Die Befristung eines Arbeitsvertrags kann trotz Vorliegens eines Sachgrunds aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise rechtsmissbräuchlich und daher unwirksam sein. Dafür kann eine sehr lange Gesamtdauer oder eine außergewöhnlich hohe Anzahl von aufeinander folgenden befristeten Arbeitsverträgen mit demselben Arbeitgeber sprechen.

Welcher Sachverhalt lag dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zu Grunde?


Dem Siebten Senat des BAG lag die Befristungskontrollklage einer beim Land Nordrhein-Westfalen beschäftigten Justizangestellten vor. Die Klägerin war beim beklagten Land aufgrund von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen von Juli 1996 bis Dezember 2007 im Geschäftsstellenbereich des Amtsgerichts Köln tätig. Die befristete Beschäftigung diente fast durchgehend der Vertretung von Justizangestellten, die sich in Elternzeit oder Sonderurlaub befanden.

Mit ihrer Klage griff die Klägerin die Befristung des letzten im Dezember 2006 geschlossenen Vertrags an. Die Befristung wurde zwar auf den Sachgrund der Vertretung gestützt. Die Gesamtdauer von mehr als 11 Jahren und die Anzahl von 13 Befristungen sprach nach ihrer Ansicht aber dafür, dass das beklagte Land die an sich eröffnete Möglichkeit der Vertretungsbefristung rechtsmissbräuchlich ausgenutzt hat. Denn der fortgesetzte Beschäftigungsbedarf hätte auch durch unbefristete Stellen gedeckt werden können. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln wies die Klage in der Berufung ab.

In der Revision legte der Siebte Senat des BAG dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vor, ob die Praxis des Landes Nordrhein-Westfalen mit europäischem Recht vereinbar ist, die wiederholte Befristung eines Arbeitsvertrags auch dann auf den im nationalen Recht vorgesehenen Sachgrund der Vertretung zu stützen, wenn bei dem Arbeitgeber ein ständiger Vertretungsbedarf besteht, der ebenso durch unbefristete Einstellungen befriedigt werden könnte.

Der EuGH antwortete mit Urteil vom 26. Januar 2012 - C-586/10 - [Kücük], der Umstand, dass ein Arbeitgeber wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückgreife, stehe weder der Annahme eines sachlichen Grundes im Sinne der Rahmenvereinbarung entgegen, noch folge daraus das Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne dieser Bestimmung. Die nationalen staatlichen Stellen müssten aber auch bei Vorliegen eines sachlichen Grundes alle mit der Verlängerung der befristeten Verträge verbundenen Umstände berücksichtigen, da sie einen Hinweis auf Missbrauch geben können, den § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung verhindern soll. Bei dieser Prüfung könnten sich die Zahl und Dauer der mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden Verträge als relevant erweisen.

Wie hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?


Der Siebte Senat hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln auf und verwies den Rechtsstreit zurück an das LAG.

Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG ist die Befristung eines Arbeitsvertrags zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG nennt beispielhaft derartige Sachgründe. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG liegt ein sachlicher Grund vor, wenn der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird. Dem Sachgrund der Vertretung steht nach der Rechtsprechung des Siebten Senats auch eine größere Anzahl der mit einem Arbeitnehmer geschlossenen befristeten Verträge nicht entgegen. Entscheidend ist allein, ob bei der letzten Befristungsabrede ein Vertretungsfall vorlag. Ein bei dem Arbeitgeber vorhandener ständiger Vertretungsbedarf schließt den Sachgrund der Vertretung nicht aus.

Ausgehend von der Vorabentscheidung des EuGH entschied der Siebte Senat des BAG, dass das Vorliegen eines ständigen Vertretungsbedarfs der Annahme des Sachgrunds der Vertretung nicht entgegensteht, sondern an den Grundsätzen der Sachgrundprüfung uneingeschränkt festgehalten werden kann. Allerdings kann unter besonderen Umständen die Befristung eines Arbeitsvertrags trotz Vorliegens eines sachlichen Grundes wegen rechtsmissbräuchlicher Ausnutzung der an sich eröffneten rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit unwirksam sein. Das entspricht den sich aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergebenden Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs. An einen solchen nur ausnahmsweise anzunehmenden Rechtsmissbrauch sind hohe Anforderungen zu stellen. Es sind dabei alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere aber Gesamtdauer und Anzahl der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen.

Das LAG Köln muss jetzt in einem neuen Verfahren prüfen, ob Anhaltspunkte für einen Missbrauch des Befristungsrechts vorliegen und dem beklagten Land Gelegenheit geben, noch besondere Umstände vorzutragen, die der Annahme des an sich indizierten Rechtsmissbrauchs entgegenstehen können.

Auswirkungen der Entscheidung auf die Praxis:

Das BAG hat mit dieser Entscheidung die Vorgaben des EuGH umgesetzt, die bereits im AiB Informationsdienst 03/12 besprochen wurden. Da der EuGH umfassend auf die besonderen Umstände des Einzelfalls abgestellt hat, konnte das BAG allerdings keine Entscheidung in der Sache treffen, sondern musste den Rechtsstreit an das zuständige Landesarbeitsgericht zurück verweisen, um den Sachverhalt weiter aufklären zu lassen. Grundsätzlich hat der Senat aber darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt, an seiner bisherigen Rechtsprechung festzuhalten. Danach ist immer nur der letzte Vertrag auf seine Wirksamkeit zu prüfen. Hieraus folgt aber nicht, dass unwirksame Befristungen in früheren Verträgen gänzlich außer Acht zu lassen wären. Auch wenn es letztlich auf den letzten Vertrag ankommt, kann ein zuvor rechtsmissbräuchlich befristet abgeschlossener Vertrag zur Folge haben, dass folgende Befristungen als Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes bewertet werden. Auch bei Vorliegen eines an sich geeigneten Grundes zur Befristung kann dies bei einer Gesamtschau der Umstände den Ausschlag geben. Wie die Abwägung der Umstände im Einzelfall vorzunehmen sein wird, müssen nunmehr die Instanzgerichte mit Leben füllen. Das LAG Köln hat die Gelegenheit, hierzu den ersten Schritt zu machen.

Pressemitteilung des BAG zum Urteil vom 18.07.2012, Az: 7 AZR 443/09