Doch weder die Dauer der Beschäftigung noch die fehlende Bezahlung sind außergewöhnlich. Ungewöhnlich aber ist die erfolgreiche Klage der Beschäftigten: der REWE-Markt muss über 17.000 EUR Lohn zahlen. Die Klage sog. Scheinpraktikanten kann sich also durchaus lohnen.
Generation Praktikum
Der Begriff beschreibt die Situation vieler junger Menschen, denen statt eines regulären Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses immer wieder nur Praktikumsstellen angeboten wurden. Der Fall der 19-jährigen Praktikantin im Bochumer Rewe-Markt ist also kein Einzelfall. Nach einer aktuellen Studie der DGB-Jugend gemeinsam mit der Hans-Böckler-Stiftung und der Uni Berlin im Rahmen einer Umfrage im Jahr 2011 spielen Praktika beim Berufseinstieg von Hochschulabsolventen immer noch eine große Rolle. Sie hoffen, nach dem Praktikum in ein Arbeitsverhältnis übernommen zu werden. Diese Hoffnung erfüllte sich jedoch nur für einen kleinen Teil der im Rahmen der Studie befragten Praktikanten. In eine befristete oder unbefristete Beschäftigung übernommen wurde nur ein Anteil von 17%. 81% der Befragten gaben außerdem an, während ihres Praktikums vollwertige Arbeitsleistungen erbracht zu haben und 75% der Befragten waren in den Betriebsablauf sogar fest eingeplant. Dennoch erhielten 40% der Praktikanten gar keine Vergütung und bei den bezahlten Praktika lag die Vergütung bei durchschnittlich 550 € im Monat (HBS-Studie, Schmidt/Hecht, Generation Praktikum 2011).
Praktikanten nur zum Schein
Nicht alles, was Praktikum genannt wird, ist rechtlich auch eines. Während eines Praktikums steht der Ausbildungszweck im Vordergrund. Erbringt ein Praktikant dagegen eine Arbeitsleistung, die überwiegend im betrieblichen Interesse ist und daher für den Arbeitgeber einen wirtschaftlichen Wert hat, besteht ein ganz normales Arbeitsverhältnis. Hinweise für ein Arbeitsverhältnis können etwa sein: die dauerhafte Besetzung einer Stelle mit Praktikanten, die Absprache des Urlaubs mit anderen Beschäftigten oder die Art der Arbeitsleistung, die sich von der anderer Beschäftigter nicht unterscheidet.
Ist der Praktikant eigentlich gar kein Praktikant, sondern Arbeitnehmer, muss die Arbeitsleistung wie in einem normalen Arbeitsverhältnis bezahlt werden. Im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses wird nicht unentgeltlich sondern gegen Lohn gearbeitet – ganz gleich, welche Vereinbarungen getroffen worden sind (§ 612 Absatz 1 BGB). Wie hoch muss aber die Vergütung sein, wenn kein Lohn oder ein nur geringer Lohn vereinbart worden ist? Das Gesetz bestimmt in § 612 Absatz 2 BGB, dass bei fehlender Lohnvereinbarung die übliche Vergütung zu leisten ist. Im Regelfall ist dies die tarifliche Vergütung. Die Höhe der Vergütung kann sich aber auch aus anderen Quellen und Daten ergeben, etwa einschlägigen Lohnspiegeln oder aussagekräftigen Statistiken. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls. Der übliche Lohn kann auch höher als die tarifliche Vergütung ausfallen, wenn Arbeitnehmer mit vergleichbaren Tätigkeiten im Beschäftigungsbetrieb einen übertariflichen Lohn erhalten. Wurde kein Lohn vereinbart, ist klar, dass der ermittelte übliche (Tarif)Lohn geleistet werden muss. Ist der Lohn nur niedriger, kommt es darauf an, wie krass der Unterschied zum üblichen Lohn ist. Krass und damit sittenwidrig kann ein Lohn sein, der den ermittelten Mindestlohn um mehr als 30% unterschreitet. Eine sittenwidrige Lohnabrede wird rechtlich so behandelt wie eine Vereinbarung, die gar nicht bestehen würde. An ihre Stelle tritt die übliche (tarifliche) Mindestvergütung. Im Fall der Arbeitnehmerin im REWE-Laden in Bochum hat das Gericht einen Stundenlohn von 10 € als angemessen angesehen.
