Beim Fahrradkurier-Dienstleister "Gorillas" gärt es. Kleiner Lohn und schlechte Arbeitsbedingungen. © Adobe Stock - Achim Wagner
Beim Fahrradkurier-Dienstleister "Gorillas" gärt es. Kleiner Lohn und schlechte Arbeitsbedingungen. © Adobe Stock - Achim Wagner

In mehreren europäischen Großstädten gibt es den Lieferdienst „Gorillas“. Dahinter steckt die Gorillas Technologies GmbH mit Sitz in Berlin. Das Unternehmen betreibt eine Internet-Plattform, mehrere Auslieferungslager und beschäftigt eine Menge Fahrradkuriere, die Supermarktware nach Bestellung ausliefern. Es wirbt damit, dass es jede Bestellung innerhalb von zehn Minuten ausliefert.

 

Das Unternehmen bietet auf seiner Homepage Jobs an mit dem Versprechen, die Bewerber  erwarte eine "funktionale, komfortable und stylische Ausrüstung" und eine "energetische Crew". Es wirbt damit, dass "die Rider Crew" aus vielen Menschen mit verschiedenstem Hintergrund bestünde, die aber eins gemeinsam hätten: „Ihre Liebe für's Fahrradfahren“.

Das mag stimmen, denn ohne diese Liebe wären die Arbeitsbedingungen gar nicht erträglich.

 

Die Ausrüstung ist „stylisch“, aber unzureichend

Seit längerem geht durch die Presse, dass die Lieferpläne bei Gorillas zu eng abgestimmt sind, was erheblichen Stress für die Fahrer*innen bedeutet. Zudem soll die Organisation sehr chaotisch sein und es nur mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen geben. Darüber hinaus sind die Löhne schlecht und werden häufig erst verspätet ausgezahlt. Die „funktionale, komfortable stylische Ausrüstung“ entpuppt sich eher als nicht angemessen für den Arbeitseinsatz und unzureichend bei kälteren Temperaturen.

 

Im Oktober 2021 gab es in mehreren Städten Streiks der Beschäftigten. Das Unternehmen reagierte darauf mit zahlreichen Entlassungen. Mitte November ist die Betriebsratswahl angelaufen. Das war dem Unternehmen gar nicht recht: es beantragte beim Arbeitsgericht Berlin den Abbruch der Wahl im Wege einer einstweiligen Verfügung. Das lehnte das Arbeitsgericht indessen ab. Hiergegen hat Gorillas Beschwerde beim Landesarbeitsgericht Berlin (LAG) eingelegt. Diese hat das LAG jetzt zurückgewiesen. Weitere Rechtsmittel hat das Unternehmen nicht.

 

Die Voraussetzungen für einen Abbruch der Betriebsratswahl liegen nicht vor

Die Arbeitgeberin hatte den Abbruch der Betriebsratswahl verlangt, weil nach ihrer Auffassung der Wahlvorstand nicht ordnungsgemäß gebildet worden sei und erhebliche Mängel im Wahlverfahren vorlägen. 

 

Das LAG führte hierzu aus, eine Betriebsratswahl könne gerichtlich nur abgebrochen werden, wenn der Wahlvorstand bei Einleitung der Wahl offensichtlich nicht im Amt war oder die festzustellenden Mängel im Wahlverfahren zu einer nichtigen Wahl führen würden. In allen anderen Fallgestaltungen sei der Arbeitgeber auf das Wahlanfechtungsverfahren zu verweisen, bei dem der gewählte Betriebsrat jedoch zunächst im Amt bleibe.

Im vorliegenden Fall lagen diese Voraussetzungen für einen Abbruch der Betriebsratswahl nicht vor.

 

LINKS:

Hier geht es zur Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg    

Das sagen wir dazu:

Das LAG folgt hier der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Der 7. Senat des BAG hat 2011 entschieden, dass auf Antrag des Arbeitgebers eine Betriebsratswahl abzubrechen ist, wenn sie voraussichtlich nichtig ist. Die bloße Anfechtbarkeit genügt nicht. Auch reicht es nicht aus, wenn der Wahlvorstand fehlerhaft bestellt ist. Nur einem nicht existenten Wahlvorstand kann untersagt werden, weiter tätig zu werden.

Lange Zeit war unter Arbeitsrechtler*innen umstritten, unter welchen Voraussetzungen einem Wahlvorstand untersagt werden kann, eine von ihm eingeleitete Betriebsratswahl weiter durchzuführen. Das BAG konnte die Frage lange Jahre nicht klären, weil diese Streitigkeiten regelmäßig in einstweiligen Verfügungsverfahren ausgetragen werden, deren Rechtszüge vor dem Landesarbeitsgericht enden.

Gemäß BAG hat der Arbeitgeber Anspruch darauf, dass eine nichtige Betriebsratswahl nicht durchgeführt wird. Die mit der Durchführung einer Betriebsratswahl verbundenen Maßnahmen berührten den Arbeitgeber als Betriebsinhaber unmittelbar in seinem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, erklärte das oberste Arbeitsgericht der Republik. Zugleich würden ihm im Zusammenhang mit der Wahl Pflichten auferlegt. Ferner habe er die Kosten der Wahl zu tragen.

 

Zu unterscheiden ist eine nichtige Wahl von einer Wahl, die nur anfechtbar ist

Wird die bevorstehende Betriebsratswahl nichtig sein, hat es den Wahlvorstand gleichsam nie gegeben, das ist jedenfalls die juristische Fiktion. Und weil es ihn nie gegeben hat, kann er auch keine Wahl durchführen. In diesem Fall untersagt das Gericht den Leuten, die den rechtlich nicht existenten Wahlvorstand bilden, die Wahl durchzuführen.

Anders sieht es aus, wenn die bevorstehende Betriebsratswahl voraussichtlich anfechtbar sein wird. Das ist sie, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist. Würde aus diesem Grund die Wahl abgebrochen, verhindere das Gericht, dass zumindest vorläufig ein Betriebsrat zustande kommt, wie es das Betriebsverfassungsgesetz vorsieht. Damit würde ein betriebsratsloser Zustand aufrechterhalten, der nach der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes lediglich bei einer nichtigen Wahl eintreten darf. Das Betriebsverfassungsgesetz will nämlich betriebsratslose Zustände möglichst vermeiden.

 

Die Anfechtung regelt das Betriebsverfassungsgesetz in § 19. Nichtig ist eine Betriebsratswahl nur sehr selten. Anders als die Anfechtung, ist gesetzlich auch nicht geregelt, wann eine Betriebsratswahl nichtig ist – oder voraussichtlich sein wird. Die Rechtsprechung verlangt, dass der Mangel so offenkundig sein muss, dass ein Vertrauensschutz in die Gültigkeit der Wahl nicht besteht. Oder wie das BAG einmal in einer Entscheidung von 1978 gesagt hat: Die Wahl muss „den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen“.

 

Das LAG hat in seiner Entscheidung – jedenfalls insoweit man es der Pressemitteilung entnehmen kann – nichts dazu gesagt, ob die Wahl möglicherweise anfechtbar sein könnte. Das war aber auch gar nicht Gegenstand des Eilverfahrens. Hier ging es nur darum, ob die begonnene Betriebsratswahl durchgeführt werden kann. Und das steht jetzt fest.

 

Warten wir ab, welche Schikanen sich der Arbeitgeber noch ausdenken wird.