Oh Schreck: Befristung endet – was nun? Copyright by Jeanette Dietl/Adobe Stock
Oh Schreck: Befristung endet – was nun? Copyright by Jeanette Dietl/Adobe Stock

Selbst große Arbeitgeber mit durchgehendem Beschäftigungsbedarf stellen einen großen Teil ihrer Beschäftigten immer wieder nur befristet ein. Zum Teil geschieht dies unter Berufung auf einen geltenden Tarifvertrag. Mit einem solchen Fall musste sich nun das Arbeitsgericht Reutlingen befassen.
 
Die Klägerin, die von der DGB Rechtsschutz GmbH, Büro Reutlingen, vertreten wurde, war von ihrem Arbeitgeber ab 2014 mehrfach befristet zuletzt bis zum 30.9.2018 beschäftigt. Die Zahl der Verlängerungen und die jeweilige Befristungsdauer waren nach dem geltenden Tarifvertrag zulässig.
 
Allerdings stand die Klägerin viele Jahre zuvor schon in einem Arbeitsverhältnis zu diesem Arbeitgeber bzw. dessen Betriebsnachfolger. Damals war sie insgesamt eineinhalb Jahre dort beschäftigt. Wegen dieser Vorbeschäftigungszeit hielt das Arbeitsgericht Reutlingen die ab 2014 vereinbarten Befristungen für unwirksam.
 

Sachgrundlose Befristung nach Tarifvertrag bis zu sechs Jahre möglich

Die IG Metall hatte mit dem Verband der Metall-und Elektroindustrie Baden-Württemberg e. V. einen Ergänzungstarifvertrag für den Arbeitgeber abgeschlossen. Dieser lässt eine über das Gesetz hinausgehende Höchstdauer der Befristung ohne Sachgrund zu.
 
Das Arbeitsgericht nimmt in seiner Entscheidung Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sowie die europarechtlichen Vorgaben. Es verweist dabei darauf, dass eins sachgrundlos befristeter Arbeitsvertrag auf maximal sechs Jahre befristet werden dürfe. Insgesamt dürfe auch höchstens neunmal eine Verlängerung bis zu dieser Gesamtdauer ausgesprochen werden.
 
Das gelte aber nur in besonderen Fällen. Die Zahl der Verlängerungen und die Gesamtdauer der Befristung seien hier von den Ergänzungstarifverträgen gedeckt. Die mit der Klägerin abgeschlossenen befristeten Arbeitsverträge seien insofern nicht zu beanstanden.
 

Zuvor bestehendes Arbeitsverhältnis steht einer Befristung entgegen

Allerdings sei die Befristung aus einem anderen Grund unwirksam. Die Klägerin sei mit demselben Arbeitgeber zuvor bereits ein Arbeitsverhältnis eingegangen. Das liege zwar Jahre zurück, war aber unstreitig 1999/2000 schon einmal der Fall gewesen.
 
Der Arbeitgeber vertrat im Verfahren die Auffassung, dies sei schon sehr lange her und könne somit nicht mehr berücksichtigt werden. Außerdem sei die damalige Beschäftigung nur kurz erfolgt. Die Klägerin habe diese Vorbeschäftigung auch in ihrem Lebenslauf nicht angegeben.
 
Das Gericht konnte im Verfahren allerdings herausfinden, dass die Klägerin entsprechende Angaben sehr wohl in einem Personalfragebogen gemacht hatte. Dieser Personalfragebogen lag dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vor, sodass dessen Inhalt bekannt gewesen sei.
 

Bundesverfassungsgericht lässt Vorbeschäftigung generell nicht zu

Mitte 2018 hatte sich das Bundesverfassungsgericht bereits mit der Frage befasst, inwiefern Vorbeschäftigungszeiten einer sachgrundlosen Befristung entgegenstehen. Auf diesen Beschluss bezog sich das Arbeitsgericht Reutlingen in seiner Entscheidung.
 
Das Bundesverfassungsgericht sah in dem Verbot der Anschlussbefristung eine erhebliche Einschränkung der Berufs-und Vertragsfreiheit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Es hielt dies jedoch verfassungsrechtlich für zumutbar. Dies gelte zumindest insofern, als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tatsächlich schutzbedürftig seien. Dies sei etwa dann der Fall, wenn die Gefahr bestehe, dass Kettenbefristungen unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform ablösen würden.
 
