Die WhatsApp-Nachricht an den stellvertretenden Chef konnte der Kläger nachweisen. © Adobe Stock: EUDPic
Die WhatsApp-Nachricht an den stellvertretenden Chef konnte der Kläger nachweisen. © Adobe Stock: EUDPic

Das Arbeitsgericht Oldenburg hatte die Rechtslage erstinstanzlich zu Ungunsten des Klägers gewertet. Die Jurist:innen des DGB Rechtsschutzbüros Oldenburg legten Berufung ein.

 

Da sah es dann ganz anders aus

 

Der betroffene Paketzusteller war schon mehrfach befristet beschäftigt gewesen. Der Arbeitgeber hatte ihn jeweils zur Vertretung erkrankter oder abwesender Mitarbeiter:innen eingestellt. Gegen Ende seiner vierten Befristung erkrankte der Mann. Er war mit einem Paket gestürzt und musste sich anschließend ins Krankenhaus begeben. Die Ärzte stellten einen Nabelbruch fest und planten eine Operation. Es schien eine langwierige Sache zu werden.

 

Das teilte der Kläger seinem Vorgesetzten auch per WhatsApp mit. Er müsse für längere Zeit stationär behandelt werden. Seine Freundin übergab dem Stellvertreter des Vorgesetzten anschließend auch die Erstbescheinigung des Krankenhauses über die vorläufige Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Der stellvertretende Vorgesetzte, der bislang Ansprechpartner für den Kläger in allen Vertragsangelegenheiten war, händigte der Freundin des Klägers sodann einen vom Arbeitgeber bereits unterschriebenen Vertrag aus. Damit sollte das Arbeitsverhältnis noch einmal befristet zur Vertretung anderer verlängert werden.

 

Der Arbeitgeber gab den Sachgrund der Vertretung an

 

Der Vertrag nannte den Sachgrund der Vertretung mehrerer Mitarbeiter:innen der Beklagten, die sich im Urlaub befanden. Diesen Vertrag unterschrieb der Kläger. Er konnte die Arbeit jedoch wegen der eigenen Arbeitsunfähigkeit nie antreten.

 

Im Berufungsverfahren gab die Beklagte vor, zu keinem Zeitpunkt Kenntnis davon gehabt zu haben, dass der Kläger während der gesamten Befristungsdauer arbeitsunfähig sein würde. Das Landesarbeitsgericht hatte daher nun zunächst zu prüfen, ob der von der Beklagten angegebene Sachgrund für die Befristung gegeben war.

 

Der Beklagten stehe kein Sachgrund für diese Befristung zur Seite, heißt es im Urteil. Eine Befristung ohne Sachgrund nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz komme demgegenüber aufgrund der bereits zum fünften Mal erfolgten Befristung nicht mehr in Betracht.

 

Zu Gunsten der Beklagten sei auch der Sachgrund des § 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG, der einzig in Betracht komme, nicht einschlägig. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG liegt ein sachlicher Grund für die Befristung eines Arbeitsvertrages vor, wenn der:die Arbeitnehmer:in zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird.

 

Der Arbeitgeber hatte keine Prognose angestellt

 

Der Grund für die Befristung liege im Vertretungsfall darin, dass der Arbeitgeber bereits zu einem vorübergehend ausgefallenen Mitarbeiter in einem Rechtsverhältnis stehe und mit der Rückkehr dieses Mitarbeiters rechne, erläutert das Gericht. Damit bestehe für die Wahrnehmung der an sich dem:der ausgefallenen Mitarbeiter:in obliegenden Arbeitsaufgaben durch eine Vertretungskraft von vornherein nur ein zeitlich begrenztes Bedürfnis.

 

Teil des Sachgrundes sei daher eine Prognose des Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs nach Rückkehr des:der zu vertretenden Beschäftigten. Der Sachgrund der Vertretung setze des Weiteren einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall und der Einstellung voraus. Erforderlich sei eine Kausalkette. Notwendig aber auch ausreichend sei, dass zwischen dem zeitweiligen Ausfall von Stammarbeitskräften und der befristeten Einstellung von Aushilfsarbeitnehmer:innenn der ursächliche Zusammenhang bestehe.

 

Es müsse sichergestellt sein, dass die Vertretungskraft gerade wegen des durch den zeitweiligen Ausfall entstandenen vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs einstellt worden sei.

