Die Betriebsparteien können den Zeitpunkt für eine Leistungsbeurteilung durch (freiwillige) Betriebsvereinbarung festlegen, solange der Zeitpunkt innerhalb einer tarifvertraglich festgelegten Zeitspanne liegt. Da es sich um unterschiedliche inhaltliche Sachregelungen handelt, greift die Regelungssperre zu Gunsten des Tarifvertrages § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG) nicht ein.

Welcher Sachverhalt lag dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts zu Grunde?


Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Betriebsrats auf Durchführung einer Betriebsvereinbarung. Die Arbeitgeberin ist aufgrund ihrer Verbandsmitgliedschaft an den Entgeltrahmentarifvertrag für die bayerische Metall- und Elektroindustrie (im Folgenden ERA-TV) gebunden. Antragsteller ist der bei ihr gebildete Betriebsrat.

Der ERA-TV legt für das Grundentgelt die Eingruppierung der Arbeitnehmer in einer Entgeltgruppe fest. Daneben enthält der ERA-TV Bestimmungen über die Zahlung eines leistungsabhängigen Entgelts, mit dem eine über der Bezugsleistung liegende Leistung abgegolten wird (vgl. § 6 Ziff. 1 Satz 3 ERA-TV). Das Leistungsergebnis ist mit der Methode der Leistungsbeurteilung zu ermitteln. Die Bestimmungen des ERA-TV zur Leistungsbeurteilung haben auszugsweise folgenden Wortlaut:

"§ 7 Leistungsbeurteilung

2. Bei Neueingestellten bzw. aus dem Berufsausbildungsverhältnis Übernommenen erfolgt die Leistungsbeurteilung spätestens zum Ablauf des 3. Monats nach der Einstellung bzw. der Übernahme. Diese Frist kann in den Entgeltgruppen 6 bis 12 durch freiwillige Betriebsvereinbarung bis zum Ablauf des 6. Monats verlängert werden.

9. Bei Übernahme einer höherwertigen Tätigkeit und entsprechender Höhergruppierung erfolgt eine neue Leistungsbeurteilung analog Ziff. 2. Bis zur Neufestsetzung der Leistungszulage ist der bisherige Geldbetrag weiter zu gewähren."

Des Weiteren schlossen die Betriebsparteien eine Betriebsvereinbarung "Leistungsabhängiges Entgelt" (BV). Darin ist u.a. bestimmt:

"3 Entgeltgrundsatz Zeitentgelt

(5) Bei Neueingestellten bzw. aus dem Berufsausbildungsverhältnis Übernommenen erfolgt die Leistungsbeurteilung grundsätzlich zum Ablauf des 3. Monats der Einstellung bzw. Übernahme. In den Entgeltgruppen 6 bis 12 erfolgt die Leistungsbeurteilung abweichend von Satz 1 zum Ablauf des 6. Monats der Einstellung bzw. Übernahme.

Im Fall der Höhergruppierung von Arbeitnehmern in die Entgeltgruppen 6 bis 12 des ERA-TV erstellt die Arbeitgeberin - zumindest gelegentlich - Leistungsbeurteilungen vor Ablauf von sechs Monaten nach der Umgruppierung.

Der Betriebsrat hat die Ansicht vertreten, die Praxis, Leistungsbeurteilungen bereits vor Ablauf von sechs Monaten nach einer Höhergruppierung vorzunehmen, verstoße gegen Ziff. 3 Abs. 5 BV.

Die Arbeitgeberin meint, die Öffnungsklausel des § 7 Ziff. 2 Satz 2 ERA-TV erlaube nur eine Verlängerung des Beurteilungszeitraums durch eine Betriebsvereinbarung und keine Festlegung eines Beurteilungszeitpunkts. Ziffer 3 Abs. 5 BV sei daher unwirksam und trage das vom Betriebsrat beanspruchte Unterlassungsbegehren nicht.

Wie hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?


Wie bereits die Vorinstanzen gab auch das BAG der Arbeitgeberin recht. Das LAG die Regelung in Ziff. 3 Abs. 5 BV zu Unrecht als unwirksam angesehen. Die beanstandete Praxis verstößt nach Ansicht des BAG aber nicht gegen die Betriebsvereinbarung.

