An Postzusteller mit E-Bike haben wir uns inzwischen alle gewöhnt. Copyright by Adobe Stock/Petair
An Postzusteller mit E-Bike haben wir uns inzwischen alle gewöhnt. Copyright by Adobe Stock/Petair

Alles richtig gemacht. Gert Becker, Rechtsschutzsekretär im DGB Rechtsschutzbüro Göppingen, hat einen aussichtslos geglaubten Fall, in dem es um eine krankheitsbedingte Kündigung einer Zustellerin der Post ging, gewonnen. Da zeigte sich wieder, dass es doch darauf ankommt, BEM und Betriebsratsanhörung genau zu prüfen.

Die 45-jährige Klägerin war seit über 20 Jahren als Postzustellerin beschäftigt. Sie ist alleinerziehend und zwei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Bereits 2016 bis 2019 war sie häufiger arbeitsunfähig erkrankt. Deshalb führte ihr Arbeitgeber auch schon mehrere Gespräche im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements durch.

Die Klägerin sollte künftig in einem Bezirk mit E-Trike eingesetzt werden

Dabei war vereinbart worden, dass die Klägerin künftig in einem Zustellbezirk mit E-Trike eingesetzt werden sollte. Später ergab sich auch, dass die Klägerin die Post ebenfalls mit einem E-Bike zustellen könne.

In einem letzten BEM-Gespräch 2019 vereinbarte die Klägerin sodann mit ihrem Arbeitgeber, falls keine Besserung ihres Gesundheitszustandes eintrete, werde sie in einen Zustellbezirk umgesetzt, in welchem sie mit E-Bike oder E-Trike arbeiten könne.

Anschließend erkrankte die Klägerin erneut für längere Zeit

Anschließend erkrankte die Klägerin erneut für längere Zeit. Der Arbeitgeber entschloss sich deshalb, das Arbeitsverhältnis krankheitsbedingt zu kündigen.

Dabei hörte er zunächst den Betriebsrat an und zwar mit den Worten „Familienstand: ledig, unterhaltsberechtigte Kinder: ein“. Zur Zahl der Kinder fand sich allerdings in den Lohnzetteln der Klägerin der Hinweis, dass im Rahmen des Sozialzuschlags zwei Kinder berücksichtigt würden.

Im Anschluss an die Betriebsratsanhörung kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis

Im Anschluss an diese Betriebsratsanhörung kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis. Die Klägerin wies darauf hin, ihrer Auffassung nach sei die Kündigung bereits wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrates unwirksam.

Auch hinsichtlich des BEM bestünden Bedenken. Der Arbeitgeber sei der Empfehlung nicht nachgekommen, sie in einem Zustellbezirk mit E-Trike einzusetzen. Im Übrigen seien ihre Erkrankungen zwischenzeitlich ausgeheilt. Eine negative Gesundheitsprognose könne deshalb nicht abgegeben werden.

Der Arbeitgeber gab eine unrichtige Zahl von Unterhaltspflichten an

Das Arbeitsgericht weist in seinem Urteil darauf hin, der Arbeitgeber habe in seinem Schreiben an den Betriebsrat eine unrichtige Anzahl von Unterhaltspflichten angegeben. Dies sei geschehen, obwohl er die korrekten Daten zweifelsfrei kannte.

Das Gesetz bestimme jedoch, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat grundsätzlich diejenigen Gründe mitteilen müsse, die nach seiner Sicht die Kündigung rechtfertigten und für seinen Entschluss, zu kündigen, maßgeblich seien. Dabei müsse er Tatsachen angeben, die diesen Entschluss zur Kündigung so beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die angegebenen Kündigungsgründe prüfen könne.

Bei einer krankheitsbedingten Kündigung seien Unterhaltspflichten stets zu berücksichtigen

Bei einer krankheitsbedingten Kündigung seien im Rahmen der Interessenabwägung die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers stets zu berücksichtigen. Würden diese unvollständig oder unrichtig angegeben, könne sich der Betriebsrat nicht das erforderliche Bild machen. Die Kündigung sei dann unwirksam.

Der Arbeitgeber müsse allerdings nur diejenigen Daten angeben, die er auch kenne. Die Klägerin habe zwei unterhaltspflichtige Kinder. Das habe der Arbeitgeber auch ausweislich der Lohnzettel gewusst. Die falsche Angabe der Anzahl der Unterhaltspflichten führe deshalb dazu, dass die Anhörung des Betriebsrates fehlerhaft sei. Bereits aus diesem Grunde sei die Kündigung unwirksam.

Darüber hinaus sei die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt

Darüber hinaus verwies das Gericht jedoch zusätzlich darauf, dass die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes sei. Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin finde das Kündigungsschutzgesetz Anwendung.

Wolle der Arbeitgeber wegen häufiger Erkrankungen kündigen, dann sei diese Kündigung sozial nur dann gerechtfertigt, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung Tatsachen vorlägen, die die Prognose stützten, es werde auch künftig zu häufigen Erkrankungen kommen. Zusätzlich seien erhebliche Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen durch die Fehlzeiten nachzuweisen. Schließlich müsse der Arbeitgeber immer auch zusätzlich prüfen, ob es ein milderes Mittel als die Kündigung gebe.

In Betracht kämen eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz

Als milderes Mittel kämen neben der Umgestaltung des Arbeitsplatzes auch die Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz in Betracht, um Fehlzeiten zu reduzieren.

Vorliegend habe der Arbeitgeber ein Gespräch im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements durchgeführt. Dieses Gespräch habe auch ein positives Ergebnis gehabt. Die Klägerin sollte nach Ende ihrer Erkrankung in einem Zustellbezirk eingesetzt werden, in welchem sie ein E-Trike oder ein E-Bike nutzen könnte.

Habe ein BEM mit positivem Ergebnis stattgefunden, so sei die Empfehlung umzusetzen

Habe ein betriebliches Eingliederungsmanagement mit positivem Ergebnis stattgefunden, so sei der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, die entsprechende Empfehlung umzusetzen. Kündig er stattdessen, müsse er darlegen, warum die Maßnahme entweder nicht durchführbar war oder warum sie nicht zu einer Reduzierung der Ausfallzeiten führen könnte.

Beides sei vorliegend nicht geschehen. Die Klägerin war immerhin über 20 Jahre im Betrieb beschäftigt. Zwar sei sie nach dem letzten BEM-Gespräch noch einmal länger erkrankt. Es sei jedoch nicht ersichtlich, dass es bei der Umsetzung der Vereinbarung zu keiner Reduzierung der Ausfallzeiten hätte kommen können.

Aus diesem Grund hielt das Arbeitsgericht die krankheitsbedingte Kündigung nicht für sozial gerechtfertigt.

 

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