Dem örtlichen Betriebsrat kann ein Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) in seinem Betrieb zustehen. Deshalb ist auf seinen Antrag eine Einigungsstelle zu bilden. Das gilt auch dann, wenn bereits eine Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung zum bEM getroffen wurde.

Der Fall:

Arbeitgeberin undder Betriebsrat streiten über die Einrichtung und Besetzung einer Einigungsstelle. Die Arbeitgeberin ist ein IT-Unternehmen mit 31 Standorten in Deutschland. Am Standort E., für den ein Betriebsrat gewählt ist, sind etwa 460 Mitarbeiter tätig. Zudem bestehen ein Gesamt- und Konzernbetriebsrat. Die Arbeitgeberin hat ihre Funktionsbereiche in einer so genannten »Matrixorganisation« betriebsübergreifend organisiert. Das bedeutet, Mitarbeiter eines Unternehmensbereichs können verschiedenen Betrieben im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) zugeordnet sein.


Ende 2005 wurde im Unternehmen eine Gesamtbetriebsvereinbarung (GBR) »Integrationsvereinbarung für Menschen mit Behinderung« geschlossen. Diese regelt die Ausgestaltung des »betrieblichen Eingliederungsmanagements« (bEM) im Unternehmen. Dabei handelt es sich um ein Verfahren nach § 84 Abs. 2 des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IX). Das bEM hat das Ziel, den Arbeitnehmern, die länger als sechs Wochen im Kalenderjahr erkrankt sind, dabei zu helfen, ihre Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und den Arbeitsplatz zu erhalten. Seit 2007 gilt zudem eine Konzernbetriebsvereinbarung zum Gesundheitsschutz.

Am 24.08.2012 forderte der Betriebsrat am Standort E. die Arbeitgeberin auf, mit ihm eine Betriebsvereinbarung zur Ausgestaltung des bEM im Betrieb E. zu verhandeln. Die Arbeitgeberin lehnte dies ab, ebenso die Bildung einer Einigungsstelle. Sie machte geltend, mit der GBR bestehe bereits eine abschließende Regelung. Unterschiedliche betriebliche Regelungen in Einzelbetrieben widersprächen der Absicht des Gesetzgebers. Zudem erfordere die bei ihr bestehende Matrix-Organisation eine unternehmenseinheitliche Regelung.

Das ArbG Düsseldorf setzte die Einigungsstelle auf Antrag des Betriebsrats E. durch Beschluss ein.

Die Entscheidung:

Das LAG Düsseldorf wies die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen diesen Beschluss zurück. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die beantragte Einigungsstelle eingesetzt, weil der lokale Betriebsrat E. für die Ausgestaltung des bEM in seinem Betrieb nicht offensichtlich unzuständig ist. Nur in diesem Fall wäre Antrag auf Einsetzung der Einigungsstelle nach § 98 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) zurückzuweisen.

Dem örtlichen Betriebsrat kann ein Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung des bEM zustehen. In Betracht kommen die Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 7 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG). § 84 Abs.2 SGB IX verpflichtet den Arbeitgeber, ein System mit strukturierten Abläufen zu entwickeln, das Strategien für den Erhalt der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit beinhaltet. Dadurch stellen sich regelmäßig Verfahrensfragen, aus denen sich ohne weiteres ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ergeben kann.
Das SGB IX regelt die gesundheitsfördernden und schützenden Maßnahmen, die der Arbeitgeber ergreifen muss, nicht abschließend, sondern ermöglich eine inhaltliche Ausgestaltung durch die Betriebspartner. Genau an dieser Stelle setzt das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein. Zuvor geschlossene Vereinbarungen auf Unternehmens- und Konzernebene machen den örtlichen Betriebsrat nicht unzuständig. Denn das bEM ist nach dem Gesetzeswortlaut ausdrücklich betriebsbezogen und verweist in  § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX auf die Beteiligung der »zuständigen« Interessenvertretung.
Auch die Matrixstruktur des Unternehmens und die mögliche Zuordnung von Beschäftigten zu einem Vorgesetzten außerhalb des Betriebes schließen eine betriebliche Regelung nicht aus. Entscheidend für die Leistungen und Hilfen nach § 84 Abs. 2 ist nicht die Organisationsstruktur des Arbeitgebers, sondern die betrieblichen Gegebenheiten vor Ort. Deshalb ergibt sich auch aus dem Willen der Arbeitgeberin, den Gesundheitsschutz zu zentralisieren, kein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche oder betriebsübergreifende Regelung.

Folgen für die Praxis:

Bekanntermaßen ist bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgebern und Betriebsrat die Einigungsstelle das Gremium, das den Streit beilegen soll. Vorliegend konnten sich die Betriebsparteien über die Besetzung der Einigungsstelle nicht einigen, also entschied das Arbeitsgericht und bestellte den Vorsitzenden.

Ob die Einigungsstelle tatsächlich zuständig war, wurde dabei nicht abschließend geprüft. Sie darf nach dem Gesetz lediglich nicht offensichtlich unzuständig sein. Über ihre tatsächliche Zuständigkeit entscheidet die Einigungsstelle dann selbst, bzw. bei Streit darüber kann Klärung in einem Beschlussverfahren erreicht werden.

Die tatsächliche Zuständigkeit der Einigungsstelle ist oftmals eine rechtlich schwierige Frage. Ihre abschließende Klärung würde die Bestellung der Einigungsstelle erheblich verzögern. Daher ist nach dem Willen des Gesetzgebers zunächst zügig – bei nicht offensichtlicher Unzuständigkeit – eine Einigungsstelle zu berufen.

„Offensichtliche Unzuständigkeit“ liegt nur dann vor, wenn die Streitigkeit unter keinen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand subsumiert werden kann. Das Mitbestimmungsrecht darf unter keinem denkbaren rechtlichen Aspekt in Frage kommen.

Ein Betriebsrat wäre wohl dann offensichtlich unzuständig, wenn es beim Streitgegenstand um eine Materie ginge, die klar erkennbar einem anderen betriebsverfassungsrechtlichen Gremium – Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat beispielsweise – zugewiesen wäre. Davon wäre dann auszugehen, wenn objektiv eine unternehmenseinheitliche oder betriebsübergreifende Regelung zwingend geboten wäre.

Im Falle des betrieblichen Eingliederungsmanagements sieht das Gesetz nach Auffassung des Gerichts keine zwingend einheitliche Regelung vor.
Auch eine Matrixorganisation des Unternehmens führt nicht zu dem Erfordernis einer unternehmensweit einheitlichen Regelung, da die betrieblichen Gegebenheiten vor Ort entscheidend seien.

Beim betrieblichen Eingliederungsmanagement ist der örtliche Betriebsrat daher regelmäßig zur Mitbestimmung berechtigt und daher nicht offensichtlich unzuständig. Abschließend klärt aber dann stets die Einigungsstelle die tatsächliche Zuständigkeit. Dieser kann dann freilich eine Gesamtbetriebsvereinbarung oder Konzernbetriebsvereinbarung entgegenstehen.

Beschluss des LAG Düsseldorf vom 04.02.2013, Az: 9 TaBV 129/12