Entgegen der Auffassung des LAG steht der Bestimmung der Ziff. 3 Abs. 5 BV schon nicht die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG entgegen. Denn Gegenstand der Betriebsvereinbarungsbestimmung ist keine durch den ERA-TV geregelte Arbeitsbedingung. Während § 7 Ziff. 2 ERA-TV für die Leistungsbeurteilungsvornahme einen Zeitraum vorgibt, legt Ziff. 3 Abs. 5 BV hierfür einen innerhalb dieses Zeitraums liegenden Zeitpunkt fest. Eine solche Zeitpunktfestlegung ist durch die tarifliche Vorgabe nicht gesperrt.

Wegen der unterschiedlichen inhaltlichen Sachregelungen nach § 7 Ziff. 2 ERA-TV und nach Ziff. 3 Abs. 5 BV greift die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht ein. Gegenstand von Ziff. 3 Abs. 5 BV ist nicht etwas, was bereits durch § 7 Ziff. 2 ERA-TV geregelt wäre. Es handelt sich bei Ziff. 3 Abs. 5 BV insoweit auch nicht etwa um eine ergänzende Betriebsvereinbarungsbestimmung iSd. § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG. Auf die Öffnungsklausel des § 7 Ziff. 2 Satz 2 ERA-TV kommt es nicht an. Selbst ohne diese Öffnungsklausel wäre den Betriebsparteien die Festlegung eines Zeitpunkts für die Leistungsbeurteilung durch (freiwillige) Betriebsvereinbarung nicht verwehrt, solange der Zeitpunkt wie vorliegend - innerhalb der tarifvertraglich festgelegten Zeitspanne liegt.

Ziffer 3 Abs. 5 BV betrifft auch keine Arbeitsbedingung, die iSv. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt ist. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass ein Zeitpunkt für das Erstellen der Leistungsbeurteilung typischerweise oder herkömmlich im einschlägigen Tarifvertrag geregelt worden ist oder geregelt wird. Der ERA-TV enthält überhaupt keine Regelungen hierzu.

Der bis zum Inkrafttreten des ERA-TV geltende Lohn- und Gehaltsrahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer, für die Angestellten und für die Auszubildenden der bayerischen Metall- und Elektroindustrie legte einen solchen Termin - jedenfalls im Verständnis der Tarifvertragsparteien - gleichfalls nicht fest. Von einer Tarifüblichkeit kann daher nicht ausgegangen werden.

Auswirkungen der Entscheidung auf die Praxis:

Die Entscheidung des BAG präzisiert die tarifvertragliche Regelungssperre.

Ist im Tarifvertrag eine Regelung zu einem bestimmten Punkt enthalten oder handelt es sich um eine Frage, die üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt wird, darf es keine Betriebsverfassung (BV) zu derselben Regelung geben.

Vorliegend griff die Regelungssperre nicht. Der Tarifvertrag legte einen Zeitrahmen fest, die BV aber einen Zeitpunkt. Dieser Unterschied reichte dem BAG aus. Da der von der BV festgelegte Zeitpunkt innerhalb des tarifvertraglichen Zeitrahmens lag, stand die BV auch nicht im Widerspruch zum Tarifvertrag.

Dies bedeutet, dass es auch in tarifvertraglich geregelten Bereichen, Gestaltungsspielräume für Betriebsräte geben kann. Zum einen kann in Tarifverträgen ausdrücklich geregelt sein, dass eine BV die tariflichen Regelungen ergänzen darf (dann handelt es sich um eine sogenannte Öffnungsklausel). Oder aber, wie im vorliegenden Fall, wird innerhalb der tariflichen Regelung ein nicht präzise geregeltes Detail dann durch die BV geregelt.

Im vorliegenden Fall war dem Betriebsrat dennoch mit seinem Antrag kein Erfolg beschieden, da die BV zwar zulässig war, aber einen anderen Sachverhalt regelte als den zur Entscheidung Gestellten.
Dem Betriebsrat ging es um die Leistungsbeurteilung bei Höhergruppierungen. In der BV geregelt war aber lediglich die Leistungsbeurteilung  bei Neueinstellungen und aus dem Ausbildungsverhältnis Übernommenen.

Das Urteil des BAG vom 16.11.2011, 7 ABR 27/10