Lehrer*innen im Fach "katholische Religion" an öffentlichen Schulen sind Arbeitnehmer*innen. © Adobe Stock - ajr_images
Lehrer*innen im Fach "katholische Religion" an öffentlichen Schulen sind Arbeitnehmer*innen. © Adobe Stock - ajr_images

Wir leben in einer säkularisierten Europäischen Union, in der Glaubensfreiheit herrscht. Und dazu gehört auch das Recht, nicht an einer göttlichen Instanz zu glauben. Gleichwohl nehmen die christlichen Kirchen in ganz Europa Einfluss auf Bildungsinhalte, und zwar nicht nur dort, wo sie selbst Bildungsinstitute betreiben.

 


Und sie betreiben in ganz Europa Kindergärten, Schulen und Universitäten. Sie sind dabei nicht nur in Deutschland seltsame Arbeitgeber. Vorschriften zu Arbeitszeit, Urlaub oder Vergütung sind zumeist nicht in Tarifverträge geregelt, die Gewerkschaften mit ihnen verhandeln. Diese Aufgabe übernimmt vielmehr ein spezielles Gremium (“Dritter Weg”). Die besondere Position der Kirchen garantierte in Deutschland Artikel 137 der Weimarer Reichsverfassung. Diese Garantie gilt bis heute fort, da das Grundgesetz in Artikel 140 darauf verweist.

Seit September 2014 gibt es den ersten Flächen-Tarifvertrag, der Arbeitnehmer*innen in kirchlichen Einrichtungen betrifft

Selbstverständlich entspricht das nicht dem gewerkschaftlichen Verständnis von Arbeitsrecht. Schon lange kämpfen Gewerkschafter*innen dafür, dass kirchliche Arbeitgeber*innen an dieselben arbeitsrechtlichen Regeln gebunden sind wie die übrigen Arbeitgeber*innen auch.

 


Im September 2014 schlossen Ver.di und der Diakonischen Dienstgeberverband (DDN) nach langen, zum Teil schwierigen, aber konsensorientierten Verhandlungen in Niedersachsen den ersten Flächen-Tarifvertrag ab, der Arbeitnehmer*innen in kirchlichen Einrichtungen betrifft. Es ist aber noch ein langer „Dritter Weg“ zu beschreiten, bis Kirchen „normale“ Arbeitgeber sind.


Und was sagt das Bundesarbeitsgericht? Es ist der Auffassung, dass es aufgrund des verfassungsrechtlich verankerten Selbstbestimmungsrechts der Kirchen möglich sei, ein Arbeitsrecht zu definieren, dass auf Konsens ausgerichtet sei. Voraussetzung sei, dass dessen Regelungen verbindlich angewendet würden und die Gewerkschaften ein ausreichendes Maß an koalitionsmäßiger Betätigung erhielten.

Der Einfluss der Kirchen in vielen europäischen Ländern ist auch Ausdruck religiösen Sendungsbewusstseins

Kirchen haben aber immer ein Interesse daran gehabt, dass auch öffentliche Schulen christliche Inhalte vermitteln und Schüler*innen in katholischer oder evangelischer Ethik gebildet werden. Das ist zwar einerseits nachzuvollziehen. Auch verdient jede/r Respekt, der überzeugter Katholik*in oder Protestant*in ist. Andererseits ist aber der Einfluss der Kirchen auch Ausdruck religiösen Sendungsbewusstseins. „Deus lo vult - Gott will es“, wie es seit der Synode von Clermont vom November 1095 heißt. Ein Ausruf, der als Startschuss für den ersten Kreuzzug gilt.


Das Grundgesetz definiert in Artikel 7 den Religionsunterricht als reguläres Lehrfach an den Schulen. Allerdings schränkt die Verfassung in Artikel 141 mit der sogenannten „Bremer Klausel“ den Anwendungsbereich die grundgesetzlichen Vorschriften über den Religionsunterricht ein und ermöglicht so in einigen Gebieten Deutschlands andere Unterrichtstypen. In vielen Bundesländern wie etwa Rheinland-Pfalz gilt Religionsunterricht aber als Teil des schulischen Bildungsauftrags. Religiös und konfessionell gebunden soll er Schülerinnen und Schülern die Freiheit zu glauben und das Recht zu wissen ermöglichen. Andere Länder wie z.B. Bremen verzichten auf einen konfessionsgebundenen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen.