 

Eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit durchbricht die Kausalkette

 

Eine Kausalität bestehe gerade dann nicht, wenn bei Vertragsabschluss der Arbeitgeber wisse, dass der:die Betroffene während der gesamten Dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses nicht arbeiten könne. Dann sei der Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages völlig sinnlos, weil der Zweck, den der Sachgrund der Vertretung verfolge, nämlich die Aufgabenwahrnehmung durch den befristetet eingestellten Vertreter, nicht einmal ansatzweise erfüllt werden könne.

 

Wer eine WhatsApp-Nachricht erhalte wie sie der Kläger versandt habe, wisse von dessen mehrwöchiger Dauererkrankung. Die dort geschilderten Umstände, Nabelbruch, Krankenhausaufenthalt, Aufschlagen des Paketes auf den Bauch des Arbeitnehmers ließen keinen anderen Schluss zu. Jede andere Interpretation wäre lebensfremd.

 

Zwar hätten die vorliegenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen immer nur abschnittsweise bestätigt, dass der Kläger nicht arbeiten könne. Wer sich damit auskenne, wisse jedoch, dass einer Bescheinigung, mit der die „voraussichtliche“ Dauer der Arbeitsunfähigkeit angegeben werde, jederzeit weitere solcher Bescheinigungen folgen könnten.

 

Wusste die Beklagte von der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit?

 

Nun war dann zu klären, ob sich die Beklagte als Arbeitgeberin das Wissen des stellvertretenden Vorgesetzten des Klägers anrechnen lassen musste; denn der war aus Sicht der Beklagten nicht der „Arbeitgeber“.  Das Landesarbeitsgericht entschied anders.

 

Der Stellvertreter des Vorgesetzten sei ein sogenannter „Wissensvertreter“. Wissensvertreter nach dem Gesetz sei derjenige, der ohne Vertretungsmacht eigenverantwortlich für den Geschäftsherrn handele. Kein Wissensvertreter seien Bedienstete des Geschäftsherrn, die am Vertragsabschluss und seiner Vorbereitung nicht beteiligt waren.

 

Sowohl der unmittelbare Vorgesetzte des Klägers als auch dessen Stellvertreter seien Wissensvertreter. Zum einen habe der Vertreter den Vertrag mit Hilfe der Freundin des Klägers diesem zur Unterschrift übermittelt. Zum anderen habe der Kläger überhaupt keine Möglichkeit gehabt, die ihm unbekannten Personen, die den Vertrag unterzeichnet hätten, zu kontaktieren.

 

Das Gericht stellt eine lebensnahe Betrachtung an

 

Für den Kläger sei der Vorgesetzte der Ansprechpartner in allen Vertragsangelegenheiten gewesen. Lebensnah habe er darauf vertrauen können, dieser werde alle wesentlichen Informationen sein Vertragsverhältnis betreffend, an die maßgeblichen Vertragspartner weiterleiten.

 

An wen hätte sich der Kläger auch sonst wenden sollen, meint im Übrigen Robert Witt, Rechtsschutzsekretär aus dem DGB Rechtsschutzbüro Oldenburg dazu. Er hat das Urteil für seinen Mandanten erstritten.

 

Die streitgegenständliche Befristung erklärte das Landesarbeitsgericht deshalb für rechtswidrig. Sie hat das Arbeitsverhältnis nicht beendet. Das Gericht sprach dem Kläger auch einen Weiterbeschäftigungsanspruch zu.

 

 

Rechtliche Grundlagen

§ 166 BGB

§ 166 Willensmängel; Wissenszurechnung
(1) Soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch Willensmängel oder durch die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände beeinflusst werden, kommt nicht die Person des Vertretenen, sondern die des Vertreters in Betracht.
(2) Hat im Falle einer durch Rechtsgeschäft erteilten Vertretungsmacht (Vollmacht) der Vertreter nach bestimmten Weisungen des Vollmachtgebers gehandelt, so kann sich dieser in Ansehung solcher Umstände, die er selbst kannte, nicht auf die Unkenntnis des Vertreters berufen. Dasselbe gilt von Umständen, die der Vollmachtgeber kennen musste, sofern das Kennenmüssen der Kenntnis gleichsteht.