Dem Bundesverfassungsgericht ging es dabei insbesondere um den Schutz der Beschäftigten, die im Arbeitsverhältnis strukturell unterlegen seien. Dies sei nur dann anders rechtlich zu bewerten, wenn es im konkreten Fall unzumutbar sei, dem Arbeitgeber eine nochmalige Beschäftigung eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin zu verbieten.
 

Legitimes Interesse befristet Beschäftigter an Befristung ist von Bedeutung

Aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts sind sachgrundlose Befristungen auch nach einer früheren Beschäftigung dann zulässig, wenn die Gefahr der Kettenbefristung nicht ausnutze, das Beschäftigte eigentlich strukturell unterlegen seien. Das Verbot der sachgrundlosen Befristung sei dann nämlich nicht erforderlich, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten.
 
Bestünde ein legitimes Interesse der Arbeitssuchenden an einer befristeten Beschäftigung und das ebenfalls legitime Interesse des Arbeitgebers an Flexibilisierung, so stehe das Gesetz dem nicht entgegen. Dies könne etwa dann der Fall sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lange zurück liege oder ganz anders geartet gewesen sei. Schließlich kämen Fälle von sehr kurzer Beschäftigungsdauer in Betracht.
 

Bundesarbeitsgericht fordert Würdigung des Einzelfalles

Neben dieser Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich das Arbeitsgericht Reutlingen auch auf die neueste Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom Januar 2019.
 
In diesem Urteil führt das Bundesarbeitsgericht aus, das Bundesverfassungsgericht habe nicht näher definiert, wann eine Vorbeschäftigung sehr lange zurück liege, ganz andersgeartet gewesen sei oder von sehr kurzer Dauer war. Das Bundesarbeitsgericht hielt es deswegen für nötig, jeden Einzelfall konkret zu prüfen.
 

Tätigkeit darf nicht von sehr kurzer Dauer gewesen sein

Diese Prüfung des Arbeitsgerichts fiel zugunsten der Klägerin aus. Während der Vorbeschäftigung sei Tätigkeit der Klägerin nämlich nicht ganz anders gewesen. Die Vorbeschäftigung habe auch nicht nur sehr kurz gedauert.
 
Zwar habe das Arbeitsverhältnis erst etwa fünf Monate bestanden, als es im Wege eines Betriebsübergangs auf einen anderen Arbeitgeber überging. Die Klägerin habe zu diesem Zeitpunkt auch noch keinen Kündigungsschutz gehabt.
 
Das Arbeitsgericht lässt es in diesem Zusammenhang aber ausdrücklich offen, ob eine „sehr kurze“ Beschäftigungsdauer bei mehr als drei, aber weniger als sechs Monaten anzunehmen sei. Das Gericht bezieht sich darauf, dass im Rahmen des Betriebsübergangs letztlich ein Gesamtarbeitsverhältnis von über einem Jahr bestanden habe. Die Klägerin habe mithin über einen erheblichen Zeitraum ihren Lebensunterhalt mit dem Einkommen bestritten, dass sie aus diesem Arbeitsverhältnis erhalten habe.
 

Lücke zwischen den Beschäftigungszeiten in der Regel unerheblich

Damit  trat aus Sicht des Gerichts allenfalls die Frage auf, ob der lange Zeitraum von mehreren Jahren zwischen den beiden Beschäftigungen hieran etwas ändern könnte. Auch diese Frage wurde zugunsten der Klägerin entschieden.
 
Es dürfe nämlich nicht isoliert jeweils danach gefragt werden, wie lange die Vorbeschäftigung zurück liege, welcher Art sie gewesen sei oder wie lange sie gedauert habe. Es gehe in der Gesamtschau immer darum, der Gefahr einer Kettenbefristung zu begegnen. Das Bundesverfassungsgericht habe bekräftigt, dass es um das Zusammenspiel von inhaltlichen und zeitlichen Faktoren gehe. Feste zeitliche Grenzen waren ausdrücklich nicht vorgegeben worden.
 