In Italien nimmt die katholische Kirche starken Einfluss auf den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen

Italien ist so etwas wie das „Mutterland des Katholizismus“. Etwa 80 Prozent der Italiener*innen gehören heute noch der katholischen Kirche an. Bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts galt der Katholizismus als Staatsreligion. Heute ist der katholische Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in Italien freiwillig. Allerdings müssen Schüler*innen grundsätzlich daran teilnehmen. Wer das nicht möchte, muss der Teilnahme aktiv widersprechen. Bei Minderjährigen entscheiden die Eltern. Im Schnitt nehmen gut 85 Prozent (sic!) der Schüler am Religionsunterricht teil.


Die Katholische Kirche nimmt in Italien starken Einfluss auf den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Zwischen der Regierung und der katholischen Bischofskonferenz des Landes gibt es eine Übereinkunft zur Besetzung von Religionslehrerstellen. Um überhaupt am Bewerbungsverfahren teilnehmen zu können, benötigen die Bewerber eine Eignungsbescheinigung des jeweiligen Bischofs.

Es geht um den missbräuchlichen Rückgriff auf befristete Arbeitsverträge

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Italien und der katholischen Kirche jetzt aber aufgezeigt, dass Missbrauch nicht geduldet wird. Jetzt wecken Missbrauch und katholische Kirche Assoziationen zu einem Thema, das freilich hier nicht Gegenstand der Erörterung ist. Es geht vielmehr um den missbräuchlichen Rückgriff auf befristete Arbeitsverträge.
Zugrunde liegt hier die Richtlinie 1999/70/EG und die EGB - UNICE - CEEP - Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge. Entscheidend sind § 4 und § 5 der Rahmenvereinbarung. In § 4 geht es um den „Grundsatz der Nichtdiskriminierung“. § 5 beschreibt „Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch“.

 


Geklagt hatten insgesamt 18 Religionslehrer*innen, die seit vielen Jahren an öffentlichen Lehranstalten katholische Religion unterrichten. Sie wurden vom italienischen Ministerium für Bildung, Universitäten und Forschung (Ministero dell'Istruzione dell'Università e della Ricerca - MIUR) auf Grundlage mehrerer aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge beschäftigt. Sie beantragten nach italienischem Recht beim Tribunale di Napoli (Gericht Neapel) die Umwandlung ihrer gegenwärtigen Verträge in unbefristete Verträge.

Bei Religionslehrer*innen gibt es in Italien keine Maßnahmen zur Vermeidung des missbräuchlichen Rückgriffs auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge

Die italienische Regelung zur Umsetzung der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge schließt im Schulsektor die Umwandlung aufeinanderfolgender befristeter Verträge in unbefristete Verträge allerdings aus. Deshalb konnte das Gericht der Klage nicht stattgeben. Es gebe somit keine Maßnahmen zur Vermeidung des missbräuchlichen Rückgriffs auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge im Sinne von § 5 der Rahmenvereinbarung. Daher beschloss der Tribunale di Napoli, den EuGH mit der Frage zu befassen, ob die italienische Regelung mit dieser Bestimmung und mit dem nach dem Unionsrecht bestehenden Verbot der Diskriminierung wegen der Religion vereinbar ist.

Die Lehrkräfte werden nicht in eine Planstelle eingewiesen, ohne dass insoweit irgendein Zusammenhang mit ihrer Religion besteht

Der EuGH hat zunächst geklärt, dass die Kläger nicht wegen der Religion diskriminiert worden seien. Man habe die Lehrkräfte deshalb nicht in eine Planstelle eingewiesen, weil ihre Lehraufträge befristet gewesen seien. Das sei geschehen, ohne dass irgendein Zusammenhang mit ihrer Religion bestünde. Es stelle keine Ungleichbehandlung zweier Gruppen befristet beschäftigter Arbeitnehmer dar, dass die Kläger nicht in den Genuss einer Umwandlung ihres Vertrags in einen unbefristeten Vertrag kommen könnten, während dies für Lehrkräfte möglich war, die andere Fächer unterrichten. Folglich falle eine solche Konstellation nicht unter § 4 der Rahmenvereinbarung, denn dieser verbiete die Ungleichbehandlung von befristet beschäftigten Arbeitnehmern und Dauerbeschäftigten. Daher dürfe das vorlegende Gericht die in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften nicht auf der Grundlage dieses Paragrafen unangewendet lassen.

