In einem großen Betrieb mit über 7.000 Beschäftigten hatte der 35-köpfige Betriebsrat in seiner konstituierenden Sitzung im März 2014 entschieden, zehn Betriebsratsmitglieder frei zu stellen. Darunter war auch ein Betriebsratsmitglied der sogenannten „Initiative Liste“. Später widerrief dieses Mitglied seine Freistellung. Da auf der Liste kein weiteres Mitglied mehr zur Verfügung stand, wählte der Betriebsrat ersatzweise am 16. Oktober 2014 ein Betriebsratsmitglied der Liste „ I B“.
Vorherige Beratung mit dem Arbeitgeber war unterblieben
Vor der Wahl des Betriebsratsmitglieds auf der Liste „I B“ hatte keine Beratung mit dem Arbeitgeber stattgefunden. Dies schreibt das Betriebsverfassungsgesetz allerdings vor. Danach muss das gesamte Betriebsratsgremium vor der Wahl mit dem Arbeitgeber über die Freistellungen beraten (BAG 29.4.1992, 7 ABR 74/91).
Drei Betriebsratsmitglieder, nicht der Arbeitgeber, wehrten sich gegen die Freistellungswahl. Sie vertraten die Auffassung, dass die unterbliebene Beratung des Arbeitgebers ein schwerwiegender Wahlfehler sei. Die Wahl sei deshalb nichtig.
Jedenfalls aber sei die Wahl anfechtbar, weil gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen worden sei.
Grundsätzlich können auch Betriebsratsmitglieder, die nicht persönlich vom Ausgang einer Wahl betroffen sind, beim Arbeitsgericht die Feststellung beantragen, dass die Wahl unwirksam ist. Zur Anfechtung betriebsratsinterner Wahlen ist jedes Betriebsratsmitglied berechtigt (BAG 20.4.2005, 7 ABR 47/04).
Freistellungswahl ist wie Betriebsratswahl angreifbar
Wenn bei Betriebsratswahlen gegen wesentliche Vorschriften verstoßen worden ist, ist die Wahl anfechtbar.
Beispiel: Ein nicht wählbarer Arbeitnehmer unter 18 Jahren wird zur Wahl aufgestellt oder das Wahlausschreiben wird nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht. Allerdings führen Verstöße nur dann zu einer Neuwahl, , wenn sie das Wahlergebnis geändert oder beeinflusst haben können.
Eine nichtige Wahl liegt nur bei ganz groben oder offensichtlichen Verstößen vor, etwa bei Bildung eines Betriebsrats durch Zuruf oder bei Wahl eines Betriebsrats in einem Betrieb mit weniger als fünf wahlberechtigen Arbeitnehmer*innen.
Diese Grundsätze gelten nicht nur bei Wahlen zum Betriebsrat, sondern auch, wenn der Betriebsrat seine frei zustellenden Mitglieder wählt (BAG 20.4.2005, 7 ABR 44/04).
Freistellungwahl ohne Beratung mit dem Arbeitgeber ist weder nichtig noch anfechtbar
Die Beratungspflicht mit dem Arbeitgeber betrifft jedoch nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts nicht die Durchführung der Wahl. Sie hat gerade im Vorfeld der Wahl stattzufinden. Sie ist Ausdruck der im Gesetz geforderten vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber.
Mit dem Beratungserfordernis soll dem Arbeitgeber die Möglichkeit gegeben werden, seine Bedenken gegen die Freistellung bestimmter Betriebsratsmitglieder zu äußern.
Das Beratungserfordernis schützt nicht die ordnungsgemäße Wahl, sondern allein die Belange des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber kann deshalb auch auf die Beratung verzichten. Außerdem kann sich der Betriebsrat über die geäußerten Bedenken hinwegsetzen und das Betriebsratsmitglied, gegen dessen Wahl der Arbeitgeber Einwände hatte, dennoch wählen.
Einwände in der Einigungsstelle geltend machen
Das Betriebsverfassungsgesetz sieht vor, dass der Arbeitgeber seine Bedenken gegen die Freistellung im Einigungsstellenverfahren geltend machen kann. Damit wird seinen Interessen ausreichend, aber auch abschließend Rechnung getragen. Eines Vorgehens gegen die Freistellung durch Anfechtung der Wahl bedarf es daher gar nicht.
