Bei Abhilfe einer Beschwerde keine Einigungsstelle. Copyright by Adobe Stock/MQ-Illustrations
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Wenn sich Arbeitnehmer*innen benachteiligt fühlen, können sie sich "bei den zuständigen Stellen des Betriebs" beschweren. Der Arbeitgeber hat die Beschwerde dann zu prüfen. Wenn er die Beschwerde für berechtigt hält, hat er ihr abzuhelfen. Ihm Rahmen des Beschwerdeverfahrens können Arbeitnehmer*innen den Betriebsrat hinzuziehen.
 
Kommt zwischen Betriebsrat und Arbeit keine Einigung über die Berechtigung der Beschwerde zustande, kann der Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen, die dann über die Beschwerde zu entscheiden hat.
 
Im vorliegenden Fall hatte das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) darüber zu befinden, ob der Betriebsrat die Einigungsstelle auch anrufen darf, wenn der Arbeitgeber die Beschwerde für unbegründet hält, aber ihr dennoch abhilft.
 
In einem Betrieb am Frankfurter Flughafen hatten sich drei Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund um eine Schichtleiterposition beworben. Alle Bewerber wurden abgelehnt.
 
Bei der Übergabe der Absageschreiben an die drei Bewerber soll ein anderer Arbeitnehmer gesagt haben, dass Mitarbeiter mit türkischen oder arabischen Namen nicht zum Schichtleiter befördert würden. 
 

Was war der Anlass für die Beschwerde?

Aufgrund dieser (angeblichen) Äußerung beschwerten sich die drei Bewerber beim Betriebsrat. Sie forderten vom Arbeitgeber eine Diskriminierungsentschädigung unter Berufung auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Hiernach kann ein Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot verpflichtet werden, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt aber nur, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung zu vertreten hat.
 
Der von den Beschwerdeführern angerufene Betriebsrat hielt die Beschwerde für berechtigt, der Arbeitgeber jedoch nicht. Seine Ablehnung begründete er wie folgt:
 
Der Arbeitnehmer, gegen den sich die Beschwerde richtete, habe in einer Anhörung zu dem Vorfall ausgesagt, dass er sich über ein betriebsinternes Gerücht geäußert hätte. Diesem Gerücht zufolge sollten arabische oder türkische Namen zu Nachteilen bei der Beförderung führen. Im Rahmen der Anhörung habe er klargestellt, dass dieses Gerücht nicht zutreffe.
 
In dem Anhörungsgespräch erklärte der Arbeitgeber nachdrücklich, dass Äußerungen dieser Art von der Geschäftsführung nicht geduldet würden, was er auch in einem Schreiben an den Betriebsrat zum Ausdruck brachte.
 
Nach der Klarstellung des Arbeitgebers wurde der Vorfall noch in großer Runde besprochen,  die sich aus Vertretern des Arbeitgebers und des Betriebsrats, den drei Beschwerdeführern sowie dem Arbeitnehmer, der sich in diskriminierender Weise geäußert haben soll, zusammensetzte. Der Arbeitnehmer blieb bei seiner Version. Die drei Beschwerdeführer hielten an ihrer Darstellung fest.
 

Betriebsrat fordert erstinstanzlich erfolgreich die Einsetzung einer Einigungsstelle

Nach der Anhörungsrunde kam es erneut zu einem Gespräch mit dem Betriebsrat, in dem der Arbeitgeber beteuerte, dass die von den Beschwerdeführern behaupteten Äußerungen nicht akzeptabel seien. Im Rahmen dieses Gesprächs kam es zu keiner Einigung. Der Arbeitgeber hielt die Version der Beschwerdeführer für nicht glaubhaft. Der Betriebsrat indessen hielt die Beschwerde für berechtigt. Da es zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zu keiner einvernehmlichen Lösung kam, beantragte der Betriebsrat die gerichtliche Einsetzung der Einigungsstelle, in der die Frage, ob die  Beschwerde gerechtfertigt war, geklärt werden sollte.
Erstinstanzlich war dem Antrag des Betriebsrats auf Einsetzung einer Einigungsstelle Erfolg beschieden. Das Frankfurter Arbeitsgericht gab dem Antrag auf Einrichtung einer Einigungsstelle mit Beschluss vom 20.9.2019 statt. Gegen diese Entscheidung legte der Arbeitgeber Beschwerde beim Hessischen Landesarbeitsgericht (LAG) ein.
 

Hessisches LAG hat eine andere Sichtweise

Das LAG änderte den Beschluss des Arbeitsgerichts ab und wies die Anträge zurück.
 
