Im Februar 2021 gab das Unternehmen an seine Beschäftigten ein Formular zur „Meldung einer Pflichtverletzung an Leistung und / oder Verhalten“ heraus.
Der Betriebsrat forderte den Arbeitgeber auf, das Formular nicht weiter herauszugeben und eine entsprechende Unterlassungserklärung abzugeben.
Der Arbeitgeber lehnte dies ab, seiner Meinung nach sei die Maßnahme nicht mitbestimmungspflichtig.
Betriebsrat leitet arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren ein
Der Betriebsrat sah seine Rechte aus § 87 des Betriebsverfassungsgesetzes durch die Herausgabe des Formulars verletzt.
Die Regelung lautet (soweit relevant):
Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen:
1. Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb;
6. Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen;
Das Formular unterfalle den Fragen des Verhaltens der Arbeitnehmer*innen. Auch wenn die Daten nicht auf technischem Wege gewonnen würden, würden diese dennoch anschließend ausgewertet. Auch die alleinige Datenauswertung sei vom Mitbestimmungsrecht erfasst.
Werden die Mitbestimmungsrechte aus § 87 des Betriebsverfassungsrecht verletzt, steht dem Betriebsrat gegen Verstöße des Arbeitgebers ein allgemeiner Anspruch auf Unterlassung der mitbestimmungswidrigen Maßnahme zu.
Das Mitbestimmungsrecht bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb
Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer. Da der Arbeitgeber dieses kraft seiner Leitungsmacht beeinflussen und koordinieren kann, indem er zum Beispiel Verhaltensregeln aufstellt, ist es der Zweck des Mitbestimmungsrechts, die Arbeitnehmer hieran zu beteiligen.
Die Beschäftigten sollen an der Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens und der betrieblichen Ordnung gleichberechtigt teilnehmen.
Das Mitbestimmungsrecht ermöglicht dem Betriebsrat - zum Schutz der Betroffenen Arbeitnehmer - Einfluss zu nehmen auf die Anordnungen des Arbeitgebers, die sich auf die Belegschaft oder Teile von ihr konkret nachteilig auswirken können.
Mitbestimmungspflichtiges Ordnungsverhalten und mitbestimmungsfreies Arbeitsverhalten
Der Betriebsrat hat nur bei Maßnahmen mitzubestimmen, die das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer im Betrieb betreffen. Dies sind Anordnungen, die dazu dienen, das sonstige Verhalten der Arbeitnehmer zu koordinieren. Das Mitbestimmungsrecht soll immer dann ausgeübt werden können, wenn der Arbeitgeber das mit ihrer Tätigkeit verbundene Verhalten der Arbeitnehmer regelt.
Das beklagte Unternehmen vertritt die Ansicht, es liege kein betriebsverfassungswidriges Verhalten vor.
Das Formular sei dafür gedacht, Verstöße gegen arbeitsvertragliche Pflichten durch die jeweiligen Vorgesetzten genauer zu dokumentieren und der Personalabteilung mitzuteilen.
Angestrebt werde damit eine Erleichterung im Zusammenhang mit der Aufklärung von Sachverhalten. Das Formular diene nur der Unterstützung des Arbeitsverhalten, Ordnungsregeln würden weder geschaffen noch verändert.
Das Verhalten des Arbeitgebers verletzt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats
Das Arbeitsgericht entschied zu Gunsten des Betriebsrats.
Dabei stützte es sich auf eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Absatz 1 Nummer 1 BetrVG. Ob auch die Nummer 6 verletzt sei, könne dahinstehen.
Das Gericht ließ den Vortrag der Arbeitgeberseite nicht gelten, man habe die Verwendung des Formulars nicht angewiesen. Zumindest habe der Arbeitgeber mit der Herausgabe des Formulars deutlich seine Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass diese Formular auch verwendet wird. Ob er ausdrücklich angeordnet habe, das Formular zu verwenden, sei nicht erheblich. Ausreichend sei es, wenn die Maßnahme – wie hier - darauf gerichtet ist, das Verhalten der Arbeitnehmer zu steuern oder die Ordnung des Betriebs zu gewährleisten.
Das Gericht hatte keine Zweifel daran, dass die Herausgabe und Verwendung des Formulars das Ordnungsverhalten der Mitarbeiter betrifft. Denn eine arbeitsvertragliche Pflicht, für die Meldung einer Pflichtverletzung eine bestimmte Form einzuhalten, gebe es nicht.
Die Verwendung des Formulars ist eine Regelung der betrieblichen Ordnung
Der Arbeitgeber habe eine betriebliche Verhaltensordnung geschaffen, so das Gericht weiter. Der mitbestimmungspflichtiges Sachverhalt bestehe darin, dass der Arbeitgeber kraft seines Direktionsrechts ein standardisiertes Vorgehen seiner Beschäftigten erreichen wolle.
Da der Arbeitgeber allgemeine Verfahrensregeln aufgestellt hat, verdeutlichte er damit, dass es ihm um eine Frage gehe, die nicht individuell zu lösen sei, also um ein Ordnungsproblem. Die Regelung berühre dabei die Interessen aller Arbeitnehmer.
Das Arbeitsgericht gab dem beklagten Unternehmen deshalb auf, es zu unterlassen, das Formular herauszugeben und verwenden (sofern nicht die Zustimmung des Betriebsrats dazu erteilt ist, die fehlende Zustimmung des Betriebsrats durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt ist oder eine Betriebsvereinbarung hierüber vorliegt).
Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde dem Arbeitgeber ein Ordnungsgeld angedroht.