Die Hauptfragen, die zu beantworten sind, lauten:
- Wann ist ein Betrieb Tendenzbetrieb?
und
- Welche Mitwirkung- und Mitbestimmungsrechte sind in Tendenzbetrieben eingeschränkt?
Wann ist ein Betrieb Tendenzbetrieb?
Normalerweise geht es einem Unternehmen darum, wirtschaftlichen Gewinn zu erzielen.
Tendenzbetrieben ist dagegen in erster Linie wichtig, ein ideelles, weltanschaulich geprägtes Ziel zu fördern. Unschädlich ist dabei, wenn der Betrieb Einnahmen erwirtschaftet, die er zur Kostendeckung einsetzt.
Rechtsform des Betriebs
Tendenzbetriebe können nur privatrechtliche Unternehmen sein. Für öffentlich-rechtliche Betriebe gelten statt des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) die Personalvertretungsgesetze. Diese Gesetze sehen keinen Tendenzschutz vor.
Klarer Fall von Tendenzbetrieb
Das BetrVG regelt ausdrücklich, dass Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen Tendenzbetriebe sind. Außerdem bestimmt es, dass das gesamte BetrVG auf derartige Betriebe nicht anwendbar ist.
Zu beachten ist, dass die „großen“ Kirchen eigene Regelungen zur Mitarbeitervertretung haben.
„Es-kommt-drauf-an-Fälle“ von den Tendenzbetrieben
Vorschriften des BetrVG können eingeschränkt anwendbar sein bei
- Betrieben, deren Zweck Berichterstattung oder Meinungsäußerung ist (Presseunternehmen, Rundfunk- und Fernsehanstalten)
- Betrieben, die ideelle Ziele verfolgen (Förderung einer „Weltanschauung“).
In beiden Fällen tritt die Einschränkung aber nur ein, „. . . soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht.“
Nach dieser „Eigenartsklausel“ kommt es also darauf an, ob und gegebenenfalls welche Vorschriften des BetrVG einer Verwirklichung der Ziele des Tendenzbetriebs zuwiderlaufen.
Betriebe, deren Zweck Berichterstattung oder Meinungsäußerung ist
Dazu zählen auch Rundfunk- und Fernsehsender, selbst wenn sie nur zu zehn Prozent Wortbeiträge senden. Dagegen sind reine Adressbuch-oder Telefonbuchverlage keine Tendenzunternehmen. Dasselbe gilt für Betriebe, die Presseerzeugnisse lediglich ausliefern.
Betriebe, die ideelle Ziele verfolgen
Ideelle Ziele können sein:
- koalitionspolitisch
Gewerkschaften sowie deren Unterstützungsunternehmen (Forschungseinrichtungen, Hans Böckler Stiftung, Studienförderungswerk des DGB, Bildungsstätten der Einzelgewerkschaften, Bund-Verlag) und Arbeitgeberverbände
- politisch
Parteien sowie deren Unterstützungsunternehmen (Meinungsforschungsinstitute, Verlage, Redaktionen)
- karitativ
AWO, DRK, Müttergenesungswerk, Bergwacht, Familien- und Drogenberatungsstellen . . .
- künstlerisch
Theater, Kleinkunstbühnen, Museen, Musikverlage
- erzieherisch
Privatschulen (Waldorf), Berufsbildungswerke . . .
(abzugrenzen zu Einrichtungen, deren Ziel reine Wissensvermittlung ist: reine Sprachschule ohne spezielles Erziehungsziel)
- wissenschaftlich
Wissenschaftliche Verlage, Forschungsinstitute, die unabhängig von Universitäten arbeiten . . .
Unmittelbares und überwiegendes Verfolgen ideeller Ziele
Der Betrieb muss das ideelle Ziel unmittelbar und überwiegend verfolgen.
Unmittelbar heißt, dass der Betriebszweck direkt darauf ausgerichtet sein muss, das ideelle Ziel zu erreichen. Dies ist bei einer reinen Unterstützungstätigkeit nicht der Fall. Eine Unmittelbarkeit liegt demnach etwa bei der Redaktion und dem Verlag einer Partei- Zeitschrift, nicht aber bei der Druckerei der Zeitschrift vor.
Überwiegend bedeutet, dass (mindestens) die Hälfte der Tätigkeit eines Betriebs der Tendenzverwirklichung dienen muss.
Kriterien dafür sind:
- Einsatz der personellen Mittel
- Einsatz der Sachmittel
- Verteilung der Arbeitsstunden.
Welche Mitwirkung- und Mitbestimmungsrechte sind in Tendenzbetrieben eingeschränkt?
Es gibt Normen des BetrVG , die in Tendenzbetrieben
- uneingeschränkt gelten
- grundsätzlich auch in Tendenzbetrieben gelten
- nicht gelten.