 

Wenn Flexibilität besonders vonnöten ist, kann der Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge gerechtfertigt sein

Indessen hat der EuGH entschieden, dass die fragliche Vorschrift im italienischen Recht den Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch des § 5 der Rahmenvereinbarung entgegensteht. Es entspräche nicht europäischen Recht, wenn Vorschriften auf Lehrkräfte im Fach Katholische Religion nicht anwendbar seien, mit denen der missbräuchliche Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge geahndet werden soll. Etwas anderes gelte nur, wenn es in der innerstaatlichen Rechtsordnung andere wirksame Maßnahmen zur Ahndung dieses missbräuchlichen Rückgriffs gebe.

 


Es sei nämlich zwar nicht ausgeschlossen, dass es im Bereich des öffentlichen katholischen Religionsunterrichts erforderlich sei, für ein stets angemessenes Verhältnis zwischen der Zahl der Beschäftigten und der Zahl der potenziellen Nutzer zu sorgen. Dass in diesem Bereich Flexibilität besonders vonnöten sei, könne den Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge rechtfertigen. Für diese Bestimmung müsse jedoch konkret geprüft werden, ob die Verlängerung solcher Verträge zur Deckung eines zeitweiligen Bedarfs diene und ob diese Möglichkeit nicht in Wirklichkeit herangezogen werde, um einen ständigen Arbeitskräftebedarf des Arbeitgebers zu decken.

Im vorliegenden Fall kann man davon ausgehen, dass die Lehrkräfte einen Bedarfs decken sollten, der dauerhaft gewesen ist

Im vorliegenden Fall sei mit den befristeten Verträgen zwischen den Klägern und ihrem Arbeitgeber über mehrere Jahre hinweg ähnliche Aufgaben erfüllt worden. Deshalb könne man für diese Arbeitsverhältnisse davon ausgehen, dass es der Deckung eines Bedarfs gegolten habe, der dauerhaft gewesen sei, was vom vorlegenden Gericht zu überprüfen sei.

 


Der EuGH hat zudem festgestellt, dass der Befähigungsnachweis, über den die Lehrer im Fach Katholische Religion für ihren Unterricht verfügen müssten, nur einmal nicht vor jedem Schuljahr, für das ein befristeter Vertrag geschlossen werde und unabhängig von der Dauer ihres Lehrauftrags ausgestellt werde und dass diese Ausstellung keinen Zusammenhang mit Maßnahmen aufweise, die sozialpolitische Ziele verfolge.

Das nationale Gericht muss prüfen, ob man die nationalen Bestimmungen so auslegen kann, dass sie mit der Rahmenvereinbarung zu vereinbaren sind

Daraus hat der Gerichtshof den Schluss gezogen, dass der Befähigungsnachweis keinen „sachlichen Grund“ im Sinne der Rahmenvereinbarung darstelle, der die Verlängerung von befristeten Verträgen rechtfertigen würde. Dieser Paragraf habe zwar keine unmittelbare Wirkung. Daher sei das nationale Gericht nicht verpflichtet, eine entgegenstehende nationale Bestimmung unangewendet zu lassen. Das vorlegende Gericht habe jedoch unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts und in Anwendung der darin anerkannten Auslegungsmethoden zu prüfen, ob eine mit der Rahmenvereinbarung vereinbare Auslegung der fraglichen nationalen Bestimmungen möglich sei.

Hier geht es zum Urteil des EuGH:
Hier geht es zur Richtlinie 1999/70/EG und der EGB - UNICE - CEEP - Rahmenvereinbarung: (PDF)