Verfahren bei Einwänden des Arbeitgebers gegen die Freistellung
Das Gesetz sieht ein eigenständiges Verfahren vor, wenn der Arbeitgeber mit der Entscheidung des Betriebsrats nicht einverstanden ist:
- Der Betriebsrat muss dem Arbeitgeber nach der Wahl die Namen der frei gestellten Betriebsratsmitglieder mitteilen.
- Hat der Arbeitgeber Einwände, muss er innerhalb von zwei Wochen die Einigungsstelle anrufen. Die Frist beginnt ab dem Zeitpunkt, zu dem er die Mitteilung vom Betriebsrat erhalten hat. Hierbei handelt es sich um eine Ausschlussfrist.
- Hat der Arbeitgeber innerhalb von zwei Wochen die Einigungsstelle nicht angerufen, wird sein Einverständnis unterstellt. Die Entscheidung ist dann wirksam getroffen.
- Schaltet der Arbeitgeber die Einigungsstelle rechtzeitig ein, kann sie entweder die Bedenken des Arbeitgeber zurückweisen oder bestätigen und ein anderes frei zu stellendes Betriebsratsmitglied bestimmen. Dabei muss sie den Minderheitenschutz beachten.
Die Einigungsstelle darf auch nur zwingende betriebliche Gründe des Arbeitgebers berücksichtigen. Erschwerungen im Betriebsablauf reichen nicht.
Beispiele: Das frei gestellte Betriebsratsmitglied besetzt eine wichtige Schlüsselposition, oder in einer Abteilung sind schon andere Arbeitnehmer*innen frei gestellt, so dass die Funktionsfähigkeit der Abteilung nicht mehr gegeben ist. Der Betriebsrat muss aber auch in der Lage sein, stattdessen ein anderes geeignetes Mitglied freizustellen.
Wahlanfechtung auch nicht kostengünstiger als Einigungsstellenverfahren
Das Bundesarbeitsgericht weist auch das Argument der drei Betriebsratsmitglieder zurück, dass die Wahlanfechtung Kosten spare. Denn auch im Wahlanfechtungsverfahren muss der Arbeitgeber die Verfahrenskosten übernehmen. Das gilt auch, wenn er selbst ein solches Verfahren gar nicht einleiten will, sondern - wie im vorliegenden Fall - Betriebsratsmitglieder gegen die Wahl vor Gericht ziehen wollen.
Im Anfechtungsverfahren kann das Gericht im Gegensatz zum Einigungsstellenverfahren außerdem keine andere frei zu stellende Person bestimmen. Darüber müsste also gegebenenfalls doch noch anschließend die Einigungsstelle entscheiden.
Das Anfechtungsverfahren ist also keinesfalls kostengünstiger. Es trägt außerdem auch nicht zu einer zeitnahen Klärung bei.
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Das sagen wir dazu:
Die Entscheidung ist richtig. Die fehlende Beratung mit dem Arbeitgeber hat nichts mit der eigentlichen Freistellungswahl zu tun. Sie betrifft weder die Wahldurchführung noch die Wahlentscheidung.
Betriebsratsmitglieder können ihre Einwände im Betriebsratsgremium vortragen
Es ist schon zweifelhaft, ob Betriebsratsmitglieder befugt sind, allein die Verletzung arbeitgeberseitiger Interessen als Fehler der Freistellungswahl zu rügen. Das Gericht musste dazu nichts entscheiden, da es generell, und damit auch für den Arbeitgeber, die Wahlanfechtung für ausgeschlossen hält, wenn die Beratungspflicht verletzt ist.
Der Arbeitgeber ist insofern nicht schutzlos, da das Gesetz für ihn die Möglichkeit vorsieht, die Einigungsstelle anzurufen.
Dass Betriebsratsmitgliedern bei unterlassener Beratung mit dem Arbeitgeber keine Angriffsmöglichkeit eröffnet ist, ist richtig. Sie sind Mitglieder des Gremiums, das über die Freistellung entscheidet. Sie haben daher die Möglichkeit, ihre Einwände gegen die Freistellung bestimmter Personen in der Betriebsratssitzung vorzubringen.
Das sagen wir dazu