Uneingeschränkte Geltung
In vollem Umfang unangetastet bleiben auch im Tendenzbetrieb:
1. Organisatorische Vorschriften (§§ 1 - 73 BetrVG)
- Wahl des Betriebsrates
- Amtszeit und Geschäftsführung des Betriebsrats
- Zutrittsrecht der Gewerkschaften
2. Allgemeine Mitwirkung und Mitbestimmung (§§ 74 - 86 BetrVG)
- Einigungsstelle
- Betriebsvereinbarungen
- Allgemeine Aufgaben des Betriebsrats
- Recht, Gehaltslisten einzusehen
Grundsätzlich keine Einschränkungen trotz Tendenzbetriebs
In der Regel kommen Einschränkungen bei Sozialen Angelegenheiten (§ 87 - 89 BetrVG) nicht in Betracht, da es dabei meist um den tendenzneutralen Arbeitsablauf geht.
Ausnahmen davon sind beispielsweise:
- Festlegung der Arbeitszeit („Rund-um-die-Uhr-Betreuung“, Nachmittagsunterricht, Redaktionsschluss)
- Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen (wissenschaftliche Labore)
Keine Geltung
Es gibt in Tendenzbetrieben einen
- absoluten
- teilweisen
- vollständigen
Ausschluss von Beteiligungsrechten.
Absoluter Ausschluss
In einem Tendenzbetrieb gibt es keinen Wirtschaftsausschuss (§ 106 BetrVG). Der Betriebsrat hat auch keinen Anspruch auf Unterrichtung zur wirtschaftlichen Lage und Entwicklung des Betriebs (§ 110 BetrVG).
Teilweiser Ausschluss
Bei Betriebsänderungen sind die §§ 111 ff BetrVG nur insoweit anzuwenden, als es um einen Sozialplan geht. Der Arbeitgeber ist also auch im Tendenzbetrieb verpflichtet, bei Betriebsänderungen mit dem Betriebsrat über einen Sozialplan zu verhandeln. Scheitern die Verhandlungen, können Arbeitgeber und Betriebsrat zunächst den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit um Vermittlung bitten und dann eine Einigungsstelle bilden.
Verhandlungen zu einem Interessenausgleich darf der Arbeitgeber des Tendenzbetriebes dagegen ablehnen.
Vollständiger Ausschluss
Hier sind insbesondere interessant die Beteiligungsrechte des Betriebsrates im Zusammenhang mit personellen Einzelmaßnahmen wie Einstellungen, Kündigungen, Ein- und Umgruppierungen sowie Versetzungen (§§ 99 ff BetrVG).
Unter Berücksichtigung der „Eigenartsklausel“ entfallen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates ersatzlos, wenn
- die Maßnahme des Arbeitgebers (Einstellung, Ein- /Umgruppierung, Versetzung, Kündigung) einen Tendenzträger betrifft
und
- die Maßnahme des Arbeitgebers tendenzbedingte Gründe hat
Tendenzträger
Mitarbeiter*innen in Tendenzbetrieben sind Tendenzträger*innen, wenn der ideelle Zweck für ihre Tätigkeit prägend ist und sie Möglichkeiten zur inhaltlichen Einflussnahme auf die Tendenzverwirklichung haben.
So sind etwa Redakteur*innen bei (Tendenz-) Zeitungen, Funktionär*innen bei Koalitionen und Parteien, Lehrer*innen einer Privatschule, Erzieher*innen in Kindertagesstätten oder Wissenschaftler*innen mit Forschungsaufgaben als Tendenzträger*innen anzusehen.
Diese Eigenschaft haben dagegen nicht Buchhalter*innen, Bürogehilfen, Lagerarbeiter*innen oder Gärtner*innen.
Tendenzbedingte Gründe
Erforderlich ist, dass die personelle Einzelmaßnahme den Zweck hat, die Tendenz des Betriebes zu schützen. Wettert etwa ein Redakteur einer Parteizeitschrift in einem Artikel gegen diese Partei, kann der Arbeitgeber kündigen, ohne den Betriebsrat beteiligen zu müssen. Das Gleiche gilt, wenn eine Gewerkschaft niemanden einstellen will, der/die sich rassistisch oder frauenfeindlich geäußert hat.
Rechtliche Grundlagen
§ 118 Geltung für Tendenzbetriebe und Religionsgemeinschaften
(1) Auf Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar und überwiegend
1.
politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder
2.
Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung, auf die Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes Anwendung findet,dienen, finden die Vorschriften dieses Gesetzes keine Anwendung, soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht. Die §§ 106 bis 110 sind nicht, die §§ 111 bis 113 nur insoweit anzuwenden, als sie den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile für die Arbeitnehmer infolge von Betriebsänderungen regeln.
(2) Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet deren Rechtsform.