Die vom Betriebsrat angerufene Einigungsstelle so die Beschwerderichter*innen, hat nicht über Abhilfemaßnahmen zu entscheiden, sondern lediglich über die Berechtigung einer Beschwerde. Auf dieser Grundlage hat der Arbeitgeber über die Abhilfemaßnahme zu entscheide.n  Im Ergebnis bedeutet dies nach Auffassung des LAG:
 
Ein Einigungsstellenverfahren sei nach Auffassung des LAG dann nicht mehr erforderlich,  wenn der Arbeitgeber den Aussagen eines Beschwerdeführers zwar nicht glaube, aber trotzdem Abhilfemaßnahmen ergreife.
 
Als geeignete Abhilfemaßnahmen sieht das Gericht die Bereitschaft des Arbeitgebers, wegen der Beschwerde drei Gespräche geführt zu haben, nämlich zunächst mit dem Arbeitnehmer, gegen sich die Beschwerde richtete, dann mit allen Beteiligten und zu guter Letzt mit dem Betriebsrat. In diesen Gesprächen habe der Arbeitgeber deutlich gemacht, dass Äußerungen von der Art, wie von den Beschwerdeführern vorgetragen, nicht geduldet würden.
 
Da der Arbeitgeber die Beschwerde, ob nun berechtigt oder nicht, ernst genommen habe und dem Arbeitnehmer, der sich diskriminierend geäußert haben soll, deutlich vor Augen geführt habe, dass solche Äußerungen nicht akzeptiert würden, habe er nach Auffassung des LAG, der Beschwerde in ausreichender Weise abgeholfen.
 
Hier geht es zur Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 17.12.2019, Az.: 4 TaBV 136/19

Rechtliche Grundlagen

§ 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
§ 1 Ziel des Gesetzes
Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

§ 13 AGG
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
§ 13 Beschwerderecht
(1) Die Beschäftigten haben das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs, des Unternehmens oder der Dienststelle zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrem Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, von Vorgesetzten, anderen Beschäftigten oder Dritten wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt fühlen. Die Beschwerde ist zu prüfen und das Ergebnis der oder dem beschwerdeführenden Beschäftigten mitzuteilen.


§ 15 AGG
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
§ 15 Entschädigung und Schadensersatz
(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.
(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.
(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.
(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.
(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.


§ 84 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG))
Betriebsverfassungsgesetz
§ 84 Beschwerderecht
(1) Jeder Arbeitnehmer hat das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs zu beschweren, wenn er sich vom Arbeitgeber oder von Arbeitnehmern des Betriebs benachteiligt oder ungerecht behandelt oder in sonstiger Weise beeinträchtigt fühlt. Er kann ein Mitglied des Betriebsrats zur Unterstützung oder Vermittlung hinzuziehen.
(2) Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer über die Behandlung der Beschwerde zu bescheiden und, soweit er die Beschwerde für berechtigt erachtet, ihr abzuhelfen.
(3) Wegen der Erhebung einer Beschwerde dürfen dem Arbeitnehmer keine Nachteile entstehen.


§ 85 BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz
§ 85 Behandlung von Beschwerden durch den Betriebsrat
(1) Der Betriebsrat hat Beschwerden von Arbeitnehmern entgegenzunehmen und, falls er sie für berechtigt erachtet, beim Arbeitgeber auf Abhilfe hinzuwirken.
(2) Bestehen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Beschwerde, so kann der Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Dies gilt nicht, soweit Gegenstand der Beschwerde ein Rechtsanspruch ist.
(3) Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat über die Behandlung der Beschwerde zu unterrichten. § 84 Abs. 2 bleibt unberührt.


§ 100 Ar- ArbGG
§ 100 ArbGG
Entscheidung über die Besetzung der Einigungsstelle
(1) 1In den Fällen des § 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 des Betriebsverfassungsgesetzes entscheidet der Vorsitzende allein. 2Wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle können die Anträge nur zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. 3Für das Verfahren gelten die §§ 80 bis 84 entsprechend. 4Die Einlassungs- und Ladungsfristen betragen 48 Stunden. 5Ein Richter darf nur dann zum Vorsitzenden der Einigungsstelle bestellt werden, wenn aufgrund der Geschäftsverteilung ausgeschlossen ist, dass er mit der Überprüfung, der Auslegung oder der Anwendung des Spruchs der Einigungsstelle befasst wird. 6Der Beschluss des Vorsitzenden soll den Beteiligten innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags zugestellt werden; er ist den Beteiligten spätestens innerhalb von vier Wochen nach diesem Zeitpunkt zuzustellen.
(2) 1Gegen die Entscheidungen des Vorsitzenden findet die Beschwerde an das Landesarbeitsgericht statt. 2Die Beschwerde ist innerhalb einer Frist von zwei Wochen einzulegen und zu begründen. 3Für das Verfahren gelten § 87 Abs. 2 und 3 und die §§ 88 bis 90 Abs. 1 und 2 sowie § 91 Abs. 1 und 2 entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle der Kammer des Landesarbeitsgerichts der Vorsitzende tritt. 4Gegen dessen Entscheidungen findet kein Rechtsmittel statt