben, wenn sie einzelnen Betriebsratsmitgliedern zurechenbar seien. Das trage den berechtigten Interessen des Arbeitgebers ausreichend Rechnung, schwere Amtspflichtverletzungen auch im Restmandat nicht hinnehmen zu müssen.

 

Ebenso wie das Restmandat enden könne, wenn es kein hierzu berufenes Betriebsratsmitglied mehr ausüben wolle, könne es enden, wenn die einzig hierzu berufenen Betriebsratsmitglieder wegen grober Amtspflichtverletzung von seiner Wahrnehmung ausgeschlossen seien. Ob das beim betroffenen Betriebsratsvorsitzenden der Fall war, konnte das Bundesarbeitsgericht nicht abschließend entscheiden.

 

Das Landesarbeitsgericht hatte pauschal auf die Gründe zur Ablehnung des Auflösungsantrages verwiesen und ergänzend bemerkt, die behauptete Pflichtverletzung liege schon zwei Jahre zurück. Sie könne so viel später nicht (mehr) zu dem Ergebnis führen, eine weitere Amtsausübung für untragbar zu halten. Allein das Verstreichen einer gewissen Zeitspanne stehe dem Ausschluss aus dem Betriebsrat aber nicht entgegen.

 

Das Bundesarbeitsgericht verwies den Rechtsstreit daher zurück an das Landesarbeitsgericht. Die Richter:innen werden nun zu ermitteln haben, ob der betroffene Betriebsratsvorsitzende tatsächlich grob gegen seine Pflichten verstoßen hatte und deshalb aus dem Betriebsrat auszuschließen ist.

 

 

Das sagen wir dazu:

Irene Edich, Juristin beim Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht kommentiert die Entscheidung so:

 

„Das Bundesarbeitsgericht hat am 24.05.2023 entschieden, dass ein Betriebsrat nicht wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten aufgelöst werden kann, wenn er nur noch ein Restmandat nach der Stilllegung des Betriebs ausübt. Diese Rechtsfrage war bislang ungeklärt. Die Entscheidung ist zu begrüßen, da im Restmandat keine Möglichkeit zur Neuwahl des Betriebsrats besteht. Ein Ausschluss des gesamten Betriebsrats würde bedeuten, dass wichtige Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte nicht mehr ausgeübt werden können, die im Zusammenhang mit der Betriebsstillegung stehen.

 

Gleichzeitig geht das Bundesarbeitsgericht aber davon aus, dass der Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten im Restmandat möglich sein soll. Es hat die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, weil nicht genügend Tatsachen festgestellt worden sind. 

 

Nach unserer Auffassung ist es problematisch, dass einzelne Betriebsratsmitglieder im Restmandat ausgeschlossen werden können. Dabei gilt für sie dasselbe wie für den Betriebsrat insgesamt: Im Restmandat findet keine Neuwahl statt. Wäre keine Stilllegung des Betriebs erfolgt und der Betriebsrat im Vollmandat geblieben, hätte sich auch ein einmal ausgeschlossenes Betriebsratsmitglied neu wählen lassen können. Das geht im Restmandat nicht.“