Auch Praktikanten können Lohn verlangen
Praktikanten, die ein Pflichtpraktikum im Rahmen ihrer Fachhochschul- oder Hochschulausbildung leisten, haben keinen Anspruch auf Vergütung. Ein solches Praktikum ist in den Studienordnungen oder Ausbildungsordnungen enthalten. Es ist verpflichtend für die Zulassung zum Studium oder für die Anerkennung des Studien- oder Ausbildungsabschlusses.
Daneben gibt es das sog. freiwillige Praktikum. Hierbei steht ebenfalls der Ausbildungs-oder Lernzweck im Vordergrund. Der Praktikant oder die Praktikantin will vor der Ausbildung oder dem Studium oder auch vor dem eigentlichen Berufsstart berufliche Fähigkeiten und Kenntnisse erwerben. Freiwillige Praktikanten dürfen nicht unbezahlt oder nur mit ein paar Euro abgespeist werden. Auch sie haben einen angemessenen Lohnanspruch. Der Anspruch ergibt sich aus § 17 und § 26 Berufsbildungsgesetz (BBiG). Es sind die gleichen Grundsätze anzuwenden, die für die Vergütung von Auszubildenden in anerkannten Ausbildungsberufen gelten. Für deren angemessene Bezahlung sind die entsprechenden tarifvertraglichen Vergütungsregelungen entscheidend. Fehlen derartige Regelungen sind es die branchenüblichen Sätze des betreffenden Wirtschaftszweiges oder die Empfehlungen der Industrie- und Handelskammern. Eine Vereinbarung, die die tarifliche oder branchenübliche Mindestvergütung um mehr als 20% unterschreitet, ist nichtig. Es muss dann die übliche Vergütung, also der Tariflohn oder die branchenübliche Vergütung, gezahlt werden. Da es für Praktikanten in der Regel aber keine eigenen tariflichen Regelungen gibt (anders zum Beispiel für Rettungsassistenten-Praktikanten), ist schwer zu bestimmen, wann eine Vergütung für Praktikanten „angemessen“ ist. Ist das Praktikum zum Beispiel einer Ausbildung vorgeschaltet, wird als Maßstab die spätere Ausbildungsvergütung dienen können. Auch im Übrigen orientiert sich die Praktikumsbezahlung an den Zwecken der Ausbildungsvergütung. Diese soll den Auszubildenden beim Lebensunterhalt unterstützen und seine Leistungen in gewissem Umfang entlohnen. Dasselbe gilt auch für Praktikanten. Deshalb ist jedenfalls klar, dass Praktika ohne Bezahlung unzulässig sind.
Mindestlohn für Praktikanten
Am 2.4.2014 hat das Bundeskabinett beschlossen, einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 € ab 1.1.2015 einzuführen. Dieser gilt auch für Praktikanten. Ausnahmen enthält der Entwurf lediglich für verpflichtende Praktika während eines Studiums oder einer Ausbildung und für 6-wöchige Praktika, die der Orientierung für die Wahl eines Studiums oder einer Ausbildung dienen. In Zukunft muss also nicht mehr gerätselt werden, ob und in welcher Höhe die gezahlte Vergütung angemessen ist. Es ist klar, freiwillige Praktikanten haben Anspruch auf 8,50 € pro Stunde. Das wird Praktikanten zu einer finanziellen Anerkennung ihrer Leistungen und zu einem Beitrag zum Lebensunterhalt verhelfen; weiterhin wird es den Missbrauch, Praktikanten als billige Arbeitskräfte einzusetzen, weniger attraktiv machen. Es besteht also Hoffnung, dass mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns das „Geschäftsmodell des billigen Praktikanten“ zu Ende ist. Hoffentlich wird aber auch das Beispiel der mutigen Klägerin gegen den REWE Markt in Bochum Nachahmer finden. Werden Praktikanten nämlich als reguläre Arbeitskräfte eingesetzt, entspricht der Mindestlohn von 8.50 € in vielen Branchen nicht immer der Vergütung, die einer normalen Arbeitskraft zu zahlen ist.
Dorothee Müller-Wenner - Dortmund
Rechtliche Grundlagen
Fundstellen
BAG 23.8.2011 – 3 AZR 575/09
BAG 26.4.2006 – 5 AZR 549/05
LAG München 19.11.2013 – 6 Sa 334/13
LAG Hamm 29.11.2012 – 11 Sa 74/12
LAG Baden-Württemberg 8.2.2008 – 5 Sa 45/07
LAG Berlin-Brandenburg 27.6.2012 – 9 Sa 2359/11
Alexa, Vergütung von Praktikanten, AuR 2014, 136