Abkehr von der Regelform des unbefristeten Arbeitsverhältnisses

Die Klägerin sei im Rahmen einer Vorbeschäftigung von nicht sehr kurzer Dauer gleichartig tätig geworden. Diese Fallkonstellation unterscheide sich erheblich von den Beispielsfällen des Bundesverfassungsgerichts, in welchen eine Anschlussbefristung zulässig sein soll.
 
Zwar bestünde aufgrund des langen Zeitraumes zwischen dem Ende des früheren und dem Beginn des zweiten befristeten Arbeitsverhältnisses nicht die Gefahr von Kettenbefristungen. Der geschlossene befristete Arbeitsvertrag wende sich jedoch von der unbefristeten Beschäftigung als der Regelform des Arbeitsverhältnisses ab.
 
Die Klägerin habe sich hierauf auch berufen können. Dass sie die Vorbeschäftigung im Lebenslauf nicht angegeben habe, spiele keine Rolle. Zumindest dem Personalfragebogen habe die Beklagte die Vorbeschäftigung entnehmen können. Ein Bewerber müsse nicht von sich aus eine solche Vorbeschäftigung im Lebenslauf offenlegen, ohne dass der Arbeitgeber zuvor danach gefragt habe.
 
Der Arbeitgeber wurde daher vom Gericht verpflichtet, die Klägerin zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiter zu beschäftigen.

AG_Reutlingen_28.5.19_Befristung
BAG_7._Sachgrundlose_Befristung
BVerfG_1_BvL_7/14_Befristung

Rechtliche Grundlagen

Zulässigkeit der Befristung

Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsgesetz - TzBfG)

§ 14 Zulässigkeit der Befristung

(1) Die Befristung eines Arbeitsvertrages ist zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Ein sachlicher Grund liegt insbesondere vor, wenn
1.
der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht,
2.
die Befristung im Anschluss an eine Ausbildung oder ein Studium erfolgt, um den Übergang des Arbeitnehmers in eine Anschlussbeschäftigung zu erleichtern,
3.
der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird,
4.
die Eigenart der Arbeitsleistung die Befristung rechtfertigt,
5.
die Befristung zur Erprobung erfolgt,
6.
in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe die Befristung rechtfertigen,
7.
der Arbeitnehmer aus Haushaltsmitteln vergütet wird, die haushaltsrechtlich für eine befristete Beschäftigung bestimmt sind, und er entsprechend beschäftigt wird oder
8.
die Befristung auf einem gerichtlichen Vergleich beruht.

(2) Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig; bis zu dieser Gesamtdauer von zwei Jahren ist auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages zulässig. Eine Befristung nach Satz 1 ist nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Durch Tarifvertrag kann die Anzahl der Verlängerungen oder die Höchstdauer der Befristung abweichend von Satz 1 festgelegt werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren.
(2a) In den ersten vier Jahren nach der Gründung eines Unternehmens ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von vier Jahren zulässig; bis zu dieser Gesamtdauer von vier Jahren ist auch die mehrfache Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages zulässig. Dies gilt nicht für Neugründungen im Zusammenhang mit der rechtlichen Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen. Maßgebend für den Zeitpunkt der Gründung des Unternehmens ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, die nach § 138 der Abgabenordnung der Gemeinde oder dem Finanzamt mitzuteilen ist. Auf die Befristung eines Arbeitsvertrages nach Satz 1 findet Absatz 2 Satz 2 bis 4 entsprechende Anwendung.
(3) Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist bis zu einer Dauer von fünf Jahren zulässig, wenn der Arbeitnehmer bei Beginn des befristeten Arbeitsverhältnisses das 52. Lebensjahr vollendet hat und unmittelbar vor Beginn des befristeten Arbeitsverhältnisses mindestens vier Monate beschäftigungslos im Sinne des § 138 Absatz 1 Nummer 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch gewesen ist, Transferkurzarbeitergeld bezogen oder an einer öffentlich geförderten Beschäftigungsmaßnahme nach dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch teilgenommen hat. Bis zu der Gesamtdauer von fünf Jahren ist auch die mehrfache Verlängerung des Arbeitsvertrages zulässig.
(4) Die Befristung eines Arbeitsvertrages bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform.
Fußnote
§ 14 Abs. 2 Satz 2: Nach Maßgabe der Entscheidungsformel mit GG (100-1) vereinbar gem. BVerfGE v. 6.6.2018 I 